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31. Fraeulein EIse
—
horr wird. Denn Eteinbberg—schlluspielert immer mit. Er
kann den Mund nicht halten während seine Figuren reden.
Er eifert in der Anderen Schicksal hinein ohne ihre Sache
ganz zu der seinigen zu machen. Er findet nie den unverrück¬
baren Punkt im Weltsystem seiner Kunstgestalten. Er läßt
sterben, aber er stirbt nicht mit. All seine Kunst bleibt zur
Hälfte ungegorener Strindbergscher Stoff.
Schnitzler fühlt sich in fremdes Schicksal ein und schafft
von ihm aus ein „Milieu". Strindberg konzentriert in einer
Hauptperson die Wirkungen eines Milieus und mischt sich
persönlich mit Wertung und Urteil in fremde Angelegen¬
heiten. Der wahre Realismus ist weder die psychologische
ge¬
Studie — durch Schnitzlers Formkraft ein Kunstwerk
des
worden — noch die persönlich tendierte Konstruktion
Strindbergschen Einakters. Realismus ist jene Darstellung, die
persönlicher
Flaubert in der „Madame Bovary“ meistert:
Abstand von Figur und Milieu. Nicht einfühlende Scele,
nicht tendenziöser Redner sein; sondern nur Betrachter,
für den der Romanheld in einer nicht nur feelisch einge
bildeten oder vom Dichter ad hoc zusammengesuchten Welt
existiert; nein: der Mensch als Ding unter Dingen.
Ein hervorragendes Beispiel konsequenter Verdichtung von
Einzelwille und Schicksal, Seele und äußerem Geschehen
bietet die längst nicht gebührend bekannte Novelle des großen
Carl Spitteler: „Conrad der Leutnant“ (Diede¬
richs, Jena), worin der Symboliler und Pathetiler seine Be¬
fähigung zum Realstil vor sich selbst und vor der Welt er¬
weisen wollte (1898). Die Erzählung behandelt mit uner¬
hörter Schlagkraft einen Kampf zwischen Vater und Sohn
um die Herrschaft. Kein Muskelkampf, sondern eine Kraft¬
probe der Persönlichkeiten. Trotzdem die Szene nur einen
Bauerngutshof stellt, geschehen in diesem bescheidenen Milieu
Dinge von antiker Großartigkeit: Kampf, Prophetie, Ver¬
Aber
fluchung und Rechtfertigung vor dem Chor des Volkes.
nicht um die herrliche Erzählung zu charakterisieren und zu
preisen, soll sie in dies n Zusammenhang Erwähnung finden.
Es ist ihre Kunstform und des Dichters Kunstwille, die zum
Vergleich mit Schnitzlers „Fräulein Else“ führten.
Auch Spitteler will nämlich die gedrängteste Zeitform und
unbedingte Einheit der Person. Er nennt seine Novelle als
neue Kunstform eine „Darstellung“. Man höre seine Definition,
die mit verblüffender Prägnanz auch dem Buch von „Fräulein
Else“ voranstehen könnte: „Unter „Darstellung“ verstehe
ich eine besondere Kunstform der Prosa=Erzählung mit eigen¬
tümlichem Ziel und mit besonderen Stilgesetzen, welche diesem
Ziel als Mittel dienen. Das Ziel heißt: denkbar innigstes
Miterleben der Handlung. Die Mittel dazu lauten: Einheit
der Person, Einheit der Perspektive, Stätigkeit des zeitlichen
Fortschrittes. Allo diejenigen Gesetze, unter welchen wir in
der Wirklichkeit leben. — Mit erläuternden Worten: D#e
Hauptperson wird gleich mit dem ersten Satze eingeführt und
hinfort nie mehr verlassen. Es wird ferner nur mitgeteilt,
wvas jene wahrnimmt, und das so mitgereilt, wie es sich in
ihrer Wahrnehmung spiegelt. Endlich wird die Handlung
lebensgetreu Stunde für Stunde begleitet, soduß der Er¬
zähler sich nicht gestattet, irgend einen Zeitabschnitt als an¬
geblich unwirklich zu überspringen. Aus dem letzten Gesetz
ergibt sich wiederum die Notwendigkeit, die Handlung binnen
wenigen Stunden verlaufen zu lassen.“
Bei Spitteler konnte es kein Monolog werden (trotzdem er
in und wieder Reflexionen Conrads monologisch geben
muß). Denn er will Mensch und wirkliche Welt — nicht die
— ins kämpferische
durch die Seele imaginär gewordene
Wechselspiel stellen. Wenn auch Spitteler glaubt, das Milieu
nur durch seinen Helden zu spiegeln, so ist seine Art der
Schilderung durchaus direkt. Er ist sich des dramatischen
Lebens solcher in krasser Knappheit eilenden Dialektik bewußt.
be zum Detail verbietet ihm das Drama.
Aber die episch¬
ff zu Stoff, strengster Naturalist in der
Er konzentriert
die künstlerische Begnadung. Er bleibt
Absicht: Form¬
Stoffes. Ist nie wie der einfühlende
ganz außerhall¬
Seen seines Helden restlos eingegangen.
