A220: Wohltaten, still und rein gegeben (Bettler), Seite 3

No. 852
Neues Wiener Tagblatt.
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Wien, Freitag
25. Dezember 1931
„Kütz die Hand, gnädiger Herr,“ sagte sie, indem sich den Mund weit auf, dann packte er den erhobenen Ann sich diesen Kerl gestern eine Unsumme — zehn Kronen
ja, zehn Kronen..., bitte, Herr Sicherheitswach¬
entfernte. Der Klang dieser Worte durchbebte ihn.... des Bettlers und fing an, nach der Wache zu schreien
Und wie er jetzt wieder seine Blicke zu den anden Einige Leute, die aus der Halle kamen, blieben stehen,
mann...“ dabei stülpte er sich den Hut auf den Kopf,
Kutscher liefen herüber, ein Polizeimann war sofort zur „.. nie ist mir etwas Aehnliches vorgekommen!“
Tischen sandte, kam es ihm vor, als sähe man ihn überall
Franz ließ den Herrn schreien, befand sich sehr wohl
mit einer gewissen ruhigen und selbstverständlichen
Stelle
„Ist der Kerl verrückt?“ schrie der Wohltäter, in= und sprach kein Bort. Die Sache war erledigt. Er hatte
Hochschätzung an. Unwillkürlich nahm er eine leichter
dem er seinen Zylinder aufyob. „Ich habe nämlich zu seine Dankesschuld abgetragen. Und gleichsam erlöst
Haltung an, winkte dem Kellner, verlangte Zigaretten
und zündete sich eine an. Dann ging er. Es schneite noch
bemerken," rief er in größter Erregung, ohne die Kraft, mit einem heiteren Lächeln auf den Lippen, ließ er sich
immer, und die Straßen, durch die er jetzt spazierte, seine bisherige Vornehmheit aufrechtzuerhalten, „daß auf die Wache führen.
waren menschenleer. Die Kälte empfand er nicht mehr
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aber der Boden schwankte ein wenig unter seinen Füßen
Ein verlockender Gedanke fuhr ihm durch den Sinn
Er schauerte zusammen..., und blieb einen Augenblick.
lang stehen. Dann stapfte er mit den Füßen durch den
Sage.
Alte
Schnee weiter und empfand ein gewisses Vergnügen
daran, den Schritt des Herrn im Pelz nachzuahmen.
Von Waldemar Bonsels.
In einer ganz engen Gasse kamen ihm zwei
Frauenzimmer entgegen; die eine hielt einen Mus¬
Im fernen Asien lebte vor vielen tausend Jahren Funkeln sein Herz mit Entzlicken, Habsucht und Gier er¬
vors Gesicht. Als sie Franz gerade gegenüberstand, ließ ein Zauberer, der es verstand, die Künste seiner
füllte. Der Zauberer rief einen seiner Wundervögel
sie den Arm heruntergleiten und zeigte ein lachende
herbei, der den Edelstein, der die verzauberte Prin¬
cunken Seele vor allem Volk zu verbergen. Woh
Gesicht. Franz starrte sie an. Die andre Frauensperson
zessin barg, in das Gemach des Königs trug. Er lachte
schwebten über seiner ärmlichen Hütte, die in der Näh=
ging weiter, als gäbe sie von vornherein jede Hoffnung
seiner tückischen Rache froh, so häßlich auf, daß die
des königlichen Palastes lag. die Wolken böser Ge¬
auf. Die mit dem Muff faßte nach dem Sträußchen und
rüchte, und viele fürchteten sich vor seiner gebeugten, Blumen im Garten verwelkten, und kroch in seine Hütte
drängte sich an Franz. Er war sehr verlegen. „Ich habe
zurück, denn er wußte zuversichtlich, daß nie ein Mensch
graubärtigen Erscheinung, aber man wußte wenig
keine Zeit,“ sagte er. „Was hast du denn so spät bei de
erraten würde, was mit diesem Edelstein geschehen
über sein Tun und Treiben. Man erzählte, daß sonder
Nacht andres zu tun? Komm' nur; das ist schon mein
mußte, damit die Prinzessin aus ihrer Verbannung ins
bar befiederte, bunte Vögel zuweilen in seinen
Haustor.“ Und resolut zog sie an der Glocke. Sie Fenstern ein= und ausflogen wie Boten geheimnis¬
Leben zurückkehren konnte.
