B16: Brahm, Otto 1b Arthur Schnitzler an OB, Abschrift, Seite 222

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Noordwyk, Holland, Kurhaus.
8.7.1906.
Lieber Freund,
Ihre Karte traf mich grade am Tage der Abreise von Ber-
lin, wo ich nach Franzensbad in aller Schnelligkeit
einige Regierungsgeschäfte erledigt hatte. Der Schlafwa-
gen fauchte schon, und so konnte die Lockung an die Ost-
see nicht „platzgreifen", wie man so schön sagt. Hier bin
ich nun 4 Tage, finde es ganz schön - aber Helgeland ist
schöner; und so scheint es nicht unfernliegend, dass ich
ungefähr zu der Zeit,wo Ihr, in Wien ausgegebene,Reper-
vorsah,in Ihre Nähe käme. Doch auch mein
toir
Sommerfahrplan hat etwas von der Beweglichkeit der Rein-
hardtschule; und so wollen wir in Gedankenaustausch
bleiben, bis wir den ort gefunden haben, wo wir ohne
oder-lang, ohne durch ein Wasser, das allzu tief,ge-
trennt zu sein, die höchsten Dinge dieser Welt,bis auf
u.so weiteres.... Wenn alle Taue reissen,gehen wir im
Herbst wieder auf den Semmering, meinen Sie nicht? Frei-
lich werden Sie, wenn Ihr Wiener Brief in Kraft bleibt,
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8.7.06
bis dahin nicht das kleinste Zwischenspiel aufgeführt
haben; aber trau, schau, wem! Ich hoffe noch immer, dass
das Altenberg-Stück mit der Lehmannrolle lebendig wird;
für den jungen Mann bekommen sie Waldschütz, und für ein
mehr oder minder stisses Mädel die Wüst, die ein gesundes
Talent ist, hübsch und germanisch - Herz, was willst du
noch mehr?
Wenn Sie Brandes wiedersehen,grüssen Sie ihn doch
schöbstens. Ich lese eben sein Ibsenbüchlein mit grösstem
Interesse. Sigard J. und seine Mutter haben mir eine
goldene Dose des Alten gestiftet, die bis zuletzt in sei-
nen Händen war; es freut mich sehr.- Alles Gute Ihrer
lieben Frau; und empfehlen Sie mich auch dem Wohlwollen
des Meister Heini bitte.
O.B.
Frl.Erl ist wortlos ausgeblieben. Also echtes Theater-
blut.