II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 353

box 28/5
24. has veite Land
nicht aus Berlin so voch mindestens aus der Mark stammen könnte.
Aber wenn Hermann Ballentin auch keine blau=weiße=Gemüts¬
farbe hat, er gibt doch wenigstens Menschliches, gibt in zu¬
sammengenommener Wucht ein Wesen zwischen Mensch und Tier,
das Bernhard Kellermann neulich sehr glücklich den Gorilla mit
der Pickelhaube genannt hat. Dieser Gendarm wird von dem viel
älteren Apotheker — aber der hat auch alle Sehnen von Bassermann
einmal gehörig verbläut und ein andermal totgeschossen. Aber
zwischen der Vils und der Rott, wo sie uns armen unschuldigen Sol¬
daten nachts mit den landesüblichen Messern nachliefen, kommt das
zuweilen vor. Man nennt den Vorfall dann Selbstmord; die Ur¬
einwohner halten und schwören treu zusammen.
Wenn die Aufführung richtig ist, muß über ihr eine gewisse
Gleichmut lagern. Der junge Lautensack hat Szenen geschrieben —
richtige Akte brachte er mangels konzentrischer Form nie zustande —
und damit dringt er auf das Zuständliche, das sich derb naturalistisch
ausbreitet. Besondere ethnographische Entdeckungen konnten ihm da
kaum noch gelingen nach dem jungen Thoma, nach Josef Ruederer
und selbst nach Ludwig Ganghofer, wenn der sich statt taufrischer
Romane einmal einen kräftigen Einakter erlaubte. Aber wenn uns
nicht ein Melodrama mit Mord und Totschlag erschrecken soll, muß
eben jene dicke, sinnliche und dabei doch unschuldige Atmosphäre aus
menschlichen Ausdünstungen hergestellt werden, jener ehrwürdige Kul¬
turzustand des Naturrechts in dem Lande der wilden Liebhaber und
der liebhaberischen Wilderer. Wenn auch die Bahn schon über
Passau fährt und gar bis Vilsbiburg, es lebt da noch eine Rasse,
die ehen um vierhundert Jahre jünger ist als etwa die der gebildeten
Berliner. Und die so beschaffen auch eine Räterepublik noch nicht ver¬
langt oder verträgt.
Der Regisseur, der diese ethnologischen, demgemäß physiologischen,
demgemäß psychologischen Zuständlichkeiten ausbreitet, braucht kein
Zauberer zu sein; aber das Lustspielhaus hat ihn nicht. Und so wurde
vor allem geknallt, nicht nur mit der Schützenbüchse am Schluß,
wenn Bassermann auf Ballentin anlegt, sondern auch mit allzu
stark geladenen Worten. Auch von Bassermann, der natürlich den
alteren Apotheker mit der ganzen Elastizität seiner Sehnen straffte,
der aber in dem kleinen Lustspielhaus so unnachlässig schrie, wie wenn
er als Heldenspieler mit dem Großen Schauspielhaus Vertrag machen
wollte. Der ganzen Aufführung fehlte außer dem überwachenden
271