KAPLAN beginnt zu lesen. „Mein geliebter Bruder —“
KATHI kommt von drin mit der Lampe, gebt wieder ab
KAPLAN liest. „Mein geliebter Bruder, diese Zeilen
schreibe ich Dir vor meiner Abreise nach Wien“
Erklärend zu Josefa. Gestern! Liest weiter. „Du sollst sie
aber erst lesen, nachdem ich Dich gesehen und ge¬
sprochen habe. Die paar Stunden, die uns vergönnt sein
werden, wollen wir in Ruhe miteinander verbringen.
Du sollst auch nicht unruhig werden, wenn Du diesen
Brief liest. Denn während ich ihn schreibe, von Zeile
zu Zeile bin ich fester davon überzeugt, daß alles gut aus¬
gehen wird. Hält einen Augenblick inne, Blick zwischen ibm und
Josefa, dann liest er weiter. Und nun habe ich die folgende
Bitte an Dich. Wenn Du bis übermorgen mittag“ zu Jo-
sefa — morgen also — „zwölf Uhr keine Nachricht von
mir haben solltest oder ich nicht selbst wieder bei Dir
sein sollte, so begib Dich nach Wien, wo Dich auf dem
Bahnhof, wenn nicht ich selbst, einer meiner Kameraden
erwarten wird, von dem Du dann alles Nähere erfahren
wirst. Wenn Du diesen Brief in Händen hältst“ zu Jo¬
sefa — er dachte: erst morgen — „ist jedenfalls alles
und ich hoffe zu Gott —“ bitter—zu Gott!— „glücklich
vorüber. Zu Josefa. Jetzt kann natürlich noch nichts
vorüber sein. Liest weiter. „Aber falls es anders bestimmt
sein sollte, will ich nicht aus der Welt gehen, ohne Dir
noch einmal gesagt zu haben, mein lieber Ferdinand,
wie sehr ich Dich liebe, wie dankbar ich Dir für alles bin,
was Du zeitlebens für mich getan hast.“ Zu Josefa.
Nichts, nichts! Liest weiter. „Und was immer Du morgen
auf dem Lande zu mir sprechen wirst — merke wohl¬
jedes Deiner Worte, Dein Händedruck, Deine Um-
armung wird mir Absolution bedeuten. Blick zu Josefa.
Und Deiner Liebe werde ich es zu danken haben, Deiner
Fürbitte, wenn ich frei von Sünden vor den höchsten
Richter trete. Und so stage ich auch in unerschütter¬
lichem Gottvertrauen diesen Brief mit dem Wort zu
enden: Auf Wiedersehen! Dein Robert.“ Er läßt den
Brief sinken, siebt Josefa wie fragend an.
Fischer-Verlag, Berlin
Im Spiel der Sommerlüfte
37
1. Fahnenkorr. am 71. 8. 29t
Bibliographisches Institut, Leipzig
KATHI kommt von drin mit der Lampe, gebt wieder ab
KAPLAN liest. „Mein geliebter Bruder, diese Zeilen
schreibe ich Dir vor meiner Abreise nach Wien“
Erklärend zu Josefa. Gestern! Liest weiter. „Du sollst sie
aber erst lesen, nachdem ich Dich gesehen und ge¬
sprochen habe. Die paar Stunden, die uns vergönnt sein
werden, wollen wir in Ruhe miteinander verbringen.
Du sollst auch nicht unruhig werden, wenn Du diesen
Brief liest. Denn während ich ihn schreibe, von Zeile
zu Zeile bin ich fester davon überzeugt, daß alles gut aus¬
gehen wird. Hält einen Augenblick inne, Blick zwischen ibm und
Josefa, dann liest er weiter. Und nun habe ich die folgende
Bitte an Dich. Wenn Du bis übermorgen mittag“ zu Jo-
sefa — morgen also — „zwölf Uhr keine Nachricht von
mir haben solltest oder ich nicht selbst wieder bei Dir
sein sollte, so begib Dich nach Wien, wo Dich auf dem
Bahnhof, wenn nicht ich selbst, einer meiner Kameraden
erwarten wird, von dem Du dann alles Nähere erfahren
wirst. Wenn Du diesen Brief in Händen hältst“ zu Jo¬
sefa — er dachte: erst morgen — „ist jedenfalls alles
und ich hoffe zu Gott —“ bitter—zu Gott!— „glücklich
vorüber. Zu Josefa. Jetzt kann natürlich noch nichts
vorüber sein. Liest weiter. „Aber falls es anders bestimmt
sein sollte, will ich nicht aus der Welt gehen, ohne Dir
noch einmal gesagt zu haben, mein lieber Ferdinand,
wie sehr ich Dich liebe, wie dankbar ich Dir für alles bin,
was Du zeitlebens für mich getan hast.“ Zu Josefa.
Nichts, nichts! Liest weiter. „Und was immer Du morgen
auf dem Lande zu mir sprechen wirst — merke wohl¬
jedes Deiner Worte, Dein Händedruck, Deine Um-
armung wird mir Absolution bedeuten. Blick zu Josefa.
Und Deiner Liebe werde ich es zu danken haben, Deiner
Fürbitte, wenn ich frei von Sünden vor den höchsten
Richter trete. Und so stage ich auch in unerschütter¬
lichem Gottvertrauen diesen Brief mit dem Wort zu
enden: Auf Wiedersehen! Dein Robert.“ Er läßt den
Brief sinken, siebt Josefa wie fragend an.
Fischer-Verlag, Berlin
Im Spiel der Sommerlüfte
37
1. Fahnenkorr. am 71. 8. 29t
Bibliographisches Institut, Leipzig