13. Der einsane Neg
Lusschnitt aus: Die Zeit, Wien
om: 29 0AN 19·
10
Theater und Kunst.
b Burgtheater. In Schnitzlers „Ein¬
samen Weg“ soll nun Herr Mürt den
Professor Wegrat vorstellen, und entzaubert mit
seiner klaren, harten, schroffen Art die Anmut,
die um die rührende Gestalt gebreitet ist. Auch
sonst hat die Darstellung nur die äußere Ruhe,
nicht die innere Bewegtheit für dies edle, blasse
Seelenspiel. Aber das zahlreich versammelte
Publikum war doch dankbar, wieder einmal
einen Dichter zu hören, der in unser Jahr¬
hundert zuständig ist, fühlte den Herbstreiz —
dieses einsamen Alterns, die leise, fast zu
moralische Strenge, mit der hier Verrat, Zucht¬
losigkeit und Selbstsucht sich unerbittlich rächen.
Es scheint, daß die Talentlosen, die Mittel¬
mäßigen und Nur=Biederen den Krieg jetzt für
sich auf dem Theater ausnützen möchten, aber sie
irren, ihre Zeit ist ferner als je, Geistigkeit,
Geschmack, Verstehen nunmehr auf der Bühne
nur noch willkommener. Das bewies das aus¬
verkaufte Haus, sein Beifall und seine Er¬)
griffenheit.
Ausschnitt aus: grbeiter-Zeiung.
26 2. 1911
vom
Der weise Nathan und der klerikale Dummkopf.]
Aus Amsterdam schreibt man uns: Der Rotterdamer „Maas=1
bode“ veröffentlicht am 20. d. einen Wiener Brief, der die ###
christlich oziale Entrüstung über das gottlose — Burgtheater breit¬
mäulig ausgeifert. Wir zitieren daraus folgenden kostbaren
Satz: „... Die beiden anderen Stücke sind zweifellos mehr
bekannt. Es ist selbst möglich, daß irgend einem Leser schon von
—dieser Flut von Fäulnis, die aus Schnitzlers „Einsamem Weg
strömt, übel geworden und daß ek üblk die grotesken
Raivitäten, die „Nathan der Weise“ der Welt
als prima Weisheit auf drängen will, in Ver¬
wunderung geraten ist.“ Und auf Lessings dramatische Ver¬
kündung des Humanitätsgedankens bezieht sich noch folgender
Satz: „Während der müde Soldat im seuchten Laufgraben das
langvergessene Vaterunser wieder stammelt . . . beschäftigen sich
die ersten Schau pieler Wiens, einen Gottesdienst anzupreisen,
der in Wirklichkeit kein Recht hat, diesen herrlichen Namen zu¬
tragen, und nichts anderes bezielt, als die halbidioti¬
ischen Sentenzen verbummelter Theologen
an den Platz der alleinseligmachenden Lehre des heiligen
Evangeliums zu setzen.“ — Köstlich ist übrigens die Meinung¬
des Korrespondenten, daß ein Leser möglicherweise
„Nathan den Weisen“ kennen könnte. Da jeder halbreas
gebildete Holländer die klassische deutsche Literatur kennt, charakte¬
risiert der „Maasbode“ so seine Leserschaft.
box 23/4
Ausschnitt ausgesenereur, lan
7713 1916
Vol:
Theater, Kunst, Musik.
Theaternotizen.
Eine feine Burgtheaterwoche! Montag: Schönherrs
„Weibsteufel“, Dienstag: Schnitzlers-„Der einsame Weg“,
Freitag: Rößlers „Die fünf Frankfurter, Samstag:
Schnitzlers „Komödie der Worte“ ... Nämlich: Wir haben
im kaiserlich königliches Hofburgtheater. Wir haben die
„beste deutsche Bühne“, ein Haus voll großer Vergangen¬
heit. Auch ein teures Haus. Aber das macht nichts. Der
Kaiser bezahlt alles. Dafür haben wir aber auch in unse¬
nom Hofburgtheater einen wahrhaftigen Kunsttempel.