trällerte einen Gassenhauer und schaute Franz lachen
Die Trauer im Lande über die verlorene Königstochter
an. Er rührte sich nicht.... Das Tor wurde geöffnet! voller Nachrichten, und daß wunderbar blühende
war groß, und niemand ahnte, daß ihr Verschwinden
Blumen in Totenschädeln in seinem Gärtchen wuchsen
und schloß sich gleich darauf wieder hinter den beiden. deren geöffneten Kelchen zur Nacht kleine, elfenartige
mit dem kostbaren Edelstein zusammenhing, der im Ge¬
Das Zimmer, in das er mit ihr trat, war klein un=
Wesen entstiegen, die traurig im Mond tanzten. Einige mach des Königs gefunden wurde, niemand ahnte, daß
niedrig, auf dem Fensterbrett stand eine Petroleum¬
nach dem Fluch des Zauberers nur eine ganz bestimmte
wollten wissen, daß vor Jahren ein Mädchen, ei
lampe, die matt brannte und nach der das ganz
schönes und liebliches Kind, sein Haus betreten hätte / Tat das Königskind erlösen konnte, eine Handlung, die
Zimmer noch. Wieder dachte Franz an jene letzte und daß bald darauf ein großer, bunter Falter aus
mit diesem Stein von eines Menschen Hand vor¬
Sommernacht dabeim, an den kühlen Duft der Wiesen
genommen werden mußte.
dem geöffneten Fenster geflattert wäre, das Mägdlei
und Wälder der ihn damals umströmt hatte, und wäre wird niemals mehr gefunden. Andre wieder wollten
Der Stein wonderte in die Schatzkammer des
am liebsten davongelaufen. Aber er blieb.
Königs, nach vielen Jahren trug ihn ein Prinz am
beobachtet haben, daß in Neumondnächten stille, blau
Später schlummerte er an ihrer Seite ein.
Knauf seines Schwertes. Man erzählt, daß er viel später
Flammen auf dem Dachfirst brannten, grell und ohne
Im Traum ging er eine große Treppe in ein
Wärme, aber geisterhaft leuchtend und von nie ge
Räubern in die Hände fiel und lange als verloren galt.
schönes Haus hinauf, wo er in den ersten Wochen seines sehener Farbe,
Später tauchte er in Indien auf und ging unter
Wiener Aufenthaltes Lektion gegeben hatte. Da standen
Händlern von Hand zu Hand, er ward begehrt und be¬
Männer oben, die sich nicht um ihn kümmerten. Plötz¬
wundert wie kein andrer Stein, es war, als trauerte
lich ertönte hinter ihnen eine Stimme, schrill wie ein
heimlich in seinem Glanz das Leid und die Sehnsucht
Nur
Befehl — da wandten sich die beiden zu ihm und trieben
der gefesselten jungen Seele. Was immer mit ihm ge¬
ihn mit Fußtritten die Treppe hinunter. Aber unter
diese.
schah oder vorgenommen wurde, nie geschah das Rechte,
auf einer samtgepolsterten Bank saß der Herr vom
das einzige, das nach dem Zauberwort des bösen Alten
Sophiensaal, hielt das Blumenmädchen auf dem Schoß
Eines Tages geschah es, daß die Tochter des
der längst gestorben war, den Bannspruch löste. Es
und sie aßen beide Kastanien und erkannten Franz Königs den Park des Palastes verließ und in der
schien den Willen, den sonderbaren Entschluß auf der
nicht, was ihn wütend machte. Er schrie sie an — sie Garten des Zauberers geriet, sorglos und ohne Be¬
Erde der Menschen nicht zu geben, der Freiheit herbei¬
hörten ihn nicht. Und alle, die vorbeigingen, hunderte
denken, denn sie war noch fast ein Kind an Jahren
führte.
tausende Menschen, lachten nun über ihn. Er wollte aber schön wie ein blühender Frühlingstag in der
Und dennoch geschah eines Tages das Wunder, daß
um sich schlagen, aber er konnte sich nicht rühren.
Sonne und vom Volk geliebt wie ein freundlicher Ge¬
ein Mensch mit dem herrlichen Stein das eine, das Un¬
danke oder ein trostreicher Glaube. Sie war so schön
Er erwachte jäh und stand auf. Das Frauenzimmer=
faßbare vornahm, das die Erlösung mit sich brachte. Es
erhob sich im Bett, hatte offenbar schon tief geschlafen
daß selbst böse Menschen andächtig wurden, wenn sie trug sich so zu, daß ein reicher Kaufmann, der in den
und war sehr ärgerlich. Sie kleidete sich notdürftig an sie erblickten, und so reinen Herzens, wie der Schne¬
Besitz des Steines gelangt war, auf der Straße von
und schlürfte in zerrissenen Pantoffeln herum. Franz auf den Gipfeln der Berge
Räubern überfallen wurde. Er barg den kostbaren
Der alte Zauberer sah sie als sie sich in seinen
Schatz rasch am Wegrand im Gras, als die Gefahr
mußte ihr beinahe den ganzen Rest seines Geldes gebe
Garten über die sonderbaren Blumen beugte, und ihr
herannahte, in der Hoffnung, er könnte sein Leben
und eilte davon.
