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24. Das Land
hnitt aus: Das Forum, Winn
-.1 NOV 1911
EA
Ee Theater, Kunst u. Literatur
2
Burgtheater. „Das weite Land.“ Tragikomödie
in fünf Akten von Arthur Schnitzler, Wenn ein
Dichter fehlt, so sind auch seine Ferterschön, und er
ehtzückt uns durch sein holdes Irren. „Das weite Land“,
Xdas ist die menschliche Seele, wie ein Dichter oder ein
Hoteldirektor oder wer immer recht verschwommen ge¬
sagt hat, und miin unternimmt Schnitzler einen Ritt in
dieses weite Land. Wir Menschen wissen eigentlich gar
nicht, was in uns vorgeht, und wir können die Gefühle
nicht genau bestimmen, die uns erfüllen. Das ist das
Thema, das vom Dichter bewiesen werden will, und
sein Thema wäre vielleicht noch klarer geworden, wenn
er einfach gesagt hätte, dass wir Menschen glauben,
DRUM“
V. Jahrg.
jenes Gefühl beherrsche uns, das soehen, gleichsam auf
der Oberfläche unseres Herzens, einhierschwimmt. Ein
Mensch kann uns gleichgiltig sein und dennoch kann er
uns zugleich ganz gewaltig interessieren; und wir können
ihn liessen und zugleich lieben; ihn hochschätzen und
zugleich verachten. So liebt auch Genia ihren Galten,
den Fabrikanten Friedrich Hofreiter, — Anatol nach
vollendetem vierzigsten Lebensjahre — und dabei hasst
sie ihn, weil er sie vernachlässigt, und sie verachtet ihn
wegen seiner unmännlichen Launenhaftigkeit, und doch
schätzt sie ihn wieder wegen seiner männlichen Führung
der Geschäfte, und sie hat sich zur Gleichgilligkeit gegen
ihn emporgerungen, weil er sie fortwährend betrügt, und
sie interessiert sich für ihn, weil es ein reizvolles Spiel
ist, das er da mit den Weibern treibt. Das Stück be¬
ginnt mit dem Begräbnis des Klavierspielers Korsakov,
der sich tötete, weil Genia ihn nicht erhören wollte, und
das Stück endigt — der Reigen schliesst sich! —
mit
dem Tode des Marinefähnrichs Otto, der wieder von
Hofreiter im Duell getötet wurde, als dieser erfahren
hatte, dass er von seiner Frau mit diesem Fähnrich
betrogen ward. Liebte Genia den Klavierspieler, obwolll
sie es nicht übers Herz bringen konnte, ihren geliebten
Gatten zu betrügen? Liebte sie den Marinefähnrich, weil
sie es übers Herz bringen konnte, ihren gehassten Gatten
zu hintergehen? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Sie weiss
es nicht, und wir wissen es auch nicht, welcher Zweifel
dem Stück nicht weiter schaden könnte, da uns der
Dichter in geheimnisvoller Dämmerung erhalten darf.
Aber es ist ganz gut denkbar, dass sich Genia dem
Fähnrich ergab, weil ihr Mann um die Zeit, da die
Katharsis des Stückes anhebt, mit Erna — ein süsses
Mädel mit Mitgift — eine „Liebelei“ beginnt, und weil
er überdies seiner Frau in dürren Worten erklärt, dass
sie ihm fremd geworden sei, weil sie durch ihre Kälte
den armen Korsakov in den Tod getrieben habe.
Richtiger hätte er sagen müssen, dass ihn ihre Treue
zu ihm selbst befremdet habe. Hier setzen denn auch
die Fehler des Stückes ein. Denn die Seelen mögen
immerhin verworren sein: der Dichter selbst muss
sich klar über diese Seelen sein, und nun gerät er selbst
in Verwirrung und bringt uns auch in sie. Er hat uns
Menschen darzustellen, und ein Mann wird unmenschlich,
also unwahr, also bloss Dichterkombination, der seiner
Frau die Stärke einem anderen Mann gegenüber oder
ihre Treue für ihn selbst zum Vorwurfe machte. Und
auch Genia, die klug und taktvoll ist, hätte die richtige
Antwort gefunden, und sie hätte es niemals zugegeben,
dass ihr Mann ihre Treue auf ein falsches Geleise
brächte. So hätte sie denn die richtigen Worte gefunden,
als ihr Mann zur Kenntnis ihrer Untreue gelangt war.
