asanovas Heimfahr
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Die Neue Zeit.
schaft durchleuchtet. Für einen Augenblick fühlt man sich fast um einige Jahr¬
hundert zurückversetzt, in jene Tage, da an der florentinischen Akademie Männer
und Frauen wissenschaftliche Zwiesprach hielten, um sich das eine in des anderen
Herz hineinzustehlen. Die gelehrte Marcolina, eine ins achkzehnte Jahrhundert ver¬
schlagene Renaissanceschönheit in erster Jugendblüte, hat es Casanova angetan.
Was kümmert ihn da die fette Wirkin zum goldenen Löwen in Mankua, aus
deren Armen er sich mit Mühe losgerissen hat, um der Einladung des würdigen
Gatten einer früheren Jugendgeliebten aufs Land zu folgen? Was die leuchtenden
Sehnsuchtsaugen eben dieser Amalia von Anno dazumal, die ihn immer noch wie
damals anschmachten? Da ist dem gewissenlosen Feinschmecker deren vierzehn¬
jährige Tochter Theresa lieber. Marcolina hin, Marcolina her, er kann nicht so
lange warten, bis er ihren Trotz gebrochen hat. Im ersten unbewachten Augenblick
muß Theresa schnell daranglauben, dann erst geht er ans eigentliche Werk. Auch
hier helfen ihm, wie im früheren Leben, nacheinander Spiel, Gold, Lug und Trug
und plumpe Vergewaltigung endlich zum Siege, aber auch zur größten Niederlage
seines Lebens — in dem Augenblick, da er nach genossener Liebesnacht die ent¬
setzten Blicke des jungen Mädchens auf seinem Greisenkörper haften fühlt! Dann
noch am Gartentor der Zweikampf zweier nackter Männer im Morgengrauen.
Die Leiche des jungen Offiziers, dem er die falsche Brautnacht bei der Geliebten
abgekauft hat, ist die letzte Spur des geriebenen Abenteurers, der bereits im be¬
stellten Wagen davongerast ist. Das alles erzählt uns Schnitzler erst in gedämpftem
Tone beschaulicher Erinnerung, dann mit der fliegenden Hast der sich überstürzen-
den Ereignisse. Es ist wirklich eine Flucht aus dem Leben, dies letzte Abenteuey
des vielbeschäftigten Müßiggängers, in dessen Dasein sich die ganze Leere jengt
äußerlich blendenden, vorrevolutionären Gesellschaft spiegelt, die von sich selber zu
sagen pflegte: „Nach uns die Sintflutle
Albrecht Schaeffer, Gudula oder die Dauer des Lebens. Erzählung. Pespzig
1918, Inselverlag. Preis gebunden 5 Mark.
Wie ein zartes Geigenadagio in einem mondbeglänzten Schloßpark, in dessen
verstecktester Laube die blaue Blume der Nomantik blüht, klingt und verklingt
diese Mär aus Urgroßvätertagen. Diese trotzige Prinzessin Gudula, die, aller
Etikette des kleinstädtischen Hofes zum Trotze, dem Bildhauer Longinus für das
Grabdenkmal ihrer Großmutter Modell steht und dabei Leib und Seele an ihn
verliert, ist selbst ein Stück Romantik. Wie sie mit ihm nach Italien flieht, wird
sie von den Ihren aus der Liste der Lebenden gestrichen. Bei ihrer Schwieger¬
mutter, der Witwe des Dorfschmieds, lernt dann das verwöhnte Persönchen das
Leben kennen, die Not, den Kampf und die Arbeit ums tägliche Brot. Während
er Anno 13 fürs Vaterland in Frankreich kämpft, harrt sie geduld'g seiner Wieder¬
kunft. Aber welcher Wiederkunft! Ein an Leib und Seele Gebrochener kehrt er
zurück. Bei Leipzig hat ihm eine Kanonenkugel den rechten Arm zerschmettert.
Sie muß für ihn sorgen wie für ein Kind und verdingt sich nach Weimar, um in
vornehmen Häusern die Gäste zu bedienen. Dort wird sie von Goethe entdeckt.
Der Allesverstehende bringt ihr Trost. Aber auch sie ihm; denn zu eben jener Zeit
stirbt seine Christiane. Diese stillen Stunden des gegenseitigen Schmerzes und Ver¬
stehens sind vielleicht das Zarteste, was über Goethes Innenleben geschrieben
wurde. Von diesem Augenblick an verebbt die Erzählung. Longinus lebt wieder
auf, wird ein geschätzter Porträtmaler in Weimar und stirbt 1848 als Freiheiks¬
kämpfer auf den Barrikaden. Die tapfere Gudula, die ihm ein halbes Dutzend
Kinder geboren hat, betrauert den Geliebten aufrichtig und geht auf Reisen. Dieser
Schluß ist bloß angehängt. Hier wird das Leben zum Bericht. Umsonst müht sich
der Dichter, den verträumten Ton festzuhalten. Das Jahr 1848 machte der Ro¬
mantik den Garaus. Ihre goldenen Spinnweben verflatterten im Sturmwind.
