B16: Brahm, Otto 1b Arthur Schnitzler an OB, Abschrift, Seite 356

(16.2.02.)
Das Feuilleton von Goldmann hat mich nicht sonderlich
entzückt. Es gäbe viel schönes über die „Grenzen der
Kritik" zu sagen [s] über die der erlaubten - und Über die
der gebotenen. Ist es nicht sonderbar, dass selbst sehr
kluge Leute,ja selbst solche, die man nicht eigentlich
unproduktiv nennen kann, so wenig Ahnung von dem Wesen
des Schaffens haben? Ich denke, der Kritiker hat den
Künstler diese zwei Dinge zu fragen: „Kannst du das,
was du willst?—“ Und „Willst du auch alles, was du
kannst?"- Aber er hat keineswegs das Recht von jeman-
dem, dem es beliebt ein Schauspiel zu schreiben, ein
Lustspiel zu fordern - und von einem, dem es gefällt ei-
nen Einakter zu schreiben - ein „abendfüllendes Stück“
zu verlangen. Ueberhaupt hab ich bei Gelegenheit der
„ Leb. St." bemerkt, dass es Leute gibt, welche Dichtungen
nach dem Gewicht einschätzen. - „Kleinkunst-“! „Buch
der Lieder", Kakadu (Verzeihen Sie die Zusammenstellung)
(16.2.02.)
Kleinkunst - „Das grosse Licht“, „der Herr von Abades-
sa" - „Grosskunst" - wie? -
Und ferner: was für ein Teufel treibt den Tageskriti-
ker dem Literaturgeschichtsschreiber ins Handwerk zu
pfuschen? Dabei ereignet es sich natürlich, dass der
Tageskritiker aus dem ganzen Wirken eines Autors sich
gerade so viel nimmt, als ihm eben passt,und mehr oder
minder absichtlich vergisst,-was ihm die Rundung seines
Feuilletons stören könnte.-
Anfang März möcht ich wieder einmal auf Reisen gehen.
Ob ins Gebirge (Salzburg) oder weiter,in den tiroli-
schen Süden, weiss ich noch nicht. Ich bin auch jetzt
ziemlich viel auf dem Land, hab e mir ein Zimmer in Mijd-
ling genommen und pendle hin und her. Eine regelrechte
Arbeit hab ich noch nicht begonnen, innerlich wälze ich
meinen Doman, skizziere mancherlei dazu; aber das wird
wohl zwei - drei Jahre dauern, bis derfertig ist. (Es
wird ein wirklicher Roman, nicht eine lange Novelle, wie