A240: Arbeiten über Schnitzler, Seite 54

Bewegtheit und Dämpfung sind korrelative Begriffspaare und
bezeichnen verschiedene Grade. Von bewegt kann man überall da sprechen,
wo Trieb und Drang, wo das Rauschhafte, Ekstatische, Auamische vorzugs-
weise gemeint ist; von gedämpft, wo das Verhaltene, Beruhigte, Ausgeruh-
te, Statische vorherrscht. Bewegtheit und Dämpfung können nun ganz all-
gemein sowohl als Kategorien des inneren Lebens“ verwandt werden, um
eine innere Haltung zu bezeichnen, als auch zur Benennung der „jusseren
Form" dienen. In Bezug auf Form und Inhalt kann man daher bei Melodie,
Geste, Bühne usw. von Bewegtheit und Dämpfung sprechen. Eine äussere ge-
dämpfte Form kann also einer inneren bewegten zugeordnet werden; und um-
gekehrt.
Wer dem Weike Arthur Schnitzlers zum erstenmal begegnet, wird
hier zunächst, ohne den Inhalt nach irgend einer Seite bestimmend festle-
gen zu wollen, eine formale Dämpfung feststellen, einz Distanzierung von
Geschehnissen und Willensäusserungen durch ein leichtes und leises Wort-
gewand. Hugo v. Hofmannsthal, der im Jahre 1892 unter dem Decknamen Lo=
ris den Prolog zu des Dichters Erstlingswerk „Anatol“ schrieb, weiss
schon um die eigenartige Beschaffenheit dieses Gewandes, indem er es als
böser Dinge hübsche Formel, glatte Worte, bunte Bilder, halbes heimli-
ches Empfinden" bezeichnet. Und der Berliner Kritiker Alfred Kerr mahnt
im 4.Bande seines Gesamtwerkes in einer gereimten Kritik einen Darstellen
zur Dämpfung
In Arthurs Welt vom Stil betaut
Lacht man nicht so erfrischend laut.
Schnitzlers Gegenwartsdramen, der überempfindlichen und auch un-
religiösen-Sphäre der Wiener Lebewelt entwachsen, verbinden sprühende Le-
benslust mit liebenswürdiger Unmoral, fein pointierten Witz mit reizende
Causerie und lassen aus leichtsinniger und gedankenloser „Liebelei“ höch-
ste Tragik erwachsen. Feine und flüchtige Empfindungen, zarte Leiden-
schaften und kaum merkliche Enttäuschungen und Entfremdungen gestatten
es diesen Gestalten Schnitzlerscher Gesellschaftsdramatik niemals, den
Bliecks zu richten auf die oftmals aus erschütternder Tragik geborenen
Ereignisse im Weltgeschen. Müde und unausgeglichen spielen diese Mensche
durch die Tage, führen ihr eigenes Leben, dessen höchste Erfüllung oft-
mals innige Umarmungen in schwülen Liebesnächten bedeuten. Wie sagt der
der Fabrikant Friedrich Hofreiter im „Weiten Land“? - „Ja, wir errichten Fabr
ken, schreiben Einfonien, schaffen wesentliche Dinge, aber das sind doch
nur Nebendinge und geschieht nur in den Pausen des Lebens-, das Wichtigst
seid Ihr Ihr! Ihr:
Diese Menschen sind geschlechtlich gebunden. Die Libido fess
den Mann an das Weib. Seltsam, dass die Männer keinen Versuch machen, si
dieser Sinnendikdatur zu entziehen, sondern sich ganz passiv verhalten.
Solche Schwäche ist Erscheinung einer absterbenden Welt; kraftlos lässt
mann sich treiben, verfehlt wäre es, auch nur den Versuch zu einem mu-
tigen Tatbesinnen zuammachen.