II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 3), Zum großen Wurstel. Burleske in einem Akt (Marionetten), Seite 8

17.3. Zum grossen Nurstel box 22/9
Telephon 12801.
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„UBSEHVEh
I. österr. behördl. Konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York, Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
Neues Wiener Tacblatt
17. 3. 1906
vom:

Lustspieltheater. Beim, gestrigen literarischen
Abend, der zugleich im Dienste der „Wohltätigkeit stand,
kam zunächst (Lucian,mit per( S(tire „Die Fahrt
Telephon 12801.
über den Styxf zu Worte, die Paul Lindau für
die deütsche Bühne bearbeitet hat. Der alte griechische

Spötter läßt einen Tyrannen in der Unterwelt all die
BOSEHVEN
Schandtaten büßen, die er während seines Lebens verübt
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
hat. Es ist der Reflex eines antiken Kulturbildes, der vor
Wien, I., Concordiaplatz 4.
dem Zuschauer aufleuchtet. Man hört aus dem schrillen
Vertretungen
Lachen dieser geistspruhenden Satire auch die Entrüstung
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
eines ehrlichen Mannes über die Dekadenz seiner Zeit.
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York, Paris, Rom,
Aber als Lucian die Geißel seiner Satire sausen ließ,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
waren die alten Griechengötter bereits tot. Und so wird das
(Quelienangabe ohne Gewähr)
Mene Tekel, das er in der „Fahrt über den Styx“ schrieb,
Ausschnitt aus:
keinen Tyrannen mehr geschreckt haben. — Das Publikum
nahm die Novität mit gemischten Empfindungen auf. Man —
17 MEOSenblatt, Wien
applaudierte und zischte. Ein großer Teil der Zuschauer
vom:
stand der Novität offenbar ohne rechtes Verständnis gegen¬
über. — Die Darstellung blieb manches schuldig, dafür
(Lustspieltheater.) Der gestrige Novitätenabend war einem
entschädigte uns die stimmungsvolle Ausstattung. Dem
reits rühmlichst bekannten Wohltätigkeitsunternehmen, dem unter
alten Griechen folgte ein junger Berliner Autor, Erich
em Protektorate Ihrer k. u. k. Hoheit der Frau Erzherzogin
Korn, mit einem Bilde aus dem dreißigjährigen Kriege
Naria Josefa stehenden „Ersten öffentlichen Kinderkrankeninstitut
„Mamzell Courasche“. Eine tapfere Soldatendirne, die
in Wien“ gewidmet. Logen und Parkettsitze waren schon seit einigen
auf den Namen Mamzell Courasche hört, heiratet einen¬
Tagen ausverkauft gewesen. Drei Einakter bildeten das Programm,
italienischen Fechtmeister. In der Brautnacht wettet###
von denen zwei noch eine ausführlichere Würdigung finden sollen.
mit einem Offizier, daß er seine soeben ihm angetraute
Heute sei nur von Lucians „Fahrt über den Styx“
Frau prügeln werde. In dem Moment, da er sein Vor¬
(bearbeitet von Paul Lindau) berichtet, daß diese „Satire“ des
haben ausführen will, erwacht in Mamzell Courasche der
geistreichsten Causeurs der römischen Kaiserzeit das Publikum fremd¬
Soldat und sie ersticht ihren Mann. Die Grundidee ist
artig anmutete. Die Allegorien der pessimistischen Rhetorenweisheit
nicht übel. Aber das Stück ist ein Zwittergeschöpf
sind wohl hier zu seriös gehalten und um sie wirksamer auszuge¬
psychologische und operettenhafte Elemente huschen in
stalten, bedurfte es pathetischerer Kraft, als die Darstellung
bunter Reihe vorüber. Wie sollte unter so bewandten Um¬
bieten konnte. Doch muß der Klotho (Fräulein Joseffy)
ständen eine einheitliche Stimmung aufkommen? Daß der
mit Anerkennung erwähnt werden. Schnitzler, der Pessimist
Autor Begabung und Bühnensinn besitzt — das hat er
von heute, fand mit seinem toll vorbeiwirbernden Marionettenspiel
übrigens auch hier ebenso wie in seiner
„Zum-großen Wurstl“ mehr Verständnis und augenblickliche
„Colombine“ bewiesen, die seinerzeit im Voltstheater mit
Würdigung. Für den Beifall dankte Direktor Jarno im Namen des
Frau Odilon in der Titelrolle gegeben wurde. Das
abwesenden Verfassers. Inmitten der beiden eben erwahnten Werke
Urteil des Publikums war zwiespältig wie
war eine dritte Novität gestellt worden, die gleich hier ihre kurze
das Stückchen. Der Autor wurde wiederholt
Erledigung finden soll: „Mamzell Courache“, ein Bild aus
gerufen, aber der Beifall stieß auch auf eine ent¬
dem dreißigjährigen Krieg von Erich Porn, Musik von Oskar
schiedene Opposition. Fräulein Helm als Trägerin der
Straus. Eine grell herausgeputztegeschichte, die auf
Hauptrolle bot nur die äußeren Umrisse der Figur. —
grobe Nervenreize rechnet. Nicht von innerer Unwahrheit soll
Den Schluß des Abends bildete die einaktige Burteske
gesprochen werden und auch nicht das historische Gewand auf
„Zum großen Wurstl“ von Arthur Schnitzler.
seine Echtheit geprüft werden, denn man hat es nur mit der Zu¬
Ein Stück wird auf der Bühne in einem Wurstltheater
bereitung saftiger Bühnenwirkungen zu tun. Die Handlung würde
aufgeführt von Darstellern, die, an Drähten gebunden, wie
ebensogut sich der Römerzeit, aber am besten einem zweideutigen Berliner
Marionetten agieren. Das Praterpublikum glossiert das
Hotel mit Kabarettwirtschaft anpassen. Fur eine Fülle von Unflätigkeiten
Spiel, der Direktor als Ausrufer einer Praterbude glossiert
ist im Dialog nachhaltig gesorgt. Vom Bühnenstandpunkt genommen,
das Spiel und das Publikum — und schließlich erscheint
muß zugestanden werden, daß der Einakter gute Rollen zu vergeben hat.
auch ein Unbekannter im schwarzen Mantel, der andeutet,
Fräulein Helm bewies als Trägerin der Titelrolle ihre treffliche
daß nicht nur die Spieler auf der Bühne, sondern auch die
Eignung für das ernste Fach. Das leidenschaftliche Aufflammen in
Zuschauer im Hause Marionetten seien. Die Burleske ist
Ihren Geberden verrät gutes Tragödenblut; auch Herr Dumont
reich an geistvollen und satirischen Worten — sie persiffliert
als General fand verdiente laute Anerkennung. Nachdem der Vor¬
alles: die alte und die neue Richtung — sie persiffliert
hang gefallen, wurde der Beifall durch heftiges Zischen bekämpft.
Zw.
Autoren, Direktoren und Publikum. — Aber das Ganze
hat kein Rückgrat. Man weiß nicht recht, was eigentlich
der Dichter will — man vermutet sogar, daß Schnitzler
selbst nicht recht wußte, was er wollte. — Das Stück,
in dem Herr Hofer einen Praterbudenausrufer prächtig
imitierte und in dem auch die anderen Darsteller den Ton
der Burleske sehr gut trafen, hat das Publikum lebhaft
amüsiert, Man hat viel gelacht und zum Schlusse wurden
die Mitwirkenden durch starken Beifall ausgezeichnet.
m. 5.