B17: Brandes, Georg 17 (2) Schnitzler an Brandes, Seite 43

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hat sich manches verändert. Von meiner Frau bin ich geschieden,- aber wir
sind gute Freunde geblieben,- ja in der letzten Zeit wieder geworden, könnte
man besser sagen. Sie lebt vorläufig in Salzburg, war aber in den letzten
Tagen in Wien, und Sie können kaum glauben, wie viel wir gerade von Ihnen
gesprochen haben. Mein Sohn, der heuer zwanzig wird, zeigt sich in thatra-
libus theoretisch und praktisch recht begabt,- auch musikalisch leistet er
etwas. Dabei fehlt aber jede falsche Tendenz ins selbstschöpgerische,-
d.h.er bilettiert weder als Dichter noch als Componist. Ich glaube er ist
der geborene Regisseur - un/d andre glauben es auch. Seine Hauptbeschäftigung
ist jetzt Shakespeare; eben hat er eine Inszenierung von Mass für Mass ge-
macht - er arbeitet in der Hofbibliothek, jetzt Nationalbibliothek, - und
hat auch an der Wanderbühne schon kleinere Rollen gespielt.- Meine Tochter
Lili, zwölf vorbei, geht ins Gymnasium,- declamiert die Jungfrau von Orleans,
schreibt "Geschichten",- und verwickelt mich jeden Morgen in die schwierigsten
Gespräche über Gott und den freien Willen. Äber Landschaft, Schwimmen und
Milchchocolade ist ihr glücklicherweise doch nach wichtiger.
Und von mir selber wenn Sie erlauben, schreib ich Ihnen nächstens.
Freundschaftlich treu der Ihrige wie immer
Arthur Schnitzler
Wien 7.6.22.
Mein lieber und verehrter Freund, dass ich nicht nach Kopenhagen gekommen
bin, war niemandem ärgerlicher als mir, aber niemand hatte weniger Schuld
daran. Hören Sie wie es war: Ein sehr netter junger Mann aus Dänemark, Herr
Axel Fraenckel, Literat, forderte mich im Namen eines "radicalen"Studenten-
bundes auf, in Kopenhagen zu lesen. Ich war mit Vergnügen bereit- ja ich
spielte mit dem Gedanken gerade den 15. Mai in Kopenhagen und womöglich mit
Ihnen zuzubringen. Ich erklärte, dass ich im Haag, (wo ich, wie Amsterdam
u. Rotterdam aus meinen Werken vorlas) definitive Nachrichten abwarten wolle
u.zw.bis spätestens 30. April. Ich war bis zum 8. Mai in Holland - es kam
keine Zeile,- und ich selbst konnte mich nicht an den Studentenbund wenden-
schon darum, weil mir weder der offizielle Name, noch die Adresse noch der
Name des Obmanns bekannt war - so dacht ich man habe in Kopenhagen auf mein
Kommen verzichtet,- fuhr nach Berlin,- wo mir - über Haag, - und Wien- (die
kürzeste Verbindung) ein Telegramm nachgesandt wurde,- von dem Studentenbund-
ich möge meinen Ankunftstag melden. Nun aber hatt ich meine Dispositionen
schon total geändert u. es war zu spät, wieder in den Norden zu reisen,- auch
hatt ich einigermassen die Lust verloren. So verbracht ich meinen Geburtstag
- vollkommen allein - in Nürnberg und fuhr von da nach München und Wien. Ent-
weder ist ein Brief in den Haag verloren gegangen oder die Herren vom Stu-
dentenbund haben die Angelegenheit etwas zu lax behandelt- aber ich hoffe,
ein nächstes Mal - vielleicht im nüchsten Frühling (freilich-schon" am
nächsten Tag“ ist ein kühnes Wort,- wird die Sache zu Stande kommen. Morgen
fahr ich nach Graz, wo ich zweimal vorlese- ein etwas ärmlicher Ersatz für
Kopenhagen und Sie.
Und für Ihre lieben Worte, meiner verehrter Georg Brandes, kann
ich Ihnen nur schriftlich danken. (Haben Sie denn auch meinen Brief zu Ihrem
soundsovielten Gebuftstag bekommen?) -
Anfang Juli bring ich meine Kinder an den Sternbergersee zu ihrer
Votre très-hier.