Lächeln kam ihm wunderbarer vor als alle seine Künste
retten und später sein Eigentum wiedergewinnen.
Als das Haustor hinter ihm zudröhnte, schlug es
Er trat zu ihr hinaus und lud sie ein, ihn in sein Haus Jedoch er wurde erschlagen und beraubt, und der wert
eben drei Uhr von einem nahen Kirchturm. Fran
zu begleiten, aber sie erschrak über den begehrlichen
volle Stein blieb unbeobachtet am Wege liegen.
nahm den Weg schnurgerade zum Sophiensaal. Der
Blick seiner stechenden Augen, und sein einladende
Bald darauf zog an einem Frühlingsmorgen
Herrn im Pelz mußte er finden; wenn es ihm jetzt nich
Lächeln erschien ihr häßlicher als der Tod.
gelang, so wollte er die Stadt nach allen Ecken und
singend ein junger Wanderbursche die Straße entlang,
„Niemals!“ rief sie erschrocken und wandte sich al=
Enden durchstreichen, bis er ihm begegnete. Die Sache
das Licht der Sonne in den klaren Augen und das Herz
aber der Zauberer stand wieder vor ihr, und jetz
war nicht in Ordnung und sie mußte geregelt werden
von nichts ersüllt als von Lebensglauben und aller
funkelten seine Augen vor Gier
Auf den Lippen hatte er ein schmerzlich brennendes
Hoffnung auf sein innerlichstes Glück. Seine sorglose
„Ich will dich zum Eigentum,“ rief er, „komm’ mit
Gefühl. Es war ihm jetzt, als wenn er dem Herrn die mir in mein Haus!“
Jugend füllte ihn wie ein Strom von Licht und Freude,
Hand geküßt hätte, nicht für die zehn Kronen, die er¬
Daseinsliebe und Lebensseligkeit. Es gab nichts in
Die Königstochter stammelte mit blassen Lippen
Gottes freier Welt, das nicht ihm gehörte, nichts, dass er
ihm geschenkt, sondern für all das Nichtige und Er
aber entschlossen und mutig, ein zitterndes Kind:
bärmliche, auf das das Geld aufgegangen war... Die
sich wünschte, als immerdar so leicht und froh, so un¬
Niemals! Nimmermehr!
Erlebnisse der Nacht wirrten ihm durcheinander Jetzt
beschwert und glücklich Gottes hellen Lebensgarten
Da schrie der Alte, entstellt vor Wut:
erst fiel ihm mit vollkommener Deutlichkeit ein, daß er
durchwandern zu dürfen. Da sah er am Wegrand einen
„Hat dein Herz keine Wärme für mich, so soll deine
dem völligen Elend gegenüberstand, daß er wieder ein¬ Schönheit fortan so kalt und starr sein wie ein Stein
farbigen Blitz aufleuchten und fand den Edelstein. Er
mal nicht wußte, wovon er morgen leben sollte.
staunte und erschrak, und sein Herz erstarrte, als nahte
Verschmähst du meine Liebe, so sollst du tot und ein
Die Straße war verlassen, der kalte Morgenwin
ihm mit diesem Gefunkel Satans Reich des ver¬
Stein sein, bis dich eine Tat erlöst, die niemand in der
gänglichen Besitzes, der bösen Gier, der Sorge und der
wehte über den Schnee. Eine Budike, an der er vorbei
Welt erraten wird!
Er hob seinen Zauberstab, und die Prinzessin ver= irdischen Bedrängnisse. Ihm war, als sänke ihm unter
ging, wurde eben geöffnet, verschlafen und ungekämmt
staubte ein dickes Judenmädel den Schanktisch ab. Franz
diesem zornigen Glanz alles Licht aus der Seele, und
wandelte sich in einen Diamanten von solcher Schönheit
rasch entschlossen ergriff er den Stein und... warf
trat ein, und wie sich selber und der ganzen Welt zum und so hobem Glanz, von solchem Feuer, daß keine
ihn fort!
