I, Erzählende Schriften 31, Fräulein Else, Seite 248

Heilkräftigste
Radiumtherme der Well!
Verlangen Sie Prospekte
von der Kurkommission!
„OBSERVER
Erstes österreichisches be¬
hördlich konzessioniertes
Unternehmen
für Zeitungsausschnitte
WIEN,
I.,
Wollzeile
11
t Telephon R 23-0-43
GRATS
Ausschnif
uager Tagespost, uraz
vom A BENDAUSGABM

-9 0
Die Komödie des Kaspar Brandhofer.
In den gestrigen Wiener Blättern
teilte die Direktion des Theaters in der
Josefstadt mit, daß der in „Fräulein Else“
in der Rolle des Herrn v. Dorsday zur¬
zeit unter dem Namen Kaspar Brand¬
hofer auftretende Darsteller, wie sich
nunmehr ergeben hat und wie er selbst
die Direktion wissen ließ, mit dem Schau¬
pieler Leo Reuß identisch ist. Aus
ünstlerischen und menschlichen Rücksichten
hat die Direktion davon Abstand genom¬
men, aus dem Vorfall disziplinäre Fol¬
gerungen zu ziehen.
Im vergangenen Festspielsommer, erschien in
Schloß Leopoldskron bei Salzburg ein breit¬
schultriger Mann mit blondem Haar und langem
Bart, in ländlicher Tracht, nannte sich Kaspar
Brandhofer und erklärte, er wäre ein Pinzgauer
Bauer, hätte in jahrelangem Selbstunterricht die
Schauspielkunst erlernt und wolle sich von Max
1
31. Fraeulein Else
„„„
Reinhardt prüfen lassen. Er erreicht, daß Frau
Helene Reinhardt=Thimig ihn anhört (er spricht
einige klassische Monologe in einwandfreier Atem¬
technik!) und ihn ihrem Gatten empfiehlt, de ihn
einerseits an den Direktor des Wiener Josef¬
städter Theater weiterempfiehlt. Der hörte ihn
ebenfalls an und rät ihm, sich der Befähigungs¬
prüfung beim Ring der Bühnenkünstler zu unter¬
ziehen. Diese fällt glänzend aus und Direktor
E. Lothar engagiert ihn.
Nun stürzt sich die Presse auf den Fall. Es
erscheint Interview auf Interview, alles beschäf¬
tigt sich mit dem Bauern, der sein Gut einfach
verläßt, weil ihn der Theaterteufel eben erfaßt
hat, wie sonst nur comantische Jünglinge und
unge Mädchen, Verwunderlich nur, daß niemand
auf den Gedanken gekommen ist, ihn zu fragen,
wo denn eigentlich sein Gut liege. Journalisten
ind doch sonk so findig. Aber da ist man recht
großzügig. Die einen sagen im Pinzgau, die
andern in Tirol. Aber das fällt über die große
Sensation nicht weiter auf und schließlich sind
owohl das Salzburgische wie das Tirolische der
Mehrzahl der Wiener Journalisten fremde
Dialekte. Oder hat Herr Brandhofer gar nicht im
Dialekt gesprochen? Schließlich braucht man auch
zar nicht erst Dialekt zu sprechen, wenn man
Brandhofer heißt. Freilich Kaspar, das erinnert
verteufelt an jenen mysteriösen Kaspar Hauser,
von dessen Herkunft man nie Näheres erfahren
konnte. Aber schließlich der blonde Bart! Es##t
auch nicht weiter verdächtig, daß der Mann, der
sich so leicht von Weib und Kind, von Haus und
Hof trennen konnte, erklärt, er könne sich von
rische Eignung vorausgesetzt. Hat wirklich keiner
seinem Bart nicht trennen, mit dem wolle er auch
der Leute vom Theater und der Zeitung von der
auf der Bühne erscheinen.
Komödie etwas gemerkl? Hat ihn wirklich
iemand erkannt? Nicht Reinhardt, Thimig,
Allerdings nach der Premiere — der Bauer
Bassermann, die doch auch damals in Berlin
spielt eine der Schnitzlerschen Verfallstypen! —
Theater spielten? Schließlich mag es wohl möglich
beginnt man sich mit diesem Bart zu beschäftigen.
ein, der ahnungslosen Schloßherrin von Leopold¬
Nun munkelt man, daß so ein Bart ja nicht immer
kron eine kurze ländliche Szene vorzuspielen. Aber
blond gewesen sein müsse und daß man sich
ollte es wirklich möglich sein in wochenlangen
dahinter gut verstecken könne. Auch die schauspiele¬
Proben unerkannt einen Bauern zu spielen, der
rische Routine fällt den Kritikern auf und einer
eine Schnitzlersche Figur spielt, doppeltes Theater
meint, diese Schauspielkunst müsse ihm vom lieben
also? Alle Achtung vor solchem Talent!
Gott geschenkt sein — wenn sie nicht doch von
Vielleicht wurde diese Komödie doch nur dem
Werner Krauß ist. Man erinnert sich, daß gleich¬
Wiener Publikum vorgespielt, das sich vor lauter
zeitig mit Werner Krauß ein Schauspieler Leo
echten und unechten, maskierten und nichtmas¬
Reuß in Berlin aufgetreten sei, der gewisse
bierten Bauern auf der Bühne und im Leben nicht
Ahnlichkeit mit Brandhofer habe. Aber man
mehr auskennt.
könne sich auch täuschen.
Und nun hat gestern die Direktion des Josef¬
städter Theaters verlautbart, Kaspar Brandhofer
ist Leo Reuß. Aug künstlerischen, wie aus mensch¬
lichen Gründen gehe sie von einer disziplinären
Behandlung ab.
Was wird nun der Ring der Bühnenkünstler
dazu sagen? Gilt das Zeugnis, das Kaspar Brand¬
hofer erworben hat, auch für Leo Reuß? Und was
sagt die Behörde, wenn Leo Reuß sein Zeugnis
unter falschem Namen erworben hat?
Und wozu überhaupt die Komödie. Leo Reuß,
der Gatte.von Agnes Straub, konnte aus rassischen
Gründen — der Bart war ursprünglich schwarz
in Berlin nicht mehr auftreten. Das wäre doch
für Wien kein Hindernis gewesen — die künstle¬
box 5