II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 407

box 29/1
U
24. Das geiteLand
jeder Philister zu Tage fördern kann: Das Leben ist eines der
als die nach immer neuem Spielzeug girrende Sinnlichkeit. Wäre
eton.
schwersten. Der Tod ist kein Kinderspiel. Das Weib ist ein Rät¬
das wirklich heute Inbegriff des Lebens geworden, wäre der
sel. Die Seele ist ein weites Land.
Mann wirklich so verweibst, daß ihm alles andre allenfalls zur
Aber schließlich kommt es bei seiner Dichtung nicht so sehr
Ausfüllung der Pausen zwischen zwei Liebschaften gut genug er¬
auf das Grundmotiv an, als auf das, was der Dichter aus ihm
schiene, dann laßt uns die Flaggen auf Halbmast setzen und die
heater.
heraus zu holen gewußt hat. Und aus dem platten Gedanken,
Hoffnung auf Höher=Entwicklung der Menschlichkeit begraben.
daß die Seele ein weites Land ist, ließe sich großes, vielfältiges
Dann hat uns der Weg, auf dem wir den ragenden Gipfeln und
dem Werk. Inwieweit
herausholen. Aus ihm heraus ließe sich ein allumfassendes dra¬
den leuchtenden Sternen näher zu kommen glaubten, in einem
matisches Bild der modernen Welt geben. Zeigen, was alles in
und spüren läßt, inwie¬
Sumpf gebracht, aus dem kein Weg hinaus und aufwärts führt.
der Seele eines führenden Mannes unserer Zeit beieinander
Ist das die Meinung Schnitzlers? Doch wohl nicht ganz.
es Komponisten gerecht
wobnt, bei einander wohnen muß: Politik, soziale Frage. In¬
Sonst hätte er in sein Stück nicht den braven, gesund empfinden¬
Peistung. Bei Caruso
dustrie, Technik, Naturwissenschaft Philosophie, Religion, Sport,
den Arzt gestellt. Der sagt einem jungen, sensationsdürstigen
bei ihm in Versuchung,
Freundschaft, Feindschaft, Haß, Liebe; zeigen, wie das und anderes
Mädchen: Das Leben besteht noch aus allerlei anderm, als aus
Kunst ist so produktiv,
durcheinander, gegeneinander und miteinander in einem Hirn lebt und
Abenteuern einer gewissen Art. Ich versichere Sie, es gibt eine
scheint. Er macht das
wirkt; darauf eine dramatische Handlung aufbauen: ein großer
kräftigere reinere Atmosphäre und ich traue mir zu, Sie auch
für sich ein Scheinleben
Gedanke, des Schweißes der Edlen wert. Der Dichter, der ihn
dort ein frisches und freies Atmen zu lehren.
auszuführen verstünde schüfe einen Helden, der sich getrost neben
glaubt man, daß sich
Aber Doktor Mauer ist der einzige Mensch im Stück, der
den ersten Napoleon stellen dürfte.
begegnen läßt, wie er
diesen Standpunkt vertritt, und das junge Mädchen folgt nicht
Im ersten Akt des neuen Stücks will es einmal so scheinen,
en, auch wenn er ihnen
ihm, sondern wirft sich Hofreiter in die Arme und läßt sich von
als ob der Dichter darauf ausginge, so etwas wie einen Na¬
ihm hineinwirbeln in tollen Sinnenrausch.
jede andere Fortsetzung
poleon, wenn auch nur einen Napoleon im Bürgerstand, vor uns
So scheint Schnitzlers Meinung trübe genug und sein Stück
ut fände. Er stellt sich
heraufzuführen. Da wird uns der Held, noch ehe er selbst auf¬
eine Warnung zu sein, ein Spiegelbild, das er —
nicht der
nkt — nicht gesanglich,
tritt, von einem jungen Mädchen folgendermaßen geschildert:
Menschheit — wohl aber zunächst seinen Landsleuten, den
keibende Kraft,
och
Früher dacht ich nämlich, daß Korsakow einfach sein Klavier¬
Wienern, und dann allen Großstädtern, vorhält: Seht euch und
en scheinen.
spieler gewesen ist. So wie der Doktor Mauer sein guter Freund
ändert euch! Ein Unsittendrama, aus sittlicher Tendenz entstan¬
ist, Herr Natter sein Bankier, ich seine Tennis=Partnerin, der
vie
ssikalischen Schl
den, wie ihrerzeit die Dramen von Augier und Dumas, ein Stück,
Oberleutnant Stanzides sein Sekundant. Er nimmt sich von
Leoncavallos
das, wie sie, nur in einer Großstadt entstehen konnte und das dem
jedem, was ihm gerade konveniert, und um das, was sonst in dem
erdi.
