den Tantiemen, die „Elga“ erzielt, müßte von Rechts wegen eil
guter Teil der Stiftung zufließen, deren Chronik den Namen
Gerhart Hauptmanns wiederholt verzeichnet, zur Erhöhung des
Grillparzer Preises.
Geht man den inneren Gründen nach, die Hauptmann ver¬
anlaßt