23. Der Schleiender Pierrette
ssenamt ans Münchener Neueste Nachrichten
I7ArR. 10:3 München
90:
E.
Musikalisches aus Groß=Berlin. Das Deuische
Obernhaus in Charkottenburg setzte sich am Mitt¬
woch mit dem gesamten Aufgebot keiner reichen
Mittel für das musikdramatische Schaffen des be¬
kannten, vortrefflichen Pianisten Ernst von
Dohnsnyi ein. Man brachte, wie ich schon
kurz meldete, die einaktige Oper „Tante Si¬
mong“ und die Pantomime „Der Schleier!
aber seine!
8n
der Pierrette“ zum ersten Male zur Auffüh¬
rung; zwei Werke, die zwar keineswegs in allen
Teilen befriedigen, immerhin aber — namentlich
vas die Pantomime anbelangt — eine derartige
Talentprobe bedeuten, daß man dem weiteren
nusildramatischen Schaffen Dohnänyis mit dem
Lebhaftesten Intereise entgegensehen darf. Die
kleine Oper — textlich eine hypernaive Komödie,
in welcher der egoistischen Motiven entsprossene
Männerhaß der Tante sehr bald zur Freude der
übrigen ins Gegenteil umschlägt, als der unge¬
treue einstige Geliebte plötzlich wieder auf der
Bildfläche erscheint und dem verspäteten Mäd¬
chen Herz und Hand wieder anträgt — hat der
Komponist sehr glücklich im leichten Plauderton
begonnen. Kleine zierliche Motive in sein disse¬
renzierter Rhythmisierung versprechen Gutes. Lei¬
der bleibt es im weiteren Verlauf beim Verspre¬
chen: denn anstatt mit leicht gewogener Phantasie
sich über die Nichtigkeiten des Textes hinwegzu¬
setzen, verliert sich Dohnänyi in technische Schwer¬
fälligkeiten, die den Vorgängen des Stückchens
in keiner Weise zu Gesicht stehen we
Auf weitaus höherem Niveau als diese Ver¬
suchsoper steht die Pantomime, zu der Artur
Handlung mit scharfen Stri¬
W
shen wie foigt gezeichnet: Pierrette hat den un¬
geliebten Arlechino geheiratet. Sie verläßt heim¬
lich das Hochzeitsfest, um mit Pierrot zu sterben.
Pierrot trinkt das Gift, Pierrette entgleitet schau¬
dernd der Becher. Er stirbt, sie entflieht zu!:
ihrem Hochzeitsfest. Den ob ihres Ausbleibens
zornwütenden Arlechino bewegt sie bald zum Tanz.
Immer aber erscheint ihr Pierrots Geist. Ar¬
lechino stellt sie ob ihres Verstörtseins und wegen
des Fehlens des Brautschleiers zur Rede. Der
Geist Pierrot# rscheint mit dem Schleier. Pier¬
rette eilt der entschwebenden Vision nach, Arle¬
chino folgt Pierrette. So kommen sie zu gleicher
Zeit in das Zimmer Pierrots. Arlechino erkennt
die Situation, schließt Pierrette mit der Leiche
stirbt Pierrette zu den Füßen Pierrots. Die
grausige Realistik dieser tragischen Vorgänge hat
Dohnänyi in vollendeter Weise musikalisch aus¬
gedeutet. Seine Ausdrucksskala fand für die
große Zahl der psychologisch stark differenzierten
Situationen Töne von ebenso überzeugender
Kraft als in ihrer Realistik erschütternder Macht.
Jeden kleinsten Vorgang deutete der Komponist
in seiner mit dem ganzen Rüstzeug moderner
Kompositionstechnik gesättiaten chara#t##i###
Tonsprache in wahrhaft erschöpfender Weise aus.
Die Partitur darf als ein hervorragendes Doku¬
ment modernen musikdramatischen Schaffens an¬
gesprochen werden. Die Aufführung, insbesondere
des zweiten Werkes, das unter persönlicher Lei¬
tung des Komponisten stapd, war ausgezeichnet.
Vielfache Hervorruf=Glatssiten den Komponisten
und die Darsteller4# Abolf Göttmann
* Kleine Chronik. Für das Gärtnernlatz¬
box 28/1
AusschnittA
R TAGBLAT T
I M
10
vom:
Elsa Galafrès Becter & Mag#.
in der Pantomime „Der Schleier der Pierrette“ von Schnitzler
und Dohnányi im Charlottenburger Deutschen Opernhause.
Ausschnltt aus Theater-Courier, Berlin
APRIL 1913
*
vom:
Charlottenburg.
„Tante Simona“, Spieloper in einem Akt von Victor Heindel,
Musik von E. von Dohnänyi.
