II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 108

Dr
(Zur heutigen Erstaufführung.)
Die Handlung zu Ernst von Dohnanys Werk
ist bekanntlich Schnitzlers gleichnamiger Panto¬
mime entnommenterung des Theater¬
publikums sei hier die vom Regisseur Herrn Kurt
Stern skizzierte Handlung mitgeteilt:
Erster Akt.
(Bei Pierrot.) Trüb und einsam sitzt Pierrot
in seinem Stübchen vor Pierrettens Bild an seinem
Schreibtisch und weint der verlorenen Geliebten
nach, Die heute mit Arlechino im Hause ihrer Eltern
Hochzeit feiert. Die Dämmerung gleitet durch den
Raum und Pierrot sinkt, vom Schlummer über¬
mannt, auf sein Lager. Plötzlich springt die Tür
auf und der Diener geleitet das Freundespaar Fred
und Florestan mit ihren Geliebten herein, die mit
dem Klavierspieler gekommen sind, um Pierrot zu
Schmaus und Tanz im Grünen abzuholen. Doch
alle Erheiterungsversuche gleiter an Pierrots
düsterer Laune ab und achselzuckend und tänzelnd,
wie sie gekommen, verlassen die Freunde wieder das
Zimmer. Auch der Diener wird von Liebessehnsucht
geplagt und bittet um Ausgang für heute Abend.
Unwillig entläßt ihn Pierrot. Er ist wieder ganz
nit seinen Gedanken allein. Er wirft alle Erinne¬
rungen an Pierrette beiseite und will eben davon¬
stürmen, als er plötzlich auf der Gasse Pierrettens
Gestalt sich nähern sieht. Ueberselig stürzt er
hinunter, ihr entgegen. Sie kommt im Braut¬
schmuck von der Hochzeitstafel und gibt dem ge¬
liebten Pierrot ihren Entschluß kund, mit ihm ver¬
eint aus dem Leben zu scheiden; zögernd willigt
Pierrot ein, doch als nach einer in seligem Liebes¬
taumel verbrachten Stunde Pierrot die Gläser mit
dem todbringenden Trank füllte und das seinige
llerrt, ist es nun Pierrette, die vor dem Ende zu¬
frückschauert. Mit verächtlichem Lachen schleudert
Pierrot ihr das Glas aus der Hand und stürzt tot
bei ihrem Bilde nieder. Pierrette versucht ver¬
geblich, ihn ins Leben zurückzurufen; endlich stürzt
sie verzweifelt davon, ihren Brautschleier im Zim¬
mer Pierrots zurücklassend.
Zweiter Akt.
(Im Hochzeitssaal.) Im Festesjubel hat maß
das Verschwinden Pierrettens nicht bemerkt, Vate
und Mutter nehmen die Glückwünsche der Gässe
entgegen, bis endlich Gigolo, der Tanzarrangeur
den mürrisch und verschlossen dastehenden Arlechino
bittet, am Tanze teilzunehmen. „Ja gern, aber Sie
sehen doch, Pierrette ist nicht da“. Man durchforscht
das ganze Haus, vergeblich, Vater und Mutter sind
trostlos und Arlechino schleudert in seiner Wut die
fürchterlichsten Drohungen gegen die unschuldigen
Eltern. Da plötzlich erscheint Pierrette auf der
Schwelle, als ob nichts geschehen: „Wo warst Du?“
„„In meinem Zimmer oben!““ — „Das ist nicht
wahr!“ — „„Ach, quäl mich nicht, ich will tanzen!“
Zögernd gibt sich Arlechino darein und der Tanz be¬
ginnt. Während diesem erscheint für alle anderen
unsichtbar, der tote Pierrot und winkt Pierrette
ihm zu folgen. Sie ist einer Ohnmacht nahe, als
plötzlich Arlechino das Fehlen des Brautschleiers
entdeckt und Pierrette aus dem Saale weist: „Du
wirst jetzt mit mir vereint den verlorenen Schleier
wieder herbeischaffen.“
Dritter Akt.
Im Morgengrauen erreichen beide Pierrots
Zimmer. Pierrette stürzt auf den im Zimmer lie¬
genden Schleier zu und will fort, doch Arlechino
sieht sich im Raume um und gewahrt endlich den
toten Pierrot am Boden. Er entdeckt wo und mit¬
wem er betrogen worden und schwört dämonische
Rache. Da Pierrette sich mit dem lebenden Pierrot
so gut verstanden, möge sie auch des Toten Gesell¬
schaft nicht scheuen. Er schleppt die Leiche zum Sofa,
setzt sie vor den gedeckten Tisch und enteilt, indem
er das Zimmer verschließt. Pierrette mit dem Toten
allein gelassen, verfällt dem Wahnsinn und sinkt
tot zu Pierrots Füßen nicher. Da wird die Tür er¬
brochen, und die beiden Pärchen, Pierrots Freunde
mit ihren Damen kommen vom Tanz heim und
finden von Grausen gepackt das entseelte Liebespaar
am Boden.