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Die Neue Zeit.
schaft durchleuchtet. Für einen Augenblick fühlt man sich fast um einige Jahr¬
hundert zurückversetzt, in jene Tage, da an der florentinischen Akademie Männer
und Frauen wissenschaftliche Zwiesprach hielten, um sich das eine in des anderen
Herz hineinzustehlen. Die gelehrte Marcolina, eine ins achkzehnte Jahrhundert ver¬
schlagene Renaissanceschönheit in erster Jugendblüte, hat es Casanova angetan.
Was kümmert ihn da die fette Wirkin zum goldenen Löwen in Mankua, aus
deren Armen er sich mit Mühe losgerissen hat, um der Einladung des würdigen
Gatten einer früheren Jugendgeliebten aufs Land zu folgen? Was die leuchtenden
Sehnsuchtsaugen eben dieser Amalia von Anno dazumal, die ihn immer noch wie
damals anschmachten? Da ist dem gewissenlosen Feinschmecker deren vierzehn¬
jährige Tochter Theresa lieber. Marcolina hin, Marcolina her, er kann nicht so
lange warten, bis er ihren Trotz gebrochen hat. Im ersten unbewachten Augenblick
muß Theresa schnell daranglauben, dann erst geht er ans eigentliche Werk. Auch
hier helfen ihm, wie im früheren Leben, nacheinander Spiel, Gold, Lug und Trug
und plumpe Vergewaltigung endlich zum Siege, aber auch zur größten Niederlage
seines Lebens — in dem Augenblick, da er nach genossener Liebesnacht die ent¬
setzten Blicke des jungen Mädchens auf seinem Greisenkörper haften fühlt! Dann
noch am Gartentor der Zweikampf zweier nackter Männer im Morgengrauen.
Die Leiche des jungen Offiziers, dem er die falsche Brautnacht bei der Geliebten
abgekauft hat, ist die letzte Spur des geriebenen Abenteurers, der bereits im be¬
stellten Wagen davongerast ist. Das alles erzählt uns Schnitzler erst in gedämpftem
Tone beschaulicher Erinnerung, dann mit der fliegenden Hast der sich überstürzen-
den Ereignisse. Es ist wirklich eine Flucht aus dem Leben, dies letzte Abenteuey
des vielbeschäftigten Müßiggängers, in dessen Dasein sich die ganze Leere jengt
äußerlich blendenden, vorrevolutionären Gesellschaft spiegelt, die von sich selber zu
sagen pflegte: „Nach uns die Sintflutle
Albrecht Schaeffer, Gudula oder die Dauer des Lebens. Erzählung. Pespzig
1918, Inselverlag. Preis gebunden 5 Mark.
Wie ein zartes Geigenadagio in einem mondbeglänzten Schloßpark, in dessen
verstecktester Laube die blaue Blume der Nomantik blüht, klingt und verklingt
diese Mär aus Urgroßvätertagen. Diese trotzige Prinzessin Gudula, die, aller
Etikette des kleinstädtischen Hofes zum Trotze, dem Bildhauer Longinus für das
Grabdenkmal ihrer Großmutter Modell steht und dabei Leib und Seele an ihn
verliert, ist selbst ein Stück Romantik. Wie sie mit ihm nach Italien flieht, wird
sie von den Ihren aus der Liste der Lebenden gestrichen. Bei ihrer Schwieger¬
mutter, der Witwe des Dorfschmieds, lernt dann das verwöhnte Persönchen das
Leben kennen, die Not, den Kampf und die Arbeit ums tägliche Brot. Während
er Anno 13 fürs Vaterland in Frankreich kämpft, harrt sie geduld'g seiner Wieder¬
kunft. Aber welcher Wiederkunft! Ein an Leib und Seele Gebrochener kehrt er
zurück. Bei Leipzig hat ihm eine Kanonenkugel den rechten Arm zerschmettert.
Sie muß für ihn sorgen wie für ein Kind und verdingt sich nach Weimar, um in
vornehmen Häusern die Gäste zu bedienen. Dort wird sie von Goethe entdeckt.
Der Allesverstehende bringt ihr Trost. Aber auch sie ihm; denn zu eben jener Zeit
stirbt seine Christiane. Diese stillen Stunden des gegenseitigen Schmerzes und Ver¬
stehens sind vielleicht das Zarteste, was über Goethes Innenleben geschrieben
wurde. Von diesem Augenblick an verebbt die Erzählung. Longinus lebt wieder
auf, wird ein geschätzter Porträtmaler in Weimar und stirbt 1848 als Freiheiks¬
kämpfer auf den Barrikaden. Die tapfere Gudula, die ihm ein halbes Dutzend
Kinder geboren hat, betrauert den Geliebten aufrichtig und geht auf Reisen. Dieser
Schluß ist bloß angehängt. Hier wird das Leben zum Bericht. Umsonst müht sich
der Dichter, den verträumten Ton festzuhalten. Das Jahr 1848 machte der Ro¬
mantik den Garaus. Ihre goldenen Spinnweben verflatterten im Sturmwind.