Trotz stürzte er noch ein Glas Branntwein hinunter
Menschen Auge ihn anschauen konnte, ohne daß sein
Dann eilte er weiter, und in ein paar Minuten war er
Da hörte er einen leise aufjauchzenden Ton von
an seinem Ziel. Nah beim Tor nahm er Aufstellung
trauriger Süßigkeit und glaubte zu träumen, als vor
und wartete. Noch immer klang die Tanzmusik durch die
ihm am Wiesenrand, in den Blumen, im Schein der
Wochen-Ausgabe
leise klirrenden Fenster. War es wirklich kaum eine
Morgensionne, ein Mägdlein stand.
Aus
Nacht, die seither vergangen war?...
Hier endet die alte Sage von der Freiheit der
Leere Wagen fuhren vor. Herren und Damen
Seele und von jenem Sinn des Herzens, der sie den
Menschen erschafft. Man erzählt, das Königskind sei
kamen aus der Halle und stiegen ein, andre eilten zu
(Konsul a. D. Biberiete).
Fuß davon. Franz wunderte sich selbst über die Sicher¬
seinem Retter gefolgt und sein Eigentum geblieben bis
Von Krokodilen belagert
heit, mit der er einige Herren passieren ließ, die doch
an den Tod.
einen ähnlichen Pelz trugen wie sein Wohltäter. Er
Im Schneesturm über den Wind-
war entschlossen, nicht vom Platze zu weichen, ehe der
legergrat
letzte Ballgast das Gebäude verlassen hätte. Er wartete
Heilige Nacht.
(Oberleutnant a. D. Weber
Plötzlich stand ihm das Herz still.... Das war
Von Dr. Owlglatz.
Die Front ohne Menschen
er... Da trat er aus dem Tor, knöpfte den Pelz zu
J.P.
Sie lärmen und sie rennen.
(Prof. Dr Fröhlich)
und schlug den Kragen hinauf. Es war ein rechtes
Es fiebern die Antennen.
Glück, daß ihn Franz noch hinter der Glastür erkannt
Mäßigkeit und Genügsamkelt
Viel tausend grelle Lichter schrei'n...
hatte, denn jetzt war er beinahe vermummt. Franz
(Prof. Dr. Schiller
Die alten Sterne blitzen.
wartete, beide Hände in den Taschen, und der Herr
Bäume aus der Pyramidenzeitä
Lern' wieder stille sitzen
stapfte wieder mit den Füßen durch den Schnee, was
Prof. Dr. Schebesta S. V. D.
und lausche du in dich hinein!
Franz erbitterte. Er stellte sich dem Herrn in den Weg
Gigantisches Afrika
Dieser blickte auf und fragte: „Wie?...“ Dann schien
(Dr. Degrasia. New-York)
Die Nacht, wer kann sie töten,
Pr.
er ihn zu erkennen und lächelte.
Der neue Turm von Babel
wenn sie aus Abendröten
„Mein Herr...“ begann Franz, aber es schnürte
so samten=schwer und schaurig quillt?
Repis
ihm die Kehle zusammen, und er konnte nicht weiter
Mit brüllenden Sirenen
Als Hilfsarbeiter in der Fabrik
G.C.F.P
Der hochmütige Blick des andern, der zugleich die Er¬
ihr Schweigen überdröhnen
G.C.H.F.P
Dr. Demel
innerung an seine außergewöhnliche Freigebigkeit von
das mütterlich die Unrast stillt?
G.C.H.P.
Festungen und Philister
gestern abend und unbewußte Verachtung für den
G.C.P.
(Meichert)
Bettler ausstrahlte, der da vor ihm stand, erbitterte
Laß sausen und laß brausen!
G.C.F.P.
Der G. P. U. entronnen usw.
Franz bis zum Wahnsinn, so daß ihm die Augen zu
Das Heil kommt nicht von draußen
glühen begannen. Ein unsäglicher Haß grimmte in ihm
Ertaube du der gellen Gier,
Kosmetik/ Kochrezepts / Kosteniose Graphologie und elle.
auf — breit ausholend hob er seine Hand und gab dem
der wirren Hast! Erblinde
künstlerisches Weihnachts-Preiserätsel mit 74 Preisen
Wohltäter eine mächtige Ohrfeige, daß ihm der Zylinder
dem irren Glast und finde
herunterfiel. Der junge Herr riß zuerst vor Entsetzen
in dunkler Nacht den Pfad zu dir!