Vertretungen
glin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christienia,
Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolls,
zw-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Osellenangabe ohne Dewähr).
Ausschnitt aus:
Deutselie-Abendeiaee, Prag
A06 10
vom —
Tbeater und Kunst.
Repertoire des Neuen deutschen Theaters.
Samstag, den 20. August. (229.—1.) Zum ersten
Male: „Die goldene Ritterszeit.“ Burlesker
Schwank in 3 Akten von Charles Marlowe.
Sonntag, den 21. Aug. (230 —II.) „Susannens
Geheimnis.“ Hierauf: „Der Schleier der Pierrette.“
Montag, 22. Aug. (231.—III.) „Die goldene Ritterszeit.“
Neues deutsches Theater.
„Der Schleier der Pierrette“. — „Susannens
Geheimnis“.)
(Zum ersten Male).
In würdiger Weise wurde gestern im deutschen
Theater der 80. Geburtstag unseres Kaisers ge¬
feiert: zwei wertvolle Novitäten, die Pantomime
„Der Schleier der Pierrette“ von Schnitzler=Doh¬
snänhi und Ermanno Wolf=Ferraus#ige komische
Oper „Susannens Geheimnis“ fanden eine ebenso
lliebevolle, wie wirksame Wiedergabe. Der tief¬
schürfende Wiener Dichter Arthur Schnitzler, dem
zwir eine Reihe teils ungemein feinsinniger, teils
kräftig zugreifender Bühnenschöpfungen verdanken,
serweist sich auch in dem phantastisch-tragischen Spiel,
das sich vom Worte völlig emanzipiert, als eine
starke poetische Potenz. Harlekin macht mit Pierrette
Hochzeit. Aber die Braut, die Pierrot liebt, schleicht
ssich im Festestrubel davon und feiert mit dem nach
sihr Schmachtenden ein Liebesstündchen. Es soll das
lletzte sein; denn Pierrot beschließt mit der Geliebten
=Izu sterben. Er leert auch den Gistbecher, aber sie
Z1findet nicht den Mut dazu und ergreift, als Pierrot
ostot hinsialt, entsetzt die Flucht. Als die Langver¬
nmißte beim Hochzeitsfeste wieder erscheint, fragt der
=Jargwöhnische Bräutigam nach dem Brautschleier.
=Sie eilt in Pierrots Wohnung, um ihn zu holen,
=jund Harlekin, der ihr folgt, errät gar bald den
Zusammenhang. Furchtbar ist seine Rache: er setzt
den toten Pierrot in einen Fauteuil und spert Pierrette
„mit ihm ein. Grenzenlose Angst treibt sie hier zum
Wahnsinn. — Zu dieser nervenerschütternden Pan¬
ztomime, die indes in allen Zügen Schnitzlers ge¬
zstaltungskräftige Hand verrät, hat Ernst v. Doh¬
nänyi eine eindringliche, charakteristische Nusik
geschrieben. Der renommierte Klaviervirtuose be¬
zpährt sich hier als schaffender Musiker von Geist
And reichen Ausdrucksmitteln, die im gege¬
genen Falle um so bedeutsamer erscheinen, als sie
#u nicht geringem Teil die Rolle des gesungenen
uportes zu übernehmen haben. Und es muß gesagt
serden, daß der Komponist sich den Forderungen
es Sujets anzupassen versteht, daß sein Orchester stets
ne deutliche, verständliche, wenn auch künstlerisch
Iwählte, vornehme Sprache spricht. Nur einmal, 1
im Interludium zwischen dem ersten und zweiten
Aufzuge, das die Hochzeitsfestlichkeiten schildert, fällt
die Musik aus dem Rahmen der Gesamtpartitür,
sie erscheint ein wenig hypertrophisch; man kann
den paar Musikanten, die da bei Pierrettes Ver¬
mählung zum Tanze aufspielen, unmöglich diese
Kraft und Fülle des Klanges zutrauen. — Die Auf¬
führung war brillant, Kurt Sterns Regie muster
gültig. Die Vertreter der Hauptfiguren überraschten
durch die Anschaulichkeit und Lebendigkeit ihrer Dar
stellung. Herr Waschmann mimte den liebes
sehnsüchtigen Pierrot mit überquellendem Empfinden
während Herr Dr. Winkel mann dem betrogener
Harlekin eine geradezu gespenstische Härte und
Düsterkeit lieh. Von schauerlicher Realistik war die