U
box 29/4
24. Das teLand
Kiote & Seider
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 45, Georgenkirchplatz 21!
—
Zeitung e He. I. Aeeeean
OIT:
Datum!
9 M00 102
Residenz-Theaker.
Arthur-Schnitzlers fünfaktige Tragikomödie „Des
weite Land“ — Schon elf Jahre alt. Ein weitschweifig ge¬
schwätziges Stück, gut Kebaut, das der Dichter nur mit allzu
aphoristischem Ballast feladen hat. Heute würde auch Schnitzler
gedrängter, komprimietter schreiben. Die Aufgabe der Regie
wäre gewesen, das allzu reiche Geplausche, das allzu viele Gerede
über Ehe, Liebe, Frauen und Leben zu streichen und zu kürzen.
Dann wäre eine geistreiche Tagikomödie der männlichen und weib¬
lichen Untreue übriggeblieben.
Das Residenz=Theater gibt die Komödie ohne Streichungen;
und in einem Tempo, das nur von Arnold Korff, der angeb¬
lich auch die Regie führte, beschwingt wurde. Ein charmanter
Wiener Causeur, der das Leben leicht nimmt und die Tragik
des Lebens noch mit Grazie über sich ergehen läßt. Schau¬
spielerisch ungemein delikat und vornehm. Irene Triesch fehlt
für die Genia das fraulich Hinreißende, das Männerbetörende,
das, was den jungen Fähnrich in ihre Arme zwingt. Dafür aber
ist sie groß in den feinsten Regungen der Seele, ist zurückhaltend
mit ihren reichen Mitteln und von unendlichem Wohllaut der
Bewegung. Um die Hauptfigur ein wenig belebtes Gruppenbild.
Im Risidenz=Theater wird mehr Wert auf die Prominenten
gelegt, — doch auch so zwingt Einzelnes zur Erwähnung, wie
Rosa Bertens mütterliche ergreifende alte Schauspielerin, die
seine Studie des geschiodenen Gatten von Franz Schönfeld
der frische Fähnrich Harry Hardt's und Heinreich Schroth's
skrupelloser Bankier. Gertrud Welker hat vom Film die üble¬
Angewohnheit behalten, in den Apparat, pardon Publikum,
hineinzuspielen.
H. S.
Zeitung: Berl. Zeitung am Mittag
Ort:
Berlin
Datum: REArrsesesem
UV. I921
„Das weile Land“.
Schnitzler im Residenz=Theater.
* Daß Arthur Schnitzler, augenblicklich der
ih Berlin meistgenannte Dramatiker, nicht nur
der Autor des „Reigen“ ist, sondern als Dichter
das weite Land der Seele schweifend durch¬
forscht hat, dürfte einem Teil der Zeugen in dem
Prozeß, der heut zu Ende ging, vielleicht neu
sein. Gut, daß man ihn mit dieser Tragikomöbie
zu Wort kommen läßt, gerade jetzt, den Sitten¬
prediger, den man zum Sittlichkeitsverbrecher,
den Künstler, den man zum Schweinigel hat
stempeln wollen. Mag er sich selbst verteidigen,
er versteht's schon! Auch hier leuchtet er die
Niederungen ab, dunkle Verlogenheiten, Unbe¬
greiflichkeiten, Wiedersprüche deckt Verlogenheiten
auf, enthüllt Schwachheiten und findet nun in
dem frivolen Liebesbetrieb der guten Gesellschaft,
wenn sie unter sich ist, den Stoff zu einem sehr
ernsthaften Sittengemälbe, dieser unverbesserliche
Erotiker Arthur Schnitzler.
Sein Stück hat vor zehn Jahren bei Brahm
im Lessing=Theater schon die Feuerprobe bestan¬
den; der Erfolg war groß, und seine Echtheit er¬
weist sich jetzt von neuem. Irene Triesch, damals
wie heute die Trägerin der Hauptrolle als Genia
Hofreiter, Fabrikantengattin aus Wien, frischt
scelenkundig, an Kunst uiermindert, das An¬
denken an eine ihrer schönsten Schöpfungen wie¬
der auf. Eine Frau, die rein bleibt, mehr aus
Instinkt als aus Prinzip, obgleich sie an der
Seite eines Mannes, der genußsüchtig ist, mehr
aus Gewohnheit als aus Appetit, nach seiner
eigenen Meinung sogar zur Treue gar keine Ver¬
pflichtung hat. Ja, er nimmt es ihr geradezu
übel, daß ihre standhafte Tugend einen jungen
Künstler zum Selbstmord getrieben hat. Er lie¬
belt weiter links und rechts, mir einer leicht¬
sinnigen Bankiersfrau, mit einem leidenschaft¬
lichen Sportgirl. Schließlich nimmt Genia den
Ersten, Besten, einen braven Jungen, den ein¬
zigen Trost seiner Mutter, und Friedrich Hof¬
reiter, plötzlich in seiner Eitelkeit tief gekränkt
oder auch in Seelengründen verwundet, in denen
die Liebe zu seiner Frau immer geschlummert
hat, erschießt den Zufallsgeliebten im Duell.
