(or)
Kopenhagen(genügende Adresse)
1 „ „ —: —: „ = „
13. Juni 20.
Verehrter und lieber Freund.
Kennten Sie die unverständlichen inneren Hindernisse, die es
uns unmöglich machen, einen Brief zu schreiben? Es gibt täglich so
viel zu tun, dass wenn ein Augenblick der geistigen Frische sich ein-
findet, man es als Pflicht und Notwendigkeit fühlt, diesen Augenblick
für die Arbeit zu verwenden. Und dann liegt es vielleicht daran, dass
man tausend Dinge sich zu sagen hätte, und nicht weiss, was herauszu-
greifen für einen elenden Brief. Sie, wie auch unser gemeinsamer Freund
Beer-Hofmann, sind mir in einem Menschenalter treu geblieben, und ich
gebe Ihnen nicht ein Lebenszeichen, nicht einmal wenn Sie mir Ihre
Werke schenken. Das Lächerliche dabei und das Unglaubliche ist, dass
52
(15)
6. Januar 22.
50
Verehrter lieber Freunde 2 -
(13.6.20.)
Es war mir eine Freude, von
dass Sie jenes schon alte Buch, das ich seit 1915 nie wieder angesehen
riuch für mich, eine Sprache
und Moskau. Die paar russischen Freude und Freundinnen, die ich hatte,
sind nach Constantinopel versprengt, und leben dort in Armuth; in
Deutschland ist alles unsicher und in Auflösung; in Frankreich und Eng-
land sind mehrere meiner besten Freunde Jingo's geworden und aller
Vernunft verschlossen. Das grosse Publikum est dort. wie überall.
"der ewige Dummkopf, der man genannt wird." Ich hatte hier einen
flüchtigen, aber recht angenehmen Besuch von einem österreishischen
Obersten Namens Kreutz, der ein gutes Buch Die grosse Phasse ge-
schrieben hat, und danach einige weniger gute, oder wiederholende.
Mein Leben ist einsam; ich arbeite viel, habe wieder, nachdem
ich die zwei Bände über Cäsar herausgab, eine grosse Maschine in
Arbeit; ich bin seit anderthalb Jahren in der italienischen Renais-
sance vertieft. Ob es was wird, weiss ich nicht. Ich habe ja mehrere
ich immer und immer wieder an Sie dachte und mir sagte: An Schnitzler
will ich schreiben, und kam nicht dazu.
Ich glaube, dass wir, als Peter starb, ein paar Briefe wechsel-
ten, aber es ist lange her. Er starb Ende Juli 18. Gesehen haben wir
Altersgrenzen hinter mir.
uns nicht sei Dezember 12, und was ist nicht in der Welt geschehen
Beer-Hofmannsmerkwürdige Myterie verstehe ich als seine
Antwort auf die immer mehr anschwellende Bewegung des Judenhasses in
seit jener Zeit!
Ich weiss ja, augenblicklich Nichts über Sie, nicht einmal,
Europa. Diese Bewegung hat auch den Norden erreicht, und mich zum
ob Sie in Wien weilen, Sie haben wohl eher Ihre Zuflucht zu irgend ei-
Einsiedler gemacht. Früher war ich Däne und wurde so aufgefasst; plötz-
lots.
ner Villa genommen; aber der Brief wird Sie hoffentlich finden.
lich werde ich Jude genannt, und war es nie. Unmöglich, irgend etwas
In irgend einer Zeitung sah ich mit Freunden, dass Die
der Krapüle verständlich zu machen.
hundert
Schwestern einen grossen Bühnenerfolg gehabt haben. Ich finde das
Ich hoffe, dass es Ihrer Frau Gemahlin und Ihren Kindern
Stück sehr fein, sehr unterhaltend und echt, bin leise erstaunt, dass
nicht übel geht. Ich drücke Ihnen vom Herzen die Hand.
Sie in so trauriger Zeit sich den Mut und die Spannkraft bewahrt haben,
ein Lustspiel zu schreiben. Ich kann nicht glauben, dass was ich über
Georg Brandes.
die niederschlagenden Zustände in Oesterreich erfahren habe, übertrie-
ben sei. Die Wandlung von dem Zustand vor dem Krieg zu dem jetzigen ist
51. May
für uns alle, auch für die früheren Neutralen, furchtbar, doch an al-
in copies
lermeisten für die bedauernswerten Städte Wien und Budapest, Petersburg
Kopenhagen(genügende Adresse)
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13. Juni 20.
