R.J.C. M.
Brandes.
Kopenhagen 12. Juli 1925.
Freund!
Haben Sie herxlichen Dank für herzliche Worte. Unter Ihrem Uebeln
scheint einem 83 Greis das Ohrleiden das einzig ernste. Glücklicher-
weise ist es nicht schlimmer, als dass Sie sich vastfreundlich mit
den Leuten unterhalten können, und theatralischen Erfolg erleben. Ich
las kürzlich sehr gerne aufs Neue Beatrices Schleier und fand darin
Tiefen, eine Einsicht in die Frauenseele, die ich nie gehabt habe
und nie erwerben könnte. Bin dazu geschaffen von complizierteren
Frauen an das Nase herangeführt zu werden und nur die einfachen zu
verstehen.- Sie sind und bleiben für mich der Angelpunk Wiens. Da
Sie mit vielen Menschen und mit dem Theater zu tun haben, kennen Sie
nicht mein Los, die Einsamkeit. Alle fast sind gestorben, die mir nahe
standen, alle die wenigen, in die ich Vertrauen haben konnte. Und ich
mache keine neuen Bekanntschaften, habe zu viele Täuschungen erlit-
ten. Unter uns - bitte sagen Sie es Niemand - die sogenannte Mensch-
heit ist eine abscheuliche Bande. Es gibt ja glücklicherweise einige
Ausnahmen.- Kopenhagen ist im Sommer eine Wüste, aber ich mag nicht
seisen, arbeite stetig, aber es ist "die Arbeit des schlechten
Kopfes“, wie mein alter Schuldirektor sagte, wenn ich meine Irrtümer
mit meinem Fleiss entschuldigen wollte.- Sie haben doch wenigstens
Erfolge aufzuweisen, in meinem Fach gibt es keine Erfolge; ich
verkaufe 1500 oder 2000 Exemplare in meinem Patria und die Uebersetzun-
gen bringen nichts ein. Doch genug geheult und seien Sie innigst be-
dankt.
Georg Brandes.
V. P. v. G. A. M.
Kopenhagen.30.Dez.1925.
Brandes.
ebster Freund.
sigen Menschen, dem ich nun
Mein liebster Freund.
Das Jahr ist zu Ende, und ich habe Ihnen unendliches zu
danken, dass es in Wien für mich einigermassen gut ablief. Sie als
Arzt wissen, dass uralte Menschen meistens beschwerlich sind. Sie haben
es mich nicht fühlen lassen, aber Ihr Hausk in Wien ist mir ein Heim
gewesen. Sie haben wohl in 35 Jahren unsere Freundschaft ununterbrochen
bewahrt, obschon Sie immer mehr leisteten, als ich im Stande war. Ihre
Gastfreundschaft Frau Rung und mir gegenüber wird mir unvergesslich
sein, was freilich ein bischen lächerlich klingt, da die 84 jährigen
sich gewöhnlich nicht lange einer Erinnerung erfreuen können. N'impor-
te! So lange wie das Tageslicht sehen, tut es nicht viel, ob wir
uns schaneller oder langsamer bewegen. - Ich habe Ihnen noch nicht für
die feine Erzählung Die Frau des Richters gedankt, nicht, dass ich
sie weniger schätze, aber ich hatte sie schon irgendwo gelesen, bevor
sie in Buchform erschien. Mit Freude las ich, dass Sie Theaterfolge
haben. Arm, wie wir alle sind, ist das von Nutzen. Aus vollem Herzen
Georg Brandes
Brandes.
Kopenhagen 12. Juli 1925.
Freund!
Haben Sie herxlichen Dank für herzliche Worte. Unter Ihrem Uebeln
scheint einem 83 Greis das Ohrleiden das einzig ernste. Glücklicher-
weise ist es nicht schlimmer, als dass Sie sich vastfreundlich mit
den Leuten unterhalten können, und theatralischen Erfolg erleben. Ich
las kürzlich sehr gerne aufs Neue Beatrices Schleier und fand darin
Tiefen, eine Einsicht in die Frauenseele, die ich nie gehabt habe
und nie erwerben könnte. Bin dazu geschaffen von complizierteren
Frauen an das Nase herangeführt zu werden und nur die einfachen zu
verstehen.- Sie sind und bleiben für mich der Angelpunk Wiens. Da
Sie mit vielen Menschen und mit dem Theater zu tun haben, kennen Sie
nicht mein Los, die Einsamkeit. Alle fast sind gestorben, die mir nahe
standen, alle die wenigen, in die ich Vertrauen haben konnte. Und ich
mache keine neuen Bekanntschaften, habe zu viele Täuschungen erlit-
ten. Unter uns - bitte sagen Sie es Niemand - die sogenannte Mensch-
heit ist eine abscheuliche Bande. Es gibt ja glücklicherweise einige
Ausnahmen.- Kopenhagen ist im Sommer eine Wüste, aber ich mag nicht
seisen, arbeite stetig, aber es ist "die Arbeit des schlechten
Kopfes“, wie mein alter Schuldirektor sagte, wenn ich meine Irrtümer
mit meinem Fleiss entschuldigen wollte.- Sie haben doch wenigstens
Erfolge aufzuweisen, in meinem Fach gibt es keine Erfolge; ich
verkaufe 1500 oder 2000 Exemplare in meinem Patria und die Uebersetzun-
gen bringen nichts ein. Doch genug geheult und seien Sie innigst be-
dankt.
Georg Brandes.
V. P. v. G. A. M.
Kopenhagen.30.Dez.1925.
Brandes.
ebster Freund.
sigen Menschen, dem ich nun
Mein liebster Freund.
Das Jahr ist zu Ende, und ich habe Ihnen unendliches zu
danken, dass es in Wien für mich einigermassen gut ablief. Sie als
Arzt wissen, dass uralte Menschen meistens beschwerlich sind. Sie haben
es mich nicht fühlen lassen, aber Ihr Hausk in Wien ist mir ein Heim
gewesen. Sie haben wohl in 35 Jahren unsere Freundschaft ununterbrochen
bewahrt, obschon Sie immer mehr leisteten, als ich im Stande war. Ihre
Gastfreundschaft Frau Rung und mir gegenüber wird mir unvergesslich
sein, was freilich ein bischen lächerlich klingt, da die 84 jährigen
sich gewöhnlich nicht lange einer Erinnerung erfreuen können. N'impor-
te! So lange wie das Tageslicht sehen, tut es nicht viel, ob wir
uns schaneller oder langsamer bewegen. - Ich habe Ihnen noch nicht für
die feine Erzählung Die Frau des Richters gedankt, nicht, dass ich
sie weniger schätze, aber ich hatte sie schon irgendwo gelesen, bevor
sie in Buchform erschien. Mit Freude las ich, dass Sie Theaterfolge
haben. Arm, wie wir alle sind, ist das von Nutzen. Aus vollem Herzen
Georg Brandes