„Der Schleier der Pierette“ Pantomime in drei Bildern
von Arthur Schnitzler
Musik von E. von Döhnnyi.
Deutsches Opernhaus. Die Ehren des neuesten Premieren¬
abends bestritt Dohnänyi. Der bekannte Klaviermeister hat auch als
Komponist bewiesen, daß er ein tüchtiger Meister ist. Aus den beiden
Schöpfungen spricht ein echtes Talent, dessen Art zu musizieren mehr
als sympatisch berührt. Es braucht ja nicht immer der Hauch des
Genies zu verspüren sein, und doch kann man Beifall zollen. Die
Spieloper mit ihrem zahmen Text — die nicht unbekannte altjungfer¬
liche Männerfeindin wird bekehrt — ist auch in der Musik, in der
Dohnänyi viel zu schweres Geschütz auffährt, der schwächere Teil.
Tant de bruit pour une omelette! Wie ganz anders mutet die
Musik zur Pantomime von Arthur Schnitzler an! Hier musiziert
Dohnänyi scheinbar mit ganz anderer Lust und Liebe. Ob er die
ernsten, teilweise recht gruseligen Szenen musikalisch illustriert oder
ob er wunderschöne echt Wiener Walzer ertönen läßt, immer erscheint
er interessant, und der Hörer ist auch von der Musik gefesselt. Es ist*
ein eigenes Kapitel „Die Pantomime“. Ein Zweig, der noch immer
Sohne die rechten Blüten ist. Es wäre erfreulich wenn Dohnänyi den
Anstoß gegeben hätte dieses Genre mehr zu pflegen. Hoffentlich ist
dieser neuen Pantomime auch ein Publikumserfolg beschieden. Ihre
Aufführung mit Elsa Galafres und Einar Hinden ist jedenfalls
sehenswert. Die Pantomine dirigierte Dohnänyi selbst, während die
Spieloper Kapellmeister Krasselt leitete. Mizzi Fink und Louise Marck
överhalfen auch der Spieloper zu einem Erfolg Nach der Pantomime 1
swurde Dohnänyi verdientermaßen sehr gefeiert. Spielleiter des Abends“
Zwar Dr. Hans Kaufmann, und die Szenenbilder riefen wiederwie
stets im Deutschen Opernhaus ehrliches Entzücken hervor.—
Julius Urgiß.
ssenamt ans Münchener Neueste Nachrichten
I7ArR. 10:3 München
90:
E.
Musikalisches aus Groß=Berlin. Das Deuische
Obernhaus in Charkottenburg setzte sich am Mitt¬
woch mit dem gesamten Aufgebot keiner reichen
Mittel für das musikdramatische Schaffen des be¬
kannten, vortrefflichen Pianisten Ernst von
Dohnsnyi ein. Man brachte, wie ich schon
kurz meldete, die einaktige Oper „Tante Si¬
mong“ und die Pantomime „Der Schleier!
aber seine!
8n
der Pierrette“ zum ersten Male zur Auffüh¬
rung; zwei Werke, die zwar keineswegs in allen
Teilen befriedigen, immerhin aber — namentlich
vas die Pantomime anbelangt — eine derartige
Talentprobe bedeuten, daß man dem weiteren
nusildramatischen Schaffen Dohnänyis mit dem
Lebhaftesten Intereise entgegensehen darf. Die
kleine Oper — textlich eine hypernaive Komödie,
in welcher der egoistischen Motiven entsprossene
Männerhaß der Tante sehr bald zur Freude der
übrigen ins Gegenteil umschlägt, als der unge¬
treue einstige Geliebte plötzlich wieder auf der
Bildfläche erscheint und dem verspäteten Mäd¬
chen Herz und Hand wieder anträgt — hat der
Komponist sehr glücklich im leichten Plauderton
begonnen. Kleine zierliche Motive in sein disse¬
renzierter Rhythmisierung versprechen Gutes. Lei¬
der bleibt es im weiteren Verlauf beim Verspre¬
chen: denn anstatt mit leicht gewogener Phantasie
sich über die Nichtigkeiten des Textes hinwegzu¬
setzen, verliert sich Dohnänyi in technische Schwer¬
fälligkeiten, die den Vorgängen des Stückchens
in keiner Weise zu Gesicht stehen we
Auf weitaus höherem Niveau als diese Ver¬
suchsoper steht die Pantomime, zu der Artur
Handlung mit scharfen Stri¬
W
shen wie foigt gezeichnet: Pierrette hat den un¬
geliebten Arlechino geheiratet. Sie verläßt heim¬
lich das Hochzeitsfest, um mit Pierrot zu sterben.