Täglich kann die arme, durch die Kriegsnöte bedrückte Be¬
völkerung der Kaiserstadt im Burgtheater Erhebung,
edle Anregung finden, täglich kann sie aus der rauhen
Wirklichkeit flüchten in das Reich des Erhabenen. Ur¬
lauber, die viele Monate lang im Feuer gestanden sind,
verbringen einen der wenigen, köstlichen Abend der Hei¬
mat im Burgtheater. Wirklich, man kann seine helle
Freude an dieser Bühne haben. Sie erfüllt ihren hohen
Daseinszweck mit edler Beharrlichkeit. Montag: Große
sexuelle Auseinandersetzung zwischen einem geilen Weib,
einem impotenten Mann und einem augenscheinlich po¬
tenten Grenzjäger. Dienstag: Klagelied eines Gealterten,
der die Familien seiner Freunde verseucht hat, dafür aber,
recht geschieht ihm, einsam geblieben ist. Freitag: Die
Geldgeschäfte der Bankiers Rothschild. Zu wie viel Pro¬
zent leihen sie ihre Gelder den Kaisern und Königen?
Samstag: Nur nicht g'schamig sein] Ob der Freund dem
Freunde die Braut verführt, oder ob ein anderer Freund
einem anderen Freunde das Weib wegnimmt, oder ob#ein
Weib ihren Mann mit einem Freund betrügt... nein,
wir sind nicht mehr so g'schamig, uns etwas daraus zu
machen. Und überhautt: die Kunst stellen wir über alles.
Vollends über das Hofburgtheater lassen wir nichts kom¬
men. Gerade das, was dort jetzt gespielt wird, gerade
das brauchen wir jetzt wie einen Bissen Brot. Wie könnte
denn sonst unser Volk geistig durchhalten? Vielleicht gar
mit den Klassikern? Das ist zum Lachen. Das geschwollene
Zeug von Schiller und Grillparzer, das kann uns gestohlen &
werden. Wie weltfremd, wie unlebendig! Da loben wir
uns unseren Schönherr und unseren Schnitzler. Die stehen
im Leben. Die kennen die Not und das Bedürfnis unserer
Zeit. Die fallen nicht hinein auf den dummen, im Ge¬
hirne des Toren erzeugten Wahn, daß der Mensch zu was
Besserem geboren sei. Lächerliche Gefühle, die sich im Her¬
zen ankündigen. Die Regungen des Unterleibes allein be¬
stimmen unser Tun.
Ja, wir haben ein kaiserlich königliches Hofburg¬
theater! Ein schönes, großes, teures Haus!
Ueberhaupt eine interessante Theaterwoche! Auf dem
Burgtheater schachern die fünf Frankfurter. An der
„Neuen Wiener Bühne“ wird „Onkel Bernhard“, nicht
müde, in der Firma und in der Liebe herumzumauscheln,
#.
auf der „Volksvühne“ erhebi die Feldmann ihren koscheren
Gettoschrei, den scheinbar niemand mehr hören will, und
auf der „Residenzbühne“ singen im „Golem“ aufgeregte
Kaftanträger ihre rituellen Klagegesänge. Am nächsten
Samstag kommt im Deutschen Volkstheater ein neues
Stück heraus, das, wie uns heute schon zart schonend mit¬
geteilt worden ist, auch wieder eine „Jargon=Rolle“ ent¬
halten wird. Bleibt von sämtlichen Wiener Schauspielbüh¬
nen das einzige Stadttheater, auf dem derzeit noch deutsch
gesprochen wird. Wer weiß, wie lange noch. Wie arg die
penetrante Last dieser Invasion ist, vermag man daraus
zu ersehen, daß imlängst ein „Neues Wiener Journal“ (1)
seufzend gefragt hat, wann man denn endlich wieder ein¬
mal lauter Christen auf der Bühne sehen werde. Völlig
verstört aber irrt der thoaterlustige Wiener Arier umher.