Schnitzler in die
als Person ins Drama anderer Leute. Er
Drängt sich nicht
ist echtester Epiker.
die Prosa ist nicht die Spitteler gemäße
Allerdings:
Naturalisten gewordene Jambiker schreibt
Rede. Der zum
seinen Stil aus dem schweizerischen Vulgär¬
wie Gottheif —
tim heraus, und überall, wo die gewohnte Volks= und Um¬
gangssprache für höhere Schwinaungen die Worte nicht leicht
und billig hergibt, kommt Ungelenkes in die Gliederung der
Perioden. Und doch ist diese Natur=Prosa im Munde eines
erlebenden Künstlers fähiger zur Schilderung erhabener Be¬
ebenheiten als die artistische überbildete Sprache eines Carl
Sternheim, wenn er sich Dinge vornimmt, für deren Kunst¬
erfassung ihm die Phantasie und das wahrhaftige Erlebnis
fehlen.
*
Der einfühlende Schnitzler verwandelt sich — mit gro߬
artigem Vorbehalt seiner persönlichen Distanz — in den Kunst¬
leib seiner Romanfigur und erlebt sie in seinem imaginären
Kunst=Ich.
Der schauspielerische Strindberg spielt in naturalistisch
objektivierten Situationen sich selber mit.
Spilteter dlelot als Spir
Milieu; und beweist sein
nd
nteressierte Anteilnahme.
lich
Sie alle aber erleben
die
Form ihrer zum Teil vil
obachteten, zum Teil gedachte
Sternheim aber, in
wohl eine Erzährung sein
Gogh“ (Verlag die Schmie
sondern lediglich Gedachtes.
ondern durch Literatur. El
die beiden berühmten Maler.
biographische Aperaus herum
kunstphilosophische Tendenz in
Aeußerungen die Tragik va
Gauguins Stilwillen nur no
kraß und panisch furchtbaren
will. Nach einem unsäglich
Kunstmeinungen und Lebens
einer Pointe: wo sich der
abschneidet; dann im Irre
Einsamkeit — keiner Rühmu
mehr zugänglich — Selbstme
Es tönt wie Ironie, daß h
ür einen Propagator von
Zumal hier die Gestaltungsa
Gogh vor uns lebendig mach
„Essayz“ herumlaufen läßt.
„Hier war großer Kunstwert
Blitz fuhr die Erkenn
führung“ — wer solche Ue
zwang von sich gibt, des'
Vertrauen. Spürte man
Sehnsucht nach Einfühlung
igur, ahnte man einen
mischung in jene Schicksale
behren muß — dann könnte
ergreisenden Gegenstands un
weder Wirklichkeit, noch Kun
und nur die Klugheit ein pa
getränkt und ungespeist in
stellerei
Denn Kunst ist Form,
seelischer Imagination und
viele. Den Dauerwert bestin
31. Fraeulein EIse
—
horr wird. Denn Eteinbberg—schlluspielert immer mit. Er
kann den Mund nicht halten während seine Figuren reden.
Er eifert in der Anderen Schicksal hinein ohne ihre Sache
ganz zu der seinigen zu machen. Er findet nie den unverrück¬
baren Punkt im Weltsystem seiner Kunstgestalten. Er läßt
sterben, aber er stirbt nicht mit. All seine Kunst bleibt zur
Hälfte ungegorener Strindbergscher Stoff.
Schnitzler fühlt sich in fremdes Schicksal ein und schafft
von ihm aus ein „Milieu". Strindberg konzentriert in einer
Hauptperson die Wirkungen eines Milieus und mischt sich
persönlich mit Wertung und Urteil in fremde Angelegen¬
heiten. Der wahre Realismus ist weder die psychologische
ge¬
Studie — durch Schnitzlers Formkraft ein Kunstwerk
des
worden — noch die persönlich tendierte Konstruktion
Strindbergschen Einakters. Realismus ist jene Darstellung, die
persönlicher
Flaubert in der „Madame Bovary“ meistert:
Abstand von Figur und Milieu. Nicht einfühlende Scele,
nicht tendenziöser Redner sein; sondern nur Betrachter,
für den der Romanheld in einer nicht nur feelisch einge
bildeten oder vom Dichter ad hoc zusammengesuchten Welt
existiert; nein: der Mensch als Ding unter Dingen.
Ein hervorragendes Beispiel konsequenter Verdichtung von
Einzelwille und Schicksal, Seele und äußerem Geschehen
bietet die längst nicht gebührend bekannte Novelle des großen
Carl Spitteler: „Conrad der Leutnant“ (Diede¬
richs, Jena), worin der Symboliler und Pathetiler seine Be¬
fähigung zum Realstil vor sich selbst und vor der Welt er¬
weisen wollte (1898). Die Erzählung behandelt mit uner¬
hörter Schlagkraft einen Kampf zwischen Vater und Sohn
um die Herrschaft. Kein Muskelkampf, sondern eine Kraft¬
probe der Persönlichkeiten. Trotzdem die Szene nur einen
Bauerngutshof stellt, geschehen in diesem bescheidenen Milieu
Dinge von antiker Großartigkeit: Kampf, Prophetie, Ver¬
Aber
fluchung und Rechtfertigung vor dem Chor des Volkes.
nicht um die herrliche Erzählung zu charakterisieren und zu
preisen, soll sie in dies n Zusammenhang Erwähnung finden.
