A107: Die Schwestern oder Casanova in Spa. Lustspiel in Versen (Eifersucht, Die Wiederkehr, Spion), Seite 61

Arthur Schnitzler
Als Lügner müßten beide Frau'n ihn schelten.
Denn wenn man's recht erwägt, besaß er keine.
(Lärm draußen. Immer lauter sind Stimmen vernehmlich.)
Gäste (im Pari): Wo bleibt das Essen? — Wein her! Kellner he!
Zieht nicht ein Wetter auf? — Es wird nichts werden!
Baron! Wo bleiben Sie? — He! Wein! — Sind wir
Zum Spaß geladen? — Rufen wir den Wirt!
Der Wirt ist der Baron! — Dort steht er ja! —
Santis (zum Tenster bin): Was gibt’s? Ist man noch immer nicht bedient?
Verzeihung, edle Damen, werte Herrn -
Heda, die Schüsseln auf den Tisch, die Flaschen!
Wo bleibt der Kellner Troß? Noch keiner da?
Verdammte Wirtschaft! He! Schlaft ihr? Herbei
Ihr Kerle!
(Von rechts tritt Tito ein.)
Tito: Herr Baron
Santis (beim Fenster sich nach ihm umwendend):
Da wär' ja einer. Troll dich in die Küche.
Man trage auf. Die Flaschen aus dem Keller!
Geschwind, was stehst du wie ein Stock und glotzt?
Tito: Ich habe von meinem Herrn zu bestellen, daß keine Schüssel auf¬
getragen und keine Flasche entkorkt wird, ehe die Rechnung bezahlt ist.
Santis: Was wagst du, Bursche? Ist dein Herr verrückt?
Tito: Entschuldigen der Herr Baron, der Herrsagt, es sei ausdrücklich
so ausgemacht worden. Hier, Herr Baron. (Er weist die Rechnung vor.) Es beläuft
sich alles in allem auf neunundfünfzig Dukaten. Da ist natürlich alles
Frühere auch dabei.
Santis: Ein Arzt herbei, der Wirt ist krank! Ich zahle,
Wenn ich vom Mahle aufsteh', nicht vorher.
Nur in Spelunken übt man andre Sitten.
Hinaus mit dir! Bestell es deinem Herrn.
Tito (bleibt(tehen): Und meine Bestellung lautet: Kein Bissen auf die
Teller, kein Tropfen in die Becher, ehe die Rechnung beglichen ist.
(Er wendet sich zum Gehen.)
Santis: He, warte. (Siebt die Rechnung durch
Neunundfünfzig. Um die Hälfte
Zuviel. Betrug, Erpressung, Gaunerei!
Hier hast du neun. Der Rest für heute abend.
Tito: Neunundfünfzig, Herr Baron! Ich darf nicht weniger in
Empfang nehmen.
Santis: O Frechheit unerhört! Als wär' ich nicht
Für fünfzig, hundert und für tausend gut.
Willst du ein Pfand, so nimm die Dose hier,
Besetzt mit Edelsteinen ohne Fehl.
Die Schwestern
Tito: Mein Herr hat mich ausdrücklich beauftragt, nur Bargeld ent¬
gegenzunehmen, da er mit Schmuckgegenständen leider öfters schlechte Er¬
fahrungen gemacht hat.
Santis: Die Perlenschnur, Flaminia, löse sie!
Für Stunden nur. Ist auch der Wirt ein Schuft,
Nicht langer warten lass' ich meine Gäste.
Gib her. Was zögerst du?
(Er versucht selbst die Schließe von Flaminias Verlenschnur zu öffnen.)
Vergeblich ist's.
Flaminia:
Verlöten ließ ich sie. Das einz'ge Mittel,
Sie zu behalten als mein Eigentum.
In Casanovas Mienen kündigt sich das endgültige Verständnis an. Anwillkürlich faßt er nach seinem
eigenen Hals. Er blickt Anina an, die seinen Blick ohne Lächeln erwidert, dann schaut er zum Fenster
dann zu Flaminia, nickt vor sich hin und lächelt, ungefähr als wollte er sagen: Nun ist mir alles klar.)
Santis: Elendes Weib! Bei Gott, ich hätte Lust,
Dich samt der Schnur dem Wirt als Pfand zu geben.
Tito: Darüber würde sich vielleicht reden lassen, wenn die Frau Baronin
(Geste, als wenn er sie einlüde, mit ihm das Zimmer zu verlassen.)
Casanova (plötzlich vor ihn hin):
Das Paul gehalten, Bursch, hier nimm und geh!
(Er gibt ihm einen Beutel voll Geld.)
Zähl draußen und behalte, was zuviel,
Und sage deinem Herrn, das merk' er sich,
Wo Casanova man zu Gaste lud,
Dort muß der Wirt nicht für die Zeche zittern.
Santis (als wollte er's nicht annehmen): Nie werd' ich
Casanova: Still, mein Retter. Es ist nichts.
(Er befiehlt dem Tito durch eine Geste, sich zu entfernen.)
Tito (unter Bücklingen ab)
Casanova (zu Andrea): And mir bleibt immer noch genug, zugleich
An Sie, Herr Bassi, meine Schuld zu tilgen.
Da, was ich an Gudar zurückbezahlt,
Ich auf der Fahrt ihm wieder abgewann.
Hier ist, mit wiederholtem Dank, Ihr Gold.
Andrea: Sie hatten Glück.
Casanova (dem Andrea die Beutel mit Gold gebend, die dieser etwas zögernd nimmt:
Sie haben's auch, mein Freund.
Die Summe stimmt
Sie stimmt
Andrea:
Dies wär' erledigt
Casanova:
(In neuem Ton, in den Garten hinausblickend, wo die tafelnden Gäste sichtbar sind.)
Und nun, es blinkt der Wein, die Schüsseln dampfen.
Ich denk, es wäre Zeit, zu Tisch zu gehn.
Santis: Noch nicht. Ihr Spruch zuerst.