SORÖNBURGSTRASSE 4s
THERESE RIE-ANDRO
F.TrubyKing
1:10:8
22/12/29
Verehrter Herr Doktor,
Ich möchte Ihnen nur danken für das bezaubernde Stück Leben
und Athmosphäre, das Sie gestern vor uns haben erstehen lassen.
Es ist wol in jedem Ihrer Stücke so, dass sich einem Selbsterlebtes
zur Allgemeingiltigkeit sublimiert. Oh,wie gut kannte man sie, die-
se stillen Villen, eine Stunde und doch weltenweit von der Stadt,
in deren weichem und etwas feuchtem Grün Frauen und Kinder von
Mai bis September spielten und träumten. Es war nicht immer ein ganz
gutes Träumen, das zeigt Ihr Stück, da mit so zarter Hand einen
Schleier von Gesichtern entfernt, die uns vertraut und im Grunde
doch fremd waren: von denen unserer Mütter. Man war schon rebelli¬
scher, man wollte nicht mehr so pflanzenhaft passiv dahinleben,
man hielt für unlendig, wo nur tiefstes 'erbergen war; man be-
griff urplötzlich hervorquellende Bitterkeiten nicht. Das und
noch so viel anderes lehrt Ihr Stück verstehen- wann hätte ein
Werk von Ihnen einen nicht das Heben besser verstehen gelehrt!
Und Gusti! ich kannte Gusti persönlich; immer war man
Freund Ihrer Gestalten. Gusti war eine heissverehrte Freundin
(bei den Eltern weniger beliebt!) die man still bewunderte, weil sie
so gut konnte, was man selbst nicht fertig brachte, weil ihre
Unternehmungslust nicht von dem Gedanken gehemmt war, dass der Mensch
in einem gewissen Alter doch eigentlich nur aus Ellenbogen und lin¬
ken Füssen besteht. (Das Wort "sex-appeal" war noch nicht erfunden.)
Ich hoffe, Sie haben das junge Fräulein Ullrich, die ich bisher
noch garnicht kannte, ebenso entzückend gefunden wie ich: so
ganz echt und am meisten, wo sie lügt!
Ueberhaupt eine Aufführung, der man anmerkte, dass nicht
nur gewöhnliche Regiearbeit geleistet worden war. Ueber Moissi
THERESE RIE-ANDRO
F.TrubyKing
1:10:8
22/12/29
Verehrter Herr Doktor,
Ich möchte Ihnen nur danken für das bezaubernde Stück Leben
und Athmosphäre, das Sie gestern vor uns haben erstehen lassen.
Es ist wol in jedem Ihrer Stücke so, dass sich einem Selbsterlebtes
zur Allgemeingiltigkeit sublimiert. Oh,wie gut kannte man sie, die-
se stillen Villen, eine Stunde und doch weltenweit von der Stadt,
in deren weichem und etwas feuchtem Grün Frauen und Kinder von
Mai bis September spielten und träumten. Es war nicht immer ein ganz
gutes Träumen, das zeigt Ihr Stück, da mit so zarter Hand einen
Schleier von Gesichtern entfernt, die uns vertraut und im Grunde
doch fremd waren: von denen unserer Mütter. Man war schon rebelli¬
scher, man wollte nicht mehr so pflanzenhaft passiv dahinleben,
man hielt für unlendig, wo nur tiefstes 'erbergen war; man be-
griff urplötzlich hervorquellende Bitterkeiten nicht. Das und
noch so viel anderes lehrt Ihr Stück verstehen- wann hätte ein
Werk von Ihnen einen nicht das Heben besser verstehen gelehrt!
Und Gusti! ich kannte Gusti persönlich; immer war man
Freund Ihrer Gestalten. Gusti war eine heissverehrte Freundin
(bei den Eltern weniger beliebt!) die man still bewunderte, weil sie
so gut konnte, was man selbst nicht fertig brachte, weil ihre
Unternehmungslust nicht von dem Gedanken gehemmt war, dass der Mensch
in einem gewissen Alter doch eigentlich nur aus Ellenbogen und lin¬
ken Füssen besteht. (Das Wort "sex-appeal" war noch nicht erfunden.)
Ich hoffe, Sie haben das junge Fräulein Ullrich, die ich bisher
noch garnicht kannte, ebenso entzückend gefunden wie ich: so
ganz echt und am meisten, wo sie lügt!
Ueberhaupt eine Aufführung, der man anmerkte, dass nicht
nur gewöhnliche Regiearbeit geleistet worden war. Ueber Moissi