Es ist ihre Kunstform und des Dichters Kunstwille, die zum
Vergleich mit Schnitzlers „Fräulein Else“ führten.
Auch Spitteler will nämlich die gedrängteste Zeitform und
unbedingte Einheit der Person. Er nennt seine Novelle als
neue Kunstform eine „Darstellung“. Man höre seine Definition,
die mit verblüffender Prägnanz auch dem Buch von „Fräulein
Else“ voranstehen könnte: „Unter „Darstellung“ verstehe
ich eine besondere Kunstform der Prosa=Erzählung mit eigen¬
tümlichem Ziel und mit besonderen Stilgesetzen, welche diesem
Ziel als Mittel dienen. Das Ziel heißt: denkbar innigstes
Miterleben der Handlung. Die Mittel dazu lauten: Einheit
der Person, Einheit der Perspektive, Stätigkeit des zeitlichen
Fortschrittes. Allo diejenigen Gesetze, unter welchen wir in
der Wirklichkeit leben. — Mit erläuternden Worten: D#e
Hauptperson wird gleich mit dem ersten Satze eingeführt und
hinfort nie mehr verlassen. Es wird ferner nur mitgeteilt,
wvas jene wahrnimmt, und das so mitgereilt, wie es sich in
ihrer Wahrnehmung spiegelt. Endlich wird die Handlung
lebensgetreu Stunde für Stunde begleitet, soduß der Er¬
zähler sich nicht gestattet, irgend einen Zeitabschnitt als an¬
geblich unwirklich zu überspringen. Aus dem letzten Gesetz
ergibt sich wiederum die Notwendigkeit, die Handlung binnen
wenigen Stunden verlaufen zu lassen.“
Bei Spitteler konnte es kein Monolog werden (trotzdem er
in und wieder Reflexionen Conrads monologisch geben
muß). Denn er will Mensch und wirkliche Welt — nicht die
— ins kämpferische
durch die Seele imaginär gewordene
Wechselspiel stellen. Wenn auch Spitteler glaubt, das Milieu
nur durch seinen Helden zu spiegeln, so ist seine Art der
Schilderung durchaus direkt. Er ist sich des dramatischen
Lebens solcher in krasser Knappheit eilenden Dialektik bewußt.
be zum Detail verbietet ihm das Drama.
Aber die episch¬
ff zu Stoff, strengster Naturalist in der
Er konzentriert
die künstlerische Begnadung. Er bleibt
Absicht: Form¬
Stoffes. Ist nie wie der einfühlende
ganz außerhall¬
Seen seines Helden restlos eingegangen.
Schnitzler in die
als Person ins Drama anderer Leute. Er
Drängt sich nicht
ist echtester Epiker.
die Prosa ist nicht die Spitteler gemäße
Allerdings:
Naturalisten gewordene Jambiker schreibt
Rede. Der zum
seinen Stil aus dem schweizerischen Vulgär¬
wie Gottheif —
tim heraus, und überall, wo die gewohnte Volks= und Um¬
gangssprache für höhere Schwinaungen die Worte nicht leicht
und billig hergibt, kommt Ungelenkes in die Gliederung der
Perioden. Und doch ist diese Natur=Prosa im Munde eines
erlebenden Künstlers fähiger zur Schilderung erhabener Be¬
ebenheiten als die artistische überbildete Sprache eines Carl
Sternheim, wenn er sich Dinge vornimmt, für deren Kunst¬
erfassung ihm die Phantasie und das wahrhaftige Erlebnis
fehlen.
*
Der einfühlende Schnitzler verwandelt sich — mit gro߬
artigem Vorbehalt seiner persönlichen Distanz — in den Kunst¬
leib seiner Romanfigur und erlebt sie in seinem imaginären
Kunst=Ich.
Der schauspielerische Strindberg spielt in naturalistisch
objektivierten Situationen sich selber mit.
Spilteter dlelot als Spir
Milieu; und beweist sein
nd
nteressierte Anteilnahme.
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Sie alle aber erleben
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Form ihrer zum Teil vil
obachteten, zum Teil gedachte
Sternheim aber, in
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sondern lediglich Gedachtes.
ondern durch Literatur. El
die beiden berühmten Maler.
biographische Aperaus herum
kunstphilosophische Tendenz in
Aeußerungen die Tragik va
Gauguins Stilwillen nur no
kraß und panisch furchtbaren
will. Nach einem unsäglich
Kunstmeinungen und Lebens
einer Pointe: wo sich der
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Einsamkeit — keiner Rühmu
mehr zugänglich — Selbstme
Es tönt wie Ironie, daß h
ür einen Propagator von
Zumal hier die Gestaltungsa
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„Hier war großer Kunstwert
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weder Wirklichkeit, noch Kun
und nur die Klugheit ein pa
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Denn Kunst ist Form,
seelischer Imagination und
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