B17: Brandes, Georg 17 (2) Schnitzler an Brandes, Seite 38

2.8. 1918
Wien XVIII Sternwartestr.71.
Mein lieber und verehrter Herr Brandes.
ich lese vom Tode Peter Nansens, und habe das Bedürfnis
irgend jemandem zu sagen, wie tief mich das Hinscheiden dieses liebens-
werthen Menschenabewegt, den ich zuletzt kurz vor Ausbruch des Kriegs
bei mir in Wien gesehen habe – schon recht verändert, ja irgend wie
gezeichnet - aber doch noch von dem ganzen Zauber seines Wesens um-
wittert, den ich, fast mehr als aus seinen reizvollen Büchern, aus
seinem Gehaben, seiner Art zu sprechen, seinem Schweigen, seinen Blicken
zu spüren vermeinte. Nun fügt es der Zufall, dass ich mir gerade in
der letzten Zeit Ihre Briefen lieber und verehrter Freund, abschreiben
liess - einige, mit Fleistift geschrieben, waren fast unelesbar geworden,
- und nun, da ich sie, vom ersten bis zum letzten,- mit welchem Ver-
gnügen!- wieder durchnahm, fand ich öfter Peter Nansens Namen wied er-
kehren; auch von seinem Kranksein ist die Rede darin, und da liegt es
nahe mich mit meinem Beileid,- meinem Leid, an Sie zu wenden, der Nansens
Freund war und für mich zugleich, und wir die meisten Mitlebenden, der
repräsentative Mann Daenemarks ist. Und ich benutze die Gelegenheit
Ihnen wieder einmal, über diese zerrissene und stöhnende Welt hinweg,
die Hand zu drücken um Ihnen zu sagen, mit welcher Sympathie, ja darf
ich es etwas sentimental ausdrücken.: mit welcher Sehnsucht ich Ihrer
gedenke! Von Ihren letzten Büchern haben Sie mir geschrieben; vom Goethe
und Voltaire,- sie existieren noch nicht in deutscher Sprache,- und nun
werden Sie wohl auch Ihren Julius Cäsar bal abschliessen. Aber wann
werde ich Ignorant, der nicht dänisch versteht, sie endlich lesen dür-
fen? - Auch ich hab allerlei gemacht - nicht so bedeutungsvolles!4 und
nach meiner alten zudringlichen Gewohnheit werd ich Ihnen ein Stück und
eine Novelle zusenden, sobald sie gedruckt sind.- Aber wann werden wir
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einander weidersehen? Lassen Sie mich doch bald wieder, und wärs nur
mit einem Wort, wissen, dass Sie sich wohl befinden und Ihre edle
Stirn über den Dunst und Dampf dieser Jammerwelt in reinere Lüfte
emporzurecken vermögenIhnen im neutralen Land ist es doch immerhin
leichter als uns. In meiner Familie geht es ganz leidlich; mein Bub
(wird 16) meine Tochter (wird 9) entwickeln sich in jeder Hinsicht
gut; meine Frau hat wohl unter den häuslichen Kriegswirtschaftssorgen
wie jede und jeder etwas gelitten, trotzdem aber ihre Kunst nicht ver-
nachlässigt, ihre Stimme entwickelt sich aufs schönste. Nun ist sie
bei ihrer Schwester in Bayern (Partenkirchen) wohin ich Mitte dieses
Monats auch zu fahren gedenke. Ueber politisches kann ich mich in einem
Brief nicht so ausführlich xxx äussern als ich möchte- wie compli-
ciert gerade bei uns all diese Probleme sind, ersehen Sie aus jeder
Zeitung selbst aus dem censurirtesten Wiener Blatt. Und trotz aller
Schwierigkeiten-Misslichkeite-Unsicherheiten: wie viel Auftrieb,
Stimmungskraft, Talent- welche positive Möglichkeiten in diesem Land,
das vielleicht nicht alle seine Bewohner als „Vaterland“ aber jeder
als "Heimat" liebt. Ich muss hier innehalten-trotzdem ich daran bin,viel
freundlicheres über Österreich zu sagen, als es selbst unsere offiziösen
Zeitungen zu thun pflegen.
Bitte bestätigen Sie mir bald den Empfang dieses Briefes und
erhalten Sie mir und den Meinen Ihre Freundschaft.
Von Herzen Ihr
Arthur Schnitzler