31. Fraeulein Else
„..
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Gedanken beginnen sich zu jagen, bohrend und hemmungslos. Wie sie sich
in den Zynismus zu retten versucht: „Wie wär's, Papa, wenn ich mich heute
Abend versteigerte? Um dich vor dem Zuchthaus zu retten. Schon geistert
einmal, zweimal das Veronal durch ihr zuckendes Hirn. Sie schüttet das Pulver
ins Wasserglas. „Mir scheint, ich werde verrückt.“ „Ich bin ja so furchtbar
allein. Wird sie, kann sie jenen bitten? Aber es muss sein. Sie geht hinunter.
Schon sieht sie ihn: weiter, weiter! Sie spricht ihn an und fühlt seinen infam
zudringlichen Blick auf sich ruhn.. aber sie stößt („wenn man einmal so tief
gesunken ist“) die Bitte hervor.
— Geld? So viel Geld? — Nicht.., sie hat
es ja gewusst. Sie bittet um Entschuldigung.
— O doch, doch, aber („alles
auf der Welt hat seinen Preis“) unter einer Bedingung: sie solle sich ihm einmal
hüllenlos zeigen. — Ihr armes Gehirn zuckt zusammen. Soll sie ihm ins Ge¬
sicht schlagen? Aber sie ist wie gelähmt. Nur Blicke wie Todfeinde. Er geht,
unwissend, ob sie kommen wird. Sie ist aus dem Menschlichen geworfen.
Verstört: „Es wird dir nichts anderes übrig bleiben, Papa, du musst dich um¬
bringen. Es kommt ihr die schreckliche Vision von der Verhaftung, von Ge¬
richtssaal und Zuchthaus. Sie besucht den Vater im Kerker, er tritt ihr in
Sträflingskleidern entgegen. Stummer, schrecklicher Blick: „Else, wenn du mir
damals das Geld verschafft hättest... Ihre Gedanken werden immer hem¬
mungsloser, widersinniger. Erbitterung über ihre bürgerliche Erziehung: „Sie
haben mich ja doch nur daraufhin erzogen, dass ich mich verkaufe, so oder so.
Verzweifelnd sucht sie sich wieder in den Zynismus zu retten. Ihre Verzweiflung
wächst ins Unausdenkbare, als ihr ein beschwörendes Telegramm von der Mama
kommt. Wirr, entkleidet sie sich, nimmt nur den Mantel um und geht in den
Gesellschaftsaal. Sie sucht verstört nach jenem Herrn: ich muss ihn suchen,
fühlt sie, „bis an mein Lebensende“. Da kommt er. .. Sie bricht zusammen.
Auf ihr Zimmer gebracht, trinkt sie in einem unbewachten Augenblick das
Veronal. „Sie hat sich selber umgebracht, werden sie sagen. Ihr habt mich
umgebracht, ihr alle, ihr alle!“ In wachsender Betäubung hört sie den Chor
der Welt, der Berge, der Sterne, der Wälder. Sie fliegt: „Gib mir die Hand,
Papa, wir fliegen zusammen.
Es ist eine starke, erschütternde Novelle, die reifste des Dichters, herb¬
sachlich, von einer spröden Wahrhaftigkeit, aus der heimlich und schlicht das
schamvolle Mitleid mit der schicksalshaft in sich gefangenen, einsamen, armen
Menschenseele steigt. Und doch konnte man kürzlich wieder, wie zuletzt bei
der Komödie der Ferführung, hochmütige Radikale, selbstgerecht wie sie sind.
von Schnitzlers Kunst als von einer abgelebten, gestrigen, hohlen sprechen
hören, jenen subalternen Hochmut der Ewig-Heutigen, die sich für Morgise
halten, für Gewandelte und Erlöste, die schon „hier“ im Reiche der Erlösung.
weilen und wirken, während Schnitzler „drüben“ geblieben ist, in der über¬
wundenen, in seiner ethoslosen, unmetaphysischen, ungeistigen Welt. Diese
Aburteilungen, diese Vorwürfe meinen letztlich die schnitzlerische Skepens.
die aller Unbedingtheit fremd und fern bleibt. Aber ist ein Künstlertum, das
ehrlich genug ist, sich und wohl auch anderen zu sagen, dass ein Absolutes.
ob neu oder alt, unmöglich ist, und das darum großen Worten abhold bleibt,
fern allem Pathos, aber streng und liebend in seiner Freiheit, beherrscht und
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gefasst, ist ein sol
liebenswert als ir
Und kann überha
Ehrlichkeit einer
zukommt: Erkenn
eine geistige und
Glauben: Haltung
aller Zweifel und
große Worte und
Man weiß, wie
ein wenig empfin
liche Welt mit a
immer fragwürdig
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ich,
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Er über
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9 S.
