A98: Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 33

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bei der Nacht, da ist mir plötzlich, wie soll ich nur
sagen... ganz leicht ist mir zu Mut gewesen. Jetzt bist
du ein freier Mann, hab' ich mir gedacht. Brauchst nicht
jeden Abend, den Gott dir geschenkt hat, in die Mayerhof-
gassen zu fahren und mit der Lolo bei Tisch sitzen
und planschen oder auch nur zuhören. Es war ja manch-
mal wirklich fad zum auswachsen. Und mitten in der
Nacht wieder nach Haus fahren und gar noch am End
Rechenschaft ablegen, wenns du einmal mit Bekannten im
Kasino soupierst, oder mit deiner Tochter in die Oper
gehst, oder in die Burg. Also was soll ich dir viel er¬
zählen, geradezu montiert war ich beim Nachhausfahren
Hab' schon allerlei Pläne im Kopf gehabt. o nicht,
was du dir denkst... nein, aber reisen, was ich schon so
lang hab' tun wollen, nach Afrika oder Indien, als ein
freier Mann das heißt, ich hätt' mein Mäderl mit-
genommen. Na ja, du lachst, weil ich noch immer
Mäderl sag'.
Fürst. Fällt mir gar nicht ein. Die Mizzi sieht
wirklich noch aus wie ein junges Mädel. Wie' ein ganz
junges. Besonders mit dem Florentiner Strohhut neulich.
Graf. Wie ein junges Mädel! Und dabei ist sie
akkurat in einem Alter mit der Lolo. Na, du weißt
ja Alt werden wir, Egon. Alle, Ja, ja.... Und
einsam. Aber wirklich, im Anfang hab' ich's nicht
gemerkt. Es ist erst allmählich so über mich ge¬
kommen. Die ersten Tage nach dem Abschiedsfest war's
noch nicht so schlimm. Erst vorgestern und gestern, wie
die Stund gekommen ist, wo ich sonst gewöhnlich in die
Mayerhofgassen gefahren bin... und jetzt, wie
mir der Peter Rosen gebracht hat, für die Lolo
selbstverständlich, da ist es mir so gewissermaßen
klar geworden, daß ich zum zweitenmal in meinem
Leben Witwer geworden bin. Ja, mein Lieber. Und jetzt
ist es für immer. Jetzt kommt die Einsamkeit. Jetzt ist sie da.
Fürst. Aber das ist ja lächerlich. Einsamkeit!
Graf. Sei nicht bös, aber du verstehst das nicht.
Du hast so ganz anders gelebt wie ich. Du hast dich
doch in nichts mehr eingelassen, seit deine arme Frau
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gestorben ist vor zehn Jahren. In nichts Ernstes, mein
ich. Und hast nebstbei noch einen Beruf, gewissermaßen.
Fürst. Wieso denn:
Graf. Na, Herrenhausmitglied.
Fürst. Na ja.
Graf. Und zweimal wärst du ja beinah' Minister
geworden.
Fürst. Beinah'
Graf. Wer weiß. Vielleicht erwischt's dich einmal
wirklich. Und ich bin jetzt ganz fertig. Hab' mich vor
drei Jahren sogar pensionieren lassen, ich Esel.
Fürst (lächelnd). Dafür bist du jetzt ein ganz
freier Mann. Vollkommen frei. Die Welt steht dir offen.
Graf. Aber zu nix Lust, alter Freund. Das ist
die G'schicht. Nicht einmal ins Kasino bin ich hinein¬
g'fahren seitdem. Weißt du, was ich g'macht hab' die
letzten Abende? Da unter'm Baum bin ich g'sessen mit
der Mizzi, und Domino haben wir g'spielt.
Fürst. Na, siehst du, das ist doch keine Einsam-
keit. Wenn man eine Tochter hat, noch dazu ein so
kluges Wesen, mit dem man sich immer so gut ver¬
standen hat... Was sagt sie denn übrigens dazu, daß
du deine Abende jetzt zu Hause verbringst?
Graf. Nix. Es ist ja auch früher manchmal vor-
gekommen. Gar nix sagt sie. Was soll sie denn sagen?
Mir scheint, sie merkt's gar nicht. Glaubst, sic hat was
gewußt von der Lolo?
Fürst (lacht). Na höre
Graf. No natürlich. Ich weiß ja. Natürlich hat
g'wußt. Aber schließlich war ich ja beinah' noch
sie's
ein junger Mann, wie ihre arme Mutter gestorben ist.
Sie hat mir's doch nicht übelnehmen können.
Fürst. Das nicht. (Leicht.) Aber sie wird es schon
manchmal gespürt haben, daß sie so viel allein ist, denk'
ich mir.
Graf. Hat sie sich beklagt über mich? Na, kannst
mir's schon sagen.
Fürst. Ja, ich bin doch nicht der Vertraute von
der Mizzi. Mir gegenüber hat sie sich natürlich nie be¬
klagt. Gott, vielleicht hat sie's auch gar nicht so gespürt.