A85: Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 131

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Franziska. Nein, sie war nicht die Sünde — es ist
nicht wahr — so schaut die Sünde nicht aus. Was einen
guten Menschen so glücklich macht, kann nicht die Sünde sein
Wie das Glück... wie die Freude eines Andern haben Sie
sie gehaßt, weil Sie Alles hassen, was heiter und frei ist,
wie Sie auch unsern Hugo gehaßt haben. — Ich verstehe
Sie... ich verstehe Sie so gut. Gehen Sie, ich bitte Sie
darum... es ist mir entsetzlich, Sie zu sehen.
Adolf. Franziska, Du bist in einer Weise erregt
Ferdinand (Adolf ins Wort fallend). Es ist jetzt nicht Zeit,
darauf zu erwidern. Gestatten Sie mir, daß ich mich vor¬
läufig entferne. Ich will nicht — Adieu
Adolf (zu Ferdinand). Warten Sie gefälligst im Haus
thor auf mich. Sie müssen mit mir fahren.
Ferdinand (ab).
16. Auftritt.
Adolf. Betty. Franziska.
Betty. Verzeih', mein Kind, wir haben in ganz anderer
Absicht -- wir konnten nicht ahnen... —
Adolf (plötzlich, nachdem er auf= und abgegangen, stehen bleibend).
Man bittet sein Kind nicht um Verzeihung. Man will das
Beste seines Kindes. (zu Franziska.) Was waren das für un¬
erhörte Dinge, die Du dem Doctor gesagt hast! Was wird
er von Dir denken? Und ich erkläre Dir: Ich fühle mich
vollkommen unschuldig — Auch wenn diese Person ihren
hysterischen Vorsatz ausgeführt haben sollte. Ich sehe ja mit
Schrecken, was durch diesen Verkehr schon alles in Dir an¬
gerichtet worden ist... „die Freude... das Glück der
andern... keine Sünde — so schaut die Süde nicht aus.
Woher willst Du wissen, wie die Sünde ausschaut? — Man
sieht ja nun, was herauskommt, wenn man einmal über
gewisse Dinge sich hinwegsetzt und sich mit Geschöpfen ein-
läßt, die — nicht zu uns gehören! Was hat man am Ende
davon? Nichts als Skandal! Die Leute höhnen einen aus
und zum Schlusse kommen noch solche Absurditäten. Ich,
der Professor Losatti, muß jetzt auf die Polizei gehen, an¬
zeigen, daß die Geliebte meines verstorbenen Sohnes ver¬
mißt wird. Es ist einfach empörend...
Franziska. Papa! Papa!
Betty. Adolf, hast Du denn kein Herz!
Adolf. Herz genug. Mehr Herz als Ihr alle. Eine
Rente hab' ich ihr aussetzen wollen — hat sie mir vielleicht
nicht geglaubt? Oder will sie durch diese (Beim
Fenster.) — Da ist der Wagen. Adieu. Ich gehe. — Nun
vielleicht bin ich noch würdig, von meiner Tochter die Er¬
widerung auf meinen Gruß zu bekommen. Es scheint beinahe,
man hat Lust, mir die Verantwortung aufzulasten — ah, da
werd' ich schon ergebenst... Das ist der Lohn! ja, das ist
der Lohn! das erlebt man an seinem eigenen Kinde! (Er geht
erbittert ab.)
17. Auftritt.
Betty. Franziska.
Betty. Mein Kind, mein liebes Kind!
Franziska (mit gerungenen Händen). Hugo! Hugo!
Betty. Es ist ja noch — man kann sie noch finden
Franziska. Nein — nein... wir werden sie nicht
mehr sehen. — Alle.. alle sind jetzt fort von uns — Hugo,
das Kind, sie... sie sind alle zusammen... in diesem Augen-
blicke vielleicht geht sie zu ihnen. Und auch wir, Mama, sind
schuld, auch wir
Betty. Ich vielleicht... ich hätte — aber Du nicht
Du nicht
Franziska. Auch ich, Mama, ich fühle es so tief.
Wir sind feig gewesen, wir haben es nicht gewagt, sie so lieb
zu haben, wie sie es verdient hat. Gnaden haben wir ihr
erwiesen, Gnaden — wir! — Und hätten einfach gut sein
müssen, Mama!
(Vorhang.)
(Ende.)
Manuscript not for sale.
Arthur Schnitzler.