Man muß Arnold Korff sehen als den be¬
denkenlosen Charmeur, den Frauenliebling, den
feinnervigen Liebeskünstler, der eine nach der
anderen abtut — Don Juan in Baden bei Wien.
Er nimmt den Friedrich Hofrichter vielleicht um
ein paar Jahre zu alt, mehr als Fünfziger denn
als Vierzigjähriger, aber der Zauber der Un¬
widerstehlichkeit liegt dcho um das schon etwas
kahle, frühergraute Haupt.
Ein bewegtes Gesellschaftsbild) aus vielen Fi¬
gurenzusammengesetzt, umgibt das Ehepaar und
nimmt Teil an seinem Schicksal. Die ehemals
berühmte Schauspielerin, Mutter des armen
Marine=Fähnrichs, der dran glauben muß,
Rosa Bertens, spielt sie mit stiller, melancho¬
lisch angewehter Vornehmheit, dann der gute
Junge selbst, von Harry Hardt frisch, jung¬
männlich dargeste,t, ein unbedeutender, aber an¬
ständiger Liebesstudent im ersten Semester.
Gisela Schneider=Rissen, eine törichte
mütterliche Gluckhenne, Gertrud Welker außer¬
ordentlich reizooll, die wienerische Demi=Pierge
ungeduldige Teilnemerin am Liebesreigen. Josef
Klein, dem man die im Anfang angekündigte
Unpäßlichkeit gar nicht anmerkte, gibt, natürlich
und reserviert, einen Arzt, Freund und Vertrau¬
ten des Ehepaares, der wider Willen auch in den
Strudel miteinbezogen wird, Anneliese Halbe
eine kleine, verwähnte, kokette Amüsierfrau, die
bennoch etwas Herz ahnen läßt.
Diese alle und noch einige mehr hatte der Re¬
Neur Arnold Korff auf den rechten Platz gestellt.
Es scheint übrigens, daß für einen Schnitzler¬
Cyklus jetzt die Zeit gekommen ist.
E. M.
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24. Das teLand
Kiote & Seider
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 45, Georgenkirchplatz 21!
—
Zeitung e He. I. Aeeeean
OIT:
Datum!
9 M00 102
Residenz-Theaker.
Arthur-Schnitzlers fünfaktige Tragikomödie „Des
weite Land“ — Schon elf Jahre alt. Ein weitschweifig ge¬
schwätziges Stück, gut Kebaut, das der Dichter nur mit allzu
aphoristischem Ballast feladen hat. Heute würde auch Schnitzler
gedrängter, komprimietter schreiben. Die Aufgabe der Regie
wäre gewesen, das allzu reiche Geplausche, das allzu viele Gerede
über Ehe, Liebe, Frauen und Leben zu streichen und zu kürzen.
Dann wäre eine geistreiche Tagikomödie der männlichen und weib¬
lichen Untreue übriggeblieben.
Das Residenz=Theater gibt die Komödie ohne Streichungen;
und in einem Tempo, das nur von Arnold Korff, der angeb¬
lich auch die Regie führte, beschwingt wurde. Ein charmanter
Wiener Causeur, der das Leben leicht nimmt und die Tragik
des Lebens noch mit Grazie über sich ergehen läßt. Schau¬
spielerisch ungemein delikat und vornehm. Irene Triesch fehlt
für die Genia das fraulich Hinreißende, das Männerbetörende,
das, was den jungen Fähnrich in ihre Arme zwingt. Dafür aber
ist sie groß in den feinsten Regungen der Seele, ist zurückhaltend
mit ihren reichen Mitteln und von unendlichem Wohllaut der
Bewegung. Um die Hauptfigur ein wenig belebtes Gruppenbild.
Im Risidenz=Theater wird mehr Wert auf die Prominenten
gelegt, — doch auch so zwingt Einzelnes zur Erwähnung, wie
Rosa Bertens mütterliche ergreifende alte Schauspielerin, die
seine Studie des geschiodenen Gatten von Franz Schönfeld
der frische Fähnrich Harry Hardt's und Heinreich Schroth's
skrupelloser Bankier. Gertrud Welker hat vom Film die üble¬
Angewohnheit behalten, in den Apparat, pardon Publikum,
hineinzuspielen.
H. S.
Zeitung: Berl. Zeitung am Mittag
Ort:
Berlin
Datum: REArrsesesem
UV. I921
„Das weile Land“.
