A240: Arbeiten über Schnitzler, Seite 115

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Die Ansichten ueber Schnitzler, seine Eigenheit und seine Bedeutung in
der Literaturgeschichte sind so verschieden, wie sie es einem noch le-
benden Dichter gegenueber nur sein koenen. Einen gemeinsamen Annae-
herungspunkt bilden die Schnitzler nachgesagte Blasiertheit, die weiche
Behaglichkeit und seine vorliebe fuer die Behandlung sexeller Probleme.
Besonders wird das sinnliche Element in der Beruehrung solcher Probleme
betont und mit dem wort Frivolitaet als unmoralische Sinnlichkeit, die
in der ernsten deutschen Kunst keinen Platz habe, gebrandmarkt. Es
wuerde vielleicht eine äusserst interessante Arbeit abgeben, die Wand-
lung in der Auffassung geschlechtlicher probleme, wie sie uns auf der
Buehne gegenuebertreten, sagen wir, seit Grillparzers "Juedin von Tole-
do“, neber Hebbel bis auf heute zu verfolgen. Vielleicht wuerde man fin-
den, dass mit der dem Dichter nachhinkenden vergeistigung der Betrach-
tung solcher Probleme die Bedeutung der betreffenden Dichter gewachsen
ist. Was früher als Zweck und Ende angesehen wurde, erscheint heute als
berechtigte Basis, als Mittel zum Zweck, keinesfalls aber mehr als end-
liche Absicht. Die grossen Abstände in der meurteilung Schnitzlers
duerften vielleicht in den die Kritiker trennenden Abstaenden in der VeV-
Geistigung des sexuellen eine Erklaerung finden.
Alfred Biese laest sich ueber Schnitzler folgendermassen aus:
"Der Duft, die Atmosphaere, ist bei Schnitzler die Hauptsache.Die Hand-
lung ist fast immer gewaltsam und gewagt.Der Mittelpunkt, um den sich
elles droht, ist das weib, die Hauptsache immer die Liebelei- so ist der
Alfred Biese, Deutsche Literaturgeschichte, Seite 546