„Da blickt der Steffel seufzend auf uns nieder
Und denkt sich still der stolze Dom:
Lieder
Ist das mein Wien, die Stadt der
*
Am schönen, blauen Donaustrom?“
Im preußischen Abgeordnetenhaus hat ein sozial¬
1
a
Hehr
Lusschnitt aus: Die Zeit, Wien
om: 29 0AN 19·
10
Theater und Kunst.
b Burgtheater. In Schnitzlers „Ein¬
samen Weg“ soll nun Herr Mürt den
Professor Wegrat vorstellen, und entzaubert mit
seiner klaren, harten, schroffen Art die Anmut,
die um die rührende Gestalt gebreitet ist. Auch
sonst hat die Darstellung nur die äußere Ruhe,
nicht die innere Bewegtheit für dies edle, blasse
Seelenspiel. Aber das zahlreich versammelte
Publikum war doch dankbar, wieder einmal
einen Dichter zu hören, der in unser Jahr¬
hundert zuständig ist, fühlte den Herbstreiz —
dieses einsamen Alterns, die leise, fast zu
moralische Strenge, mit der hier Verrat, Zucht¬
losigkeit und Selbstsucht sich unerbittlich rächen.
Es scheint, daß die Talentlosen, die Mittel¬
mäßigen und Nur=Biederen den Krieg jetzt für
sich auf dem Theater ausnützen möchten, aber sie
irren, ihre Zeit ist ferner als je, Geistigkeit,
Geschmack, Verstehen nunmehr auf der Bühne
nur noch willkommener. Das bewies das aus¬
verkaufte Haus, sein Beifall und seine Er¬)
griffenheit.
Ausschnitt aus: grbeiter-Zeiung.
26 2. 1911
vom
Der weise Nathan und der klerikale Dummkopf.]
Aus Amsterdam schreibt man uns: Der Rotterdamer „Maas=1
bode“ veröffentlicht am 20. d. einen Wiener Brief, der die ###
christlich oziale Entrüstung über das gottlose — Burgtheater breit¬
mäulig ausgeifert. Wir zitieren daraus folgenden kostbaren
Satz: „... Die beiden anderen Stücke sind zweifellos mehr
bekannt. Es ist selbst möglich, daß irgend einem Leser schon von
—dieser Flut von Fäulnis, die aus Schnitzlers „Einsamem Weg
strömt, übel geworden und daß ek üblk die grotesken
Raivitäten, die „Nathan der Weise“ der Welt
als prima Weisheit auf drängen will, in Ver¬
wunderung geraten ist.“ Und auf Lessings dramatische Ver¬
kündung des Humanitätsgedankens bezieht sich noch folgender
Satz: „Während der müde Soldat im seuchten Laufgraben das
langvergessene Vaterunser wieder stammelt . . . beschäftigen sich
die ersten Schau pieler Wiens, einen Gottesdienst anzupreisen,
der in Wirklichkeit kein Recht hat, diesen herrlichen Namen zu¬
tragen, und nichts anderes bezielt, als die halbidioti¬
ischen Sentenzen verbummelter Theologen
an den Platz der alleinseligmachenden Lehre des heiligen
Evangeliums zu setzen.“ — Köstlich ist übrigens die Meinung¬
des Korrespondenten, daß ein Leser möglicherweise
„Nathan den Weisen“ kennen könnte. Da jeder halbreas
gebildete Holländer die klassische deutsche Literatur kennt, charakte¬
risiert der „Maasbode“ so seine Leserschaft.
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Ausschnitt ausgesenereur, lan
7713 1916
Vol:
Theater, Kunst, Musik.
Theaternotizen.
Eine feine Burgtheaterwoche! Montag: Schönherrs
„Weibsteufel“, Dienstag: Schnitzlers-„Der einsame Weg“,
Freitag: Rößlers „Die fünf Frankfurter, Samstag:
Schnitzlers „Komödie der Worte“ ... Nämlich: Wir haben
im kaiserlich königliches Hofburgtheater. Wir haben die
„beste deutsche Bühne“, ein Haus voll großer Vergangen¬
heit. Auch ein teures Haus. Aber das macht nichts. Der
Kaiser bezahlt alles. Dafür haben wir aber auch in unse¬
nom Hofburgtheater einen wahrhaftigen Kunsttempel.