Schnitzler im Residenz=Theater.
* Daß Arthur Schnitzler, augenblicklich der
ih Berlin meistgenannte Dramatiker, nicht nur
der Autor des „Reigen“ ist, sondern als Dichter
das weite Land der Seele schweifend durch¬
forscht hat, dürfte einem Teil der Zeugen in dem
Prozeß, der heut zu Ende ging, vielleicht neu
sein. Gut, daß man ihn mit dieser Tragikomöbie
zu Wort kommen läßt, gerade jetzt, den Sitten¬
prediger, den man zum Sittlichkeitsverbrecher,
den Künstler, den man zum Schweinigel hat
stempeln wollen. Mag er sich selbst verteidigen,
er versteht's schon! Auch hier leuchtet er die
Niederungen ab, dunkle Verlogenheiten, Unbe¬
greiflichkeiten, Wiedersprüche deckt Verlogenheiten
auf, enthüllt Schwachheiten und findet nun in
dem frivolen Liebesbetrieb der guten Gesellschaft,
wenn sie unter sich ist, den Stoff zu einem sehr
ernsthaften Sittengemälbe, dieser unverbesserliche
Erotiker Arthur Schnitzler.
Sein Stück hat vor zehn Jahren bei Brahm
im Lessing=Theater schon die Feuerprobe bestan¬
den; der Erfolg war groß, und seine Echtheit er¬
weist sich jetzt von neuem. Irene Triesch, damals
wie heute die Trägerin der Hauptrolle als Genia
Hofreiter, Fabrikantengattin aus Wien, frischt
scelenkundig, an Kunst uiermindert, das An¬
denken an eine ihrer schönsten Schöpfungen wie¬
der auf. Eine Frau, die rein bleibt, mehr aus
Instinkt als aus Prinzip, obgleich sie an der
Seite eines Mannes, der genußsüchtig ist, mehr
aus Gewohnheit als aus Appetit, nach seiner
eigenen Meinung sogar zur Treue gar keine Ver¬
pflichtung hat. Ja, er nimmt es ihr geradezu
übel, daß ihre standhafte Tugend einen jungen
Künstler zum Selbstmord getrieben hat. Er lie¬
belt weiter links und rechts, mir einer leicht¬
sinnigen Bankiersfrau, mit einem leidenschaft¬
lichen Sportgirl. Schließlich nimmt Genia den
Ersten, Besten, einen braven Jungen, den ein¬
zigen Trost seiner Mutter, und Friedrich Hof¬
reiter, plötzlich in seiner Eitelkeit tief gekränkt
oder auch in Seelengründen verwundet, in denen
die Liebe zu seiner Frau immer geschlummert
hat, erschießt den Zufallsgeliebten im Duell.
Man muß Arnold Korff sehen als den be¬
denkenlosen Charmeur, den Frauenliebling, den
feinnervigen Liebeskünstler, der eine nach der
anderen abtut — Don Juan in Baden bei Wien.
Er nimmt den Friedrich Hofrichter vielleicht um
ein paar Jahre zu alt, mehr als Fünfziger denn
als Vierzigjähriger, aber der Zauber der Un¬
widerstehlichkeit liegt dcho um das schon etwas
kahle, frühergraute Haupt.
Ein bewegtes Gesellschaftsbild) aus vielen Fi¬
gurenzusammengesetzt, umgibt das Ehepaar und
nimmt Teil an seinem Schicksal. Die ehemals
berühmte Schauspielerin, Mutter des armen
Marine=Fähnrichs, der dran glauben muß,
Rosa Bertens, spielt sie mit stiller, melancho¬
lisch angewehter Vornehmheit, dann der gute
Junge selbst, von Harry Hardt frisch, jung¬
männlich dargeste,t, ein unbedeutender, aber an¬
ständiger Liebesstudent im ersten Semester.
Gisela Schneider=Rissen, eine törichte
mütterliche Gluckhenne, Gertrud Welker außer¬
ordentlich reizooll, die wienerische Demi=Pierge
ungeduldige Teilnemerin am Liebesreigen. Josef
Klein, dem man die im Anfang angekündigte
Unpäßlichkeit gar nicht anmerkte, gibt, natürlich
und reserviert, einen Arzt, Freund und Vertrau¬
ten des Ehepaares, der wider Willen auch in den
Strudel miteinbezogen wird, Anneliese Halbe
eine kleine, verwähnte, kokette Amüsierfrau, die
bennoch etwas Herz ahnen läßt.
Diese alle und noch einige mehr hatte der Re¬
Neur Arnold Korff auf den rechten Platz gestellt.
Es scheint übrigens, daß für einen Schnitzler¬
Cyklus jetzt die Zeit gekommen ist.
E. M.