Pierrot trinkt das Gift, Pierrette entgleitet schau¬
dernd der Becher. Er stirbt, sie entflieht zu!:
ihrem Hochzeitsfest. Den ob ihres Ausbleibens
zornwütenden Arlechino bewegt sie bald zum Tanz.
Immer aber erscheint ihr Pierrots Geist. Ar¬
lechino stellt sie ob ihres Verstörtseins und wegen
des Fehlens des Brautschleiers zur Rede. Der
Geist Pierrot# rscheint mit dem Schleier. Pier¬
rette eilt der entschwebenden Vision nach, Arle¬
chino folgt Pierrette. So kommen sie zu gleicher
Zeit in das Zimmer Pierrots. Arlechino erkennt
die Situation, schließt Pierrette mit der Leiche
stirbt Pierrette zu den Füßen Pierrots. Die
grausige Realistik dieser tragischen Vorgänge hat
Dohnänyi in vollendeter Weise musikalisch aus¬
gedeutet. Seine Ausdrucksskala fand für die
große Zahl der psychologisch stark differenzierten
Situationen Töne von ebenso überzeugender
Kraft als in ihrer Realistik erschütternder Macht.
Jeden kleinsten Vorgang deutete der Komponist
in seiner mit dem ganzen Rüstzeug moderner
Kompositionstechnik gesättiaten chara#t##i###
Tonsprache in wahrhaft erschöpfender Weise aus.
Die Partitur darf als ein hervorragendes Doku¬
ment modernen musikdramatischen Schaffens an¬
gesprochen werden. Die Aufführung, insbesondere
des zweiten Werkes, das unter persönlicher Lei¬
tung des Komponisten stapd, war ausgezeichnet.
Vielfache Hervorruf=Glatssiten den Komponisten
und die Darsteller4# Abolf Göttmann
* Kleine Chronik. Für das Gärtnernlatz¬
box 28/1
AusschnittA
R TAGBLAT T
I M
10
vom:
Elsa Galafrès Becter & Mag#.
in der Pantomime „Der Schleier der Pierrette“ von Schnitzler
und Dohnányi im Charlottenburger Deutschen Opernhause.
Ausschnltt aus Theater-Courier, Berlin
APRIL 1913
*
vom:
Charlottenburg.
„Tante Simona“, Spieloper in einem Akt von Victor Heindel,
Musik von E. von Dohnänyi.
„Der Schleier der Pierette“ Pantomime in drei Bildern
von Arthur Schnitzler
Musik von E. von Döhnnyi.
Deutsches Opernhaus. Die Ehren des neuesten Premieren¬
abends bestritt Dohnänyi. Der bekannte Klaviermeister hat auch als
Komponist bewiesen, daß er ein tüchtiger Meister ist. Aus den beiden
Schöpfungen spricht ein echtes Talent, dessen Art zu musizieren mehr
als sympatisch berührt. Es braucht ja nicht immer der Hauch des
Genies zu verspüren sein, und doch kann man Beifall zollen. Die
Spieloper mit ihrem zahmen Text — die nicht unbekannte altjungfer¬
liche Männerfeindin wird bekehrt — ist auch in der Musik, in der
Dohnänyi viel zu schweres Geschütz auffährt, der schwächere Teil.
Tant de bruit pour une omelette! Wie ganz anders mutet die
Musik zur Pantomime von Arthur Schnitzler an! Hier musiziert
Dohnänyi scheinbar mit ganz anderer Lust und Liebe. Ob er die
ernsten, teilweise recht gruseligen Szenen musikalisch illustriert oder
ob er wunderschöne echt Wiener Walzer ertönen läßt, immer erscheint
er interessant, und der Hörer ist auch von der Musik gefesselt. Es ist*
ein eigenes Kapitel „Die Pantomime“. Ein Zweig, der noch immer
Sohne die rechten Blüten ist. Es wäre erfreulich wenn Dohnänyi den
Anstoß gegeben hätte dieses Genre mehr zu pflegen. Hoffentlich ist
dieser neuen Pantomime auch ein Publikumserfolg beschieden. Ihre
Aufführung mit Elsa Galafres und Einar Hinden ist jedenfalls
sehenswert. Die Pantomine dirigierte Dohnänyi selbst, während die
Spieloper Kapellmeister Krasselt leitete. Mizzi Fink und Louise Marck
överhalfen auch der Spieloper zu einem Erfolg Nach der Pantomime 1
swurde Dohnänyi verdientermaßen sehr gefeiert. Spielleiter des Abends“
Zwar Dr. Hans Kaufmann, und die Szenenbilder riefen wiederwie
stets im Deutschen Opernhaus ehrliches Entzücken hervor.—
Julius Urgiß.