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Gedanken beginnen sich zu jagen, bohrend und hemmungslos. Wie sie sich
in den Zynismus zu retten versucht: „Wie wär's, Papa, wenn ich mich heute
Abend versteigerte? Um dich vor dem Zuchthaus zu retten. Schon geistert
einmal, zweimal das Veronal durch ihr zuckendes Hirn. Sie schüttet das Pulver
ins Wasserglas. „Mir scheint, ich werde verrückt.“ „Ich bin ja so furchtbar
allein. Wird sie, kann sie jenen bitten? Aber es muss sein. Sie geht hinunter.
Schon sieht sie ihn: weiter, weiter! Sie spricht ihn an und fühlt seinen infam
zudringlichen Blick auf sich ruhn.. aber sie stößt („wenn man einmal so tief
gesunken ist“) die Bitte hervor.
— Geld? So viel Geld? — Nicht.., sie hat
es ja gewusst. Sie bittet um Entschuldigung.
— O doch, doch, aber („alles
auf der Welt hat seinen Preis“) unter einer Bedingung: sie solle sich ihm einmal
hüllenlos zeigen. — Ihr armes Gehirn zuckt zusammen. Soll sie ihm ins Ge¬
sicht schlagen? Aber sie ist wie gelähmt. Nur Blicke wie Todfeinde. Er geht,
unwissend, ob sie kommen wird. Sie ist aus dem Menschlichen geworfen.
Verstört: „Es wird dir nichts anderes übrig bleiben, Papa, du musst dich um¬
bringen. Es kommt ihr die schreckliche Vision von der Verhaftung, von Ge¬
richtssaal und Zuchthaus. Sie besucht den Vater im Kerker, er tritt ihr in
Sträflingskleidern entgegen. Stummer, schrecklicher Blick: „Else, wenn du mir
damals das Geld verschafft hättest... Ihre Gedanken werden immer hem¬
mungsloser, widersinniger. Erbitterung über ihre bürgerliche Erziehung: „Sie
haben mich ja doch nur daraufhin erzogen, dass ich mich verkaufe, so oder so.
Verzweifelnd sucht sie sich wieder in den Zynismus zu retten. Ihre Verzweiflung
wächst ins Unausdenkbare, als ihr ein beschwörendes Telegramm von der Mama
kommt. Wirr, entkleidet sie sich, nimmt nur den Mantel um und geht in den
Gesellschaftsaal. Sie sucht verstört nach jenem Herrn: ich muss ihn suchen,
fühlt sie, „bis an mein Lebensende“. Da kommt er. .. Sie bricht zusammen.
Auf ihr Zimmer gebracht, trinkt sie in einem unbewachten Augenblick das
Veronal. „Sie hat sich selber umgebracht, werden sie sagen. Ihr habt mich
umgebracht, ihr alle, ihr alle!“ In wachsender Betäubung hört sie den Chor
der Welt, der Berge, der Sterne, der Wälder. Sie fliegt: „Gib mir die Hand,
Papa, wir fliegen zusammen.
Es ist eine starke, erschütternde Novelle, die reifste des Dichters, herb¬
sachlich, von einer spröden Wahrhaftigkeit, aus der heimlich und schlicht das
schamvolle Mitleid mit der schicksalshaft in sich gefangenen, einsamen, armen
Menschenseele steigt. Und doch konnte man kürzlich wieder, wie zuletzt bei
der Komödie der Ferführung, hochmütige Radikale, selbstgerecht wie sie sind.
von Schnitzlers Kunst als von einer abgelebten, gestrigen, hohlen sprechen
hören, jenen subalternen Hochmut der Ewig-Heutigen, die sich für Morgise
halten, für Gewandelte und Erlöste, die schon „hier“ im Reiche der Erlösung.
weilen und wirken, während Schnitzler „drüben“ geblieben ist, in der über¬
wundenen, in seiner ethoslosen, unmetaphysischen, ungeistigen Welt. Diese
Aburteilungen, diese Vorwürfe meinen letztlich die schnitzlerische Skepens.
die aller Unbedingtheit fremd und fern bleibt. Aber ist ein Künstlertum, das
ehrlich genug ist, sich und wohl auch anderen zu sagen, dass ein Absolutes.
ob neu oder alt, unmöglich ist, und das darum großen Worten abhold bleibt,
fern allem Pathos, aber streng und liebend in seiner Freiheit, beherrscht und
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gefasst, ist ein sol
liebenswert als ir
Und kann überha
Ehrlichkeit einer
zukommt: Erkenn
eine geistige und
Glauben: Haltung
aller Zweifel und
große Worte und
Man weiß, wie
ein wenig empfin
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