Täglich kann die arme, durch die Kriegsnöte bedrückte Be¬
völkerung der Kaiserstadt im Burgtheater Erhebung,
edle Anregung finden, täglich kann sie aus der rauhen
Wirklichkeit flüchten in das Reich des Erhabenen. Ur¬
lauber, die viele Monate lang im Feuer gestanden sind,
verbringen einen der wenigen, köstlichen Abend der Hei¬
mat im Burgtheater. Wirklich, man kann seine helle
Freude an dieser Bühne haben. Sie erfüllt ihren hohen
Daseinszweck mit edler Beharrlichkeit. Montag: Große
sexuelle Auseinandersetzung zwischen einem geilen Weib,
einem impotenten Mann und einem augenscheinlich po¬
tenten Grenzjäger. Dienstag: Klagelied eines Gealterten,
der die Familien seiner Freunde verseucht hat, dafür aber,
recht geschieht ihm, einsam geblieben ist. Freitag: Die
Geldgeschäfte der Bankiers Rothschild. Zu wie viel Pro¬
zent leihen sie ihre Gelder den Kaisern und Königen?
Samstag: Nur nicht g'schamig sein] Ob der Freund dem
Freunde die Braut verführt, oder ob ein anderer Freund
einem anderen Freunde das Weib wegnimmt, oder ob#ein
Weib ihren Mann mit einem Freund betrügt... nein,
wir sind nicht mehr so g'schamig, uns etwas daraus zu
machen. Und überhautt: die Kunst stellen wir über alles.
Vollends über das Hofburgtheater lassen wir nichts kom¬
men. Gerade das, was dort jetzt gespielt wird, gerade
das brauchen wir jetzt wie einen Bissen Brot. Wie könnte
denn sonst unser Volk geistig durchhalten? Vielleicht gar
mit den Klassikern? Das ist zum Lachen. Das geschwollene
Zeug von Schiller und Grillparzer, das kann uns gestohlen &
werden. Wie weltfremd, wie unlebendig! Da loben wir
uns unseren Schönherr und unseren Schnitzler. Die stehen
im Leben. Die kennen die Not und das Bedürfnis unserer
Zeit. Die fallen nicht hinein auf den dummen, im Ge¬
hirne des Toren erzeugten Wahn, daß der Mensch zu was
Besserem geboren sei. Lächerliche Gefühle, die sich im Her¬
zen ankündigen. Die Regungen des Unterleibes allein be¬
stimmen unser Tun.
Ja, wir haben ein kaiserlich königliches Hofburg¬
theater! Ein schönes, großes, teures Haus!
Ueberhaupt eine interessante Theaterwoche! Auf dem
Burgtheater schachern die fünf Frankfurter. An der
„Neuen Wiener Bühne“ wird „Onkel Bernhard“, nicht
müde, in der Firma und in der Liebe herumzumauscheln,
#.
auf der „Volksvühne“ erhebi die Feldmann ihren koscheren
Gettoschrei, den scheinbar niemand mehr hören will, und
auf der „Residenzbühne“ singen im „Golem“ aufgeregte
Kaftanträger ihre rituellen Klagegesänge. Am nächsten
Samstag kommt im Deutschen Volkstheater ein neues
Stück heraus, das, wie uns heute schon zart schonend mit¬
geteilt worden ist, auch wieder eine „Jargon=Rolle“ ent¬
halten wird. Bleibt von sämtlichen Wiener Schauspielbüh¬
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gesprochen wird. Wer weiß, wie lange noch. Wie arg die
penetrante Last dieser Invasion ist, vermag man daraus
zu ersehen, daß imlängst ein „Neues Wiener Journal“ (1)
seufzend gefragt hat, wann man denn endlich wieder ein¬
mal lauter Christen auf der Bühne sehen werde. Völlig
verstört aber irrt der thoaterlustige Wiener Arier umher.
„Da blickt der Steffel seufzend auf uns nieder
Und denkt sich still der stolze Dom:
Lieder
Ist das mein Wien, die Stadt der
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Im preußischen Abgeordnetenhaus hat ein sozial¬
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