Sie hätte ihn daran erinnern müssen, dass er ihr ihre
Stärke vorwarf, ihr den Tod Korsakovs auf das Schuld¬
konto schrieb, und eine Frau wie Genia hätte ihm zu¬
gerufen: „Ja, ich habe mich dem Fähnrich ergeben
weil es mir davor graute, noch einen zweiten Menschen
in den Tod zu treiben!“ Dass Genia, die kluge, schlag¬
fertige Genia, diese Worte nicht fand, kann auf momentane
Dummheit, auf Zerstreutheit, auf Befangenheit zurück¬
geführt werden; aber derlei Momente mögen in einer
Posse bedeutend sein, die Achse eines Stückes von
Schnitzler können sie unmöglich bilden, und tun sie es
dennoch, so wirken sie — nicht disharmonisch, denn
das Leben bietet ja Disharmonien, und der Dichter
könnte sagen, er arbeite nach dem Leben — ver¬
stimmend, abstossend, unwahr, kombinatorisch. Gespielt
wurde überaus trefflich, wobei wir die junge Garde:
Gerasch, Frank, Höbling — ein entsetzliches Trifolium
ausnehmen müssen. Für Fräulein Marberg, Frau
Bleibtreu und die Herren Korff und Heine gibt es
nicht genug Worte des Lobes. Die anmutige Hofteufel
hat ihre Rolle ein wenig zu weich angegriffen. Ihre ver¬
führerische demi-vierge hälte so gespielt werden müssen,
wie sie es als Lysanders Mädchen traf. Die Rolle des
Hoteldirektors Aigner war ursprünglich für Ernst Hart¬
manngbestimmt, und sie wurde von Devrient ge¬
spielt. Sehr korrekt und sehr kühl. Was wäre das für
eine Flut sonmiger Strahlen gewesen, wenn die Rolle
von Ernst Hartmann gespielt worden wäre!
24. Das Land
hnitt aus: Das Forum, Winn
-.1 NOV 1911
EA
Ee Theater, Kunst u. Literatur
2
Burgtheater. „Das weite Land.“ Tragikomödie
in fünf Akten von Arthur Schnitzler, Wenn ein
Dichter fehlt, so sind auch seine Ferterschön, und er
ehtzückt uns durch sein holdes Irren. „Das weite Land“,
Xdas ist die menschliche Seele, wie ein Dichter oder ein
Hoteldirektor oder wer immer recht verschwommen ge¬
sagt hat, und miin unternimmt Schnitzler einen Ritt in
dieses weite Land. Wir Menschen wissen eigentlich gar
nicht, was in uns vorgeht, und wir können die Gefühle
nicht genau bestimmen, die uns erfüllen. Das ist das
Thema, das vom Dichter bewiesen werden will, und
sein Thema wäre vielleicht noch klarer geworden, wenn
er einfach gesagt hätte, dass wir Menschen glauben,
DRUM“
V. Jahrg.
jenes Gefühl beherrsche uns, das soehen, gleichsam auf
der Oberfläche unseres Herzens, einhierschwimmt. Ein
Mensch kann uns gleichgiltig sein und dennoch kann er
uns zugleich ganz gewaltig interessieren; und wir können
ihn liessen und zugleich lieben; ihn hochschätzen und
zugleich verachten. So liebt auch Genia ihren Galten,
den Fabrikanten Friedrich Hofreiter, — Anatol nach
vollendetem vierzigsten Lebensjahre — und dabei hasst
sie ihn, weil er sie vernachlässigt, und sie verachtet ihn
wegen seiner unmännlichen Launenhaftigkeit, und doch
schätzt sie ihn wieder wegen seiner männlichen Führung
der Geschäfte, und sie hat sich zur Gleichgilligkeit gegen
ihn emporgerungen, weil er sie fortwährend betrügt, und
sie interessiert sich für ihn, weil es ein reizvolles Spiel
ist, das er da mit den Weibern treibt. Das Stück be¬
ginnt mit dem Begräbnis des Klavierspielers Korsakov,
der sich tötete, weil Genia ihn nicht erhören wollte, und
das Stück endigt — der Reigen schliesst sich! —
mit
dem Tode des Marinefähnrichs Otto, der wieder von
Hofreiter im Duell getötet wurde, als dieser erfahren
hatte, dass er von seiner Frau mit diesem Fähnrich
betrogen ward. Liebte Genia den Klavierspieler, obwolll
sie es nicht übers Herz bringen konnte, ihren geliebten
Gatten zu betrügen? Liebte sie den Marinefähnrich, weil
sie es übers Herz bringen konnte, ihren gehassten Gatten
zu hintergehen? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Sie weiss
es nicht, und wir wissen es auch nicht, welcher Zweifel
dem Stück nicht weiter schaden könnte, da uns der
Dichter in geheimnisvoller Dämmerung erhalten darf.
