1er
1m
-29-
46
Wien, 20.10.94.
Lieber Richard.
Schmetterlingsschlacht: Erster Akt sehr gut, voll
glänzenden, nur zuweilen etwas absichtlichen Details;
- machte erwartungsvolle treffliche Stimmung.
Zweiter Akt lässt sich nicht übel an; befremdet
bereits durch einige Trivialitäten – enttäuscht aber
noch nicht recht. Der dritte Akt schwach, ungeschickt,
ohne selbst den stofflichen Inhalt, der in ihm steckt,
auszuschöpfen; verstimmend,mit einem affectirten,
psychologisch falschen, enervierenden Schluss. Der
letzte Akt kurzweg kläglich, geradezu erbitternd.
Sudermann scheint doch nur der grosse Meister der
ersten Akte zu sein.— (Ehre, Sodom, Heimath - überall
der erste Akt am besten.) - Einige Figuren der
Schmett, famos, andere unerlaubt läppisch. Das ganze
Stück nicht einer glücklichen Eingebung entstammend,
sondern recht mühselig und ohne Glück construirt.
Das ärgste wär zu vermeiden, wenn 3.u.4. Akt zu einem
zusammengezogen werden und die Rolle der naiven
Rosiaus der gemeinen Theaterschablone ins menschli-
che hinaufgehoben wird. Die Darstellung ist gross-
tig; sie lügt geradezu Seelen in die Puppen.- Um
die Schm. für Sud.'s bestes Stück zu halten, muss
man entweder nichts verstehn — oder Hermann Bahr
sein. Ueber seine Kritik und noch vieles andere
hab ich gestern erst zwei Stunden mit ihm geplauscht.
Ich zweifle gar nicht: er will immer interessant
immer geistvoll, immer bizarr sein, und es gelingt
ihm fast immer - aber wenn die Originalität und
die Bizarrerie - ja sagen wir zuweilen selbst die
Tiefe seiner künstlerischen Anschauungen mit der
Wahrheit zusammenfällt,so ist das gewiss mehr Zu-
fall als der schöne Drang nach kritischer Ehrlich-
keit. Und was könnte dieser Mensch nicht leisten,
1m
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46
Wien, 20.10.94.
Lieber Richard.
Schmetterlingsschlacht: Erster Akt sehr gut, voll
glänzenden, nur zuweilen etwas absichtlichen Details;
- machte erwartungsvolle treffliche Stimmung.
Zweiter Akt lässt sich nicht übel an; befremdet
bereits durch einige Trivialitäten – enttäuscht aber
noch nicht recht. Der dritte Akt schwach, ungeschickt,
ohne selbst den stofflichen Inhalt, der in ihm steckt,
auszuschöpfen; verstimmend,mit einem affectirten,
psychologisch falschen, enervierenden Schluss. Der
letzte Akt kurzweg kläglich, geradezu erbitternd.
Sudermann scheint doch nur der grosse Meister der
ersten Akte zu sein.— (Ehre, Sodom, Heimath - überall
der erste Akt am besten.) - Einige Figuren der
Schmett, famos, andere unerlaubt läppisch. Das ganze
Stück nicht einer glücklichen Eingebung entstammend,
sondern recht mühselig und ohne Glück construirt.
Das ärgste wär zu vermeiden, wenn 3.u.4. Akt zu einem
zusammengezogen werden und die Rolle der naiven
Rosiaus der gemeinen Theaterschablone ins menschli-
che hinaufgehoben wird. Die Darstellung ist gross-
tig; sie lügt geradezu Seelen in die Puppen.- Um
die Schm. für Sud.'s bestes Stück zu halten, muss
man entweder nichts verstehn — oder Hermann Bahr
sein. Ueber seine Kritik und noch vieles andere
hab ich gestern erst zwei Stunden mit ihm geplauscht.
Ich zweifle gar nicht: er will immer interessant
immer geistvoll, immer bizarr sein, und es gelingt
ihm fast immer - aber wenn die Originalität und
die Bizarrerie - ja sagen wir zuweilen selbst die
Tiefe seiner künstlerischen Anschauungen mit der
Wahrheit zusammenfällt,so ist das gewiss mehr Zu-
fall als der schöne Drang nach kritischer Ehrlich-
keit. Und was könnte dieser Mensch nicht leisten,