B5: Bahr, Hermann_3 Bahr an Schnitzler, Typoskript, Seite 74

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Wien XII
15.11.1910
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Lieber Arthur!
Ich habe jeden Tag zu Dir kommen wollen, nie wars möglich,
nun muss ich morgen wieder auf Vorlesungen fort, bis zum 5. Dezember.
Lass mich Dir also kurz schreiben, was ich Dir lieber
ausführlich gesagt hätte: warum ich nämlich den Gedanken aufgegeben
habe, über Dein Stück im Neuen Wr.Journal, unabhängig von der ersten
Aufführung, bei der ich ja leider nicht sein kann, zu sprechen.
Ich habs in London gleich gelesen und dann hier noch ein-
mal. Beide Male war der Eihruck derselbe. Ich habe mich sehr stark für
den Medardus selbst interessiert, der mir kein halber, sondern ein Sech-
zehntelheld,eben darin ein vollkommenes Exempel des Wieners zu sein
scheint. Wie es aussieht, wenn ein Wiener zur tragischen Figur wird,
das finde ich an diesem Fall wunderbar dargestellt. Allerdings ist
das Missverständnis möglich, der Autor habe selbst einen tragischen Helden
zeichnen wollen. Ich glaube das nicht und werde darin durch die Schil-
derung der anderen Wiener im Stück bekräftigt. Diese Schilderung hat
freilich erst dann auf mich gewirkt, als ich mir die Mühe nahm, das Stück
im Geiste sozusagen zu inszenieren und es mir Szene für Szene auf der
Bühne vorzustellen. Ich rechne ihm das als einen Vorzug an,es ist ein
durchaus bühnenmässiges Stück, das dargestellt noch ganz anders wirken
muss als aus dem Buch. Wenn es nämlich wirklich dargestellt wird, wenn
es bühnenmässig gelöst wird! Und da kam nun, als ich die Besetzung las,
meine Hauptsorge. Ich würde herzlich wüschen, dass och mich völlig irre.
Wie ich aber diese Herrschaften, die jetzt im Burgtheater herumdilettie-
ren, und die dortigen hilflosen Inszenierungen kenne, muss ich fürchten,
dass sie aus Deinem Stück eine Karikaturmachen werden. Wäre ich nun
selbst bei der Première, so konnte ich schreiben: Das was Ihr gestern