Aber es ist ganz gut denkbar, dass sich Genia dem
Fähnrich ergab, weil ihr Mann um die Zeit, da die
Katharsis des Stückes anhebt, mit Erna — ein süsses
Mädel mit Mitgift — eine „Liebelei“ beginnt, und weil
er überdies seiner Frau in dürren Worten erklärt, dass
sie ihm fremd geworden sei, weil sie durch ihre Kälte
den armen Korsakov in den Tod getrieben habe.
Richtiger hätte er sagen müssen, dass ihn ihre Treue
zu ihm selbst befremdet habe. Hier setzen denn auch
die Fehler des Stückes ein. Denn die Seelen mögen
immerhin verworren sein: der Dichter selbst muss
sich klar über diese Seelen sein, und nun gerät er selbst
in Verwirrung und bringt uns auch in sie. Er hat uns
Menschen darzustellen, und ein Mann wird unmenschlich,
also unwahr, also bloss Dichterkombination, der seiner
Frau die Stärke einem anderen Mann gegenüber oder
ihre Treue für ihn selbst zum Vorwurfe machte. Und
auch Genia, die klug und taktvoll ist, hätte die richtige
Antwort gefunden, und sie hätte es niemals zugegeben,
dass ihr Mann ihre Treue auf ein falsches Geleise
brächte. So hätte sie denn die richtigen Worte gefunden,
als ihr Mann zur Kenntnis ihrer Untreue gelangt war.
Sie hätte ihn daran erinnern müssen, dass er ihr ihre
Stärke vorwarf, ihr den Tod Korsakovs auf das Schuld¬
konto schrieb, und eine Frau wie Genia hätte ihm zu¬
gerufen: „Ja, ich habe mich dem Fähnrich ergeben
weil es mir davor graute, noch einen zweiten Menschen
in den Tod zu treiben!“ Dass Genia, die kluge, schlag¬
fertige Genia, diese Worte nicht fand, kann auf momentane
Dummheit, auf Zerstreutheit, auf Befangenheit zurück¬
geführt werden; aber derlei Momente mögen in einer
Posse bedeutend sein, die Achse eines Stückes von
Schnitzler können sie unmöglich bilden, und tun sie es
dennoch, so wirken sie — nicht disharmonisch, denn
das Leben bietet ja Disharmonien, und der Dichter
könnte sagen, er arbeite nach dem Leben — ver¬
stimmend, abstossend, unwahr, kombinatorisch. Gespielt
wurde überaus trefflich, wobei wir die junge Garde:
Gerasch, Frank, Höbling — ein entsetzliches Trifolium
ausnehmen müssen. Für Fräulein Marberg, Frau
Bleibtreu und die Herren Korff und Heine gibt es
nicht genug Worte des Lobes. Die anmutige Hofteufel
hat ihre Rolle ein wenig zu weich angegriffen. Ihre ver¬
führerische demi-vierge hälte so gespielt werden müssen,
wie sie es als Lysanders Mädchen traf. Die Rolle des
Hoteldirektors Aigner war ursprünglich für Ernst Hart¬
manngbestimmt, und sie wurde von Devrient ge¬
spielt. Sehr korrekt und sehr kühl. Was wäre das für
eine Flut sonmiger Strahlen gewesen, wenn die Rolle
von Ernst Hartmann gespielt worden wäre!