Verehrter und lieber Freund.
Kennten Sie die unverständlichen inneren Hindernisse, die es
uns unmöglich machen, einen Brief zu schreiben? Es gibt täglich so
viel zu tun, dass wenn ein Augenblick der geistigen Frische sich ein-
findet, man es als Pflicht und Notwendigkeit fühlt, diesen Augenblick
für die Arbeit zu verwenden. Und dann liegt es vielleicht daran, dass
man tausend Dinge sich zu sagen hätte, und nicht weiss, was herauszu-
greifen für einen elenden Brief. Sie, wie auch unser gemeinsamer Freund
Beer-Hofmann, sind mir in einem Menschenalter treu geblieben, und ich
gebe Ihnen nicht ein Lebenszeichen, nicht einmal wenn Sie mir Ihre
Werke schenken. Das Lächerliche dabei und das Unglaubliche ist, dass
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(15)
6. Januar 22.
50
Verehrter lieber Freunde 2 -
(13.6.20.)
Es war mir eine Freude, von
dass Sie jenes schon alte Buch, das ich seit 1915 nie wieder angesehen
riuch für mich, eine Sprache
und Moskau. Die paar russischen Freude und Freundinnen, die ich hatte,
sind nach Constantinopel versprengt, und leben dort in Armuth; in
Deutschland ist alles unsicher und in Auflösung; in Frankreich und Eng-
land sind mehrere meiner besten Freunde Jingo's geworden und aller
Vernunft verschlossen. Das grosse Publikum est dort. wie überall.
"der ewige Dummkopf, der man genannt wird." Ich hatte hier einen
flüchtigen, aber recht angenehmen Besuch von einem österreishischen
Obersten Namens Kreutz, der ein gutes Buch Die grosse Phasse ge-
schrieben hat, und danach einige weniger gute, oder wiederholende.
Mein Leben ist einsam; ich arbeite viel, habe wieder, nachdem
ich die zwei Bände über Cäsar herausgab, eine grosse Maschine in
Arbeit; ich bin seit anderthalb Jahren in der italienischen Renais-
sance vertieft. Ob es was wird, weiss ich nicht. Ich habe ja mehrere
ich immer und immer wieder an Sie dachte und mir sagte: An Schnitzler
will ich schreiben, und kam nicht dazu.
Ich glaube, dass wir, als Peter starb, ein paar Briefe wechsel-
ten, aber es ist lange her. Er starb Ende Juli 18. Gesehen haben wir
Altersgrenzen hinter mir.
uns nicht sei Dezember 12, und was ist nicht in der Welt geschehen
Beer-Hofmannsmerkwürdige Myterie verstehe ich als seine
Antwort auf die immer mehr anschwellende Bewegung des Judenhasses in
seit jener Zeit!
Ich weiss ja, augenblicklich Nichts über Sie, nicht einmal,
Europa. Diese Bewegung hat auch den Norden erreicht, und mich zum
ob Sie in Wien weilen, Sie haben wohl eher Ihre Zuflucht zu irgend ei-
Einsiedler gemacht. Früher war ich Däne und wurde so aufgefasst; plötz-
lots.
ner Villa genommen; aber der Brief wird Sie hoffentlich finden.
lich werde ich Jude genannt, und war es nie. Unmöglich, irgend etwas
In irgend einer Zeitung sah ich mit Freunden, dass Die
der Krapüle verständlich zu machen.
hundert
Schwestern einen grossen Bühnenerfolg gehabt haben. Ich finde das
Ich hoffe, dass es Ihrer Frau Gemahlin und Ihren Kindern
Stück sehr fein, sehr unterhaltend und echt, bin leise erstaunt, dass
nicht übel geht. Ich drücke Ihnen vom Herzen die Hand.
Sie in so trauriger Zeit sich den Mut und die Spannkraft bewahrt haben,
ein Lustspiel zu schreiben. Ich kann nicht glauben, dass was ich über
Georg Brandes.
die niederschlagenden Zustände in Oesterreich erfahren habe, übertrie-
ben sei. Die Wandlung von dem Zustand vor dem Krieg zu dem jetzigen ist
51. May
für uns alle, auch für die früheren Neutralen, furchtbar, doch an al-
in copies
lermeisten für die bedauernswerten Städte Wien und Budapest, Petersburg