Kleinstädter, dem Landbewohner gar nichts sagt, weil dieser von
Menschen stecken mag, kümmert er sich kaum.
ist
auf der Bühne
Verhältnissen, die das Stück als allgemein betrachtet, keine
Aber es bleibt hier bei einem Ansatz, vielleicht auch bei einem
ber
Ahnung hat. Wir sehen auch an diesem Beispiel, wie die Gro߬
rgeschrieben hat
nur versehentlich stehen gelassenen Rest eines größeren gsdachten
stadt den Dichter von seinem Volke löst, ihn dazu bringt, statt
sos, erst du
truso
Plans. Schnitzler bescheidet sich bald dabei, statt ein allumfassen¬
für die Gesamtheit seiner Nation, für den geringen Bruchteil zu
ehoben.
des Bild zu geben, sich im engen Rahmen des wieder und wieder
dichten der in der Großstadt lebt und in ihrer wilden Hetzjagd,

Absichten,
behandelten Genres der Liebelei zu halten. Und er sorgt dafür,
ihrem Durcheinander von Arbeit und Genuß neurotisch geworden
und
in blühender
daß auch wir uns dabei bescheiden und nicht mehr von ihm er¬
ist. Denn Neurotiker sind so ziemlich alle Gestalten in diesem
warten. Im zweiten Akt läßt er seinen. Helden mit einer ver¬
elbst¬
sich ihm bis zu
neuesten Werk des Dichters, Neurotiker aus ungebändigter oder
flossenen Geliebten sich unterhalten. Die sagt: Es gibt doch noch
Kraft
lange in gleiche
aus unterdrückter Sexualität.
was andres auf der Welt als — uns. Und Hofreiter antwortet
Neurotiker ist vor allem der Held, der Fabrikant Friedrich
darauf: Ja, — die Pausen zwischen der einen und der andern.
, Herr vom Scheidt
Hofrichter, für den die Arbeit in seinem Beruf nur Ausfüllen der
Die sind ja auch nicht uninteressant. Wenn man Zeit hat und
ckere Partner, während
Pausen zwischen der endlosen Kette von Liebschaften ist, mit
in der Laune ist, baut man Fabriken, erobert Länder schreibt
ssen Absichten mit fein¬
denen er seiner Frau Genia die Treue bricht. Grade steht er
Sinfonien, wird Millionär ...
aber glaub mir, das ist doch
M. I.
wieder in einer solchen Pause: er hat seine Beziehungen zu der
alles nur Nebensache. Die Hauptsache — seid ihr! — ihr
O0 G
Frau seines Bankiers Natter gelöst. Da erschießt sich ein jun¬
ihr!
ger Künstler aus dem Hofreiterschen Bekanntenkreis, der Pianist
Das weite Land bekommt für uns ein ganz andres Gesicht,
weite Land.
Korsakow. Niemand weiß warum Hofreiter mutmaßt daß
wenn wir das hören. Und kein erfreulicheres. Es sollte doch so
Schauspielhaus.
Genia Korsakows Geliebte gewesen sei, und dieser sich das Leben
vieles in ihm zugleich Raum haben. Nun wird all das viele
WWerk Arthur Schnitz¬
genommen habe weil Genia das Verhältnis abbrach. Er befragt
bloß auf die Pausen beschränkt mit Ausnahme der Liebe. Und
hliche Seele. Im-dritten
sie deshalb. Sie, die ihren Treuschwur nie verletzt hat, ist
diese Liebe ist nicht die eine, große, alles in sich begreifende Liebe.
n des Stücks, dem Fa¬
empört über seinen Cynismus und gibt ihm einen Brief Kor¬
Die kennt keine Pausen, die weiß nichts von einem Uebergang
ch nicht aufgefallen sein,
sakows, aus dem er sieht, daß dieser starb, weil Genia seine
von der einen zur andern und von der andern zur dritten. Die
nschen im Grunde finds
Werbungen zurückwies und in Liebe an ihrem Manne hing. Er
hat nur eine Göttin und dient ihr lebenslang. Die Liebe, von
uns —! Liebe und
ist davon zuerst befremdet, dann peinlich und immer peinlicher
der Hofreiter spricht, ist nichts andres als überreizte Sinnlichkeit,
Anbetung für die eine
berührt. Es ist ihm unangenehm, daß seine Frau so rein und
die von Begierde zu Genuß taumelt und im Genuß nach Be¬
er nach mehreren. Wir
schuldlos neben ihm durchs Leben geht, während sie doch weiß,
gierde verschmachtet. Ist nicht die große, heilige Flamme, die
en, so gut es geht aber
wie oft er sie betrügt. Er hat das Gefühl, als wenn sie diese
auf einem Altar still und mächtig zum Himmel steigt, ist böses
liches
Das Natür¬
Flackerfeuer, das, über Land laufend, ein Feld nach dem andern
Affäre mit Korsakow gegen ihn innerlich ausspielte, als wenn
ein guter Hofreiter, die
kahl frißt und überall schnell verschwindend, nichts zurück läßt
sie stolz darauf wäre, durch ihre Tugend einen Menschen in den
als Oede und Asche.
Tod getrieben zu haben. Sie wird ihm unheimlich, er kommt sich
den Schnitzler da aus¬
Armes Land, das von diesem Flackerfeuer zur Wüstenei ge¬
ihr gegenüber klein vor. Und deshalb — das sagt er ihr ins
mmtisch=Philosophie, die 1 macht wird. Arme Seelen, deren Weite nichts andres umspannt. 1 Gesicht — will er einige Zeit von ihr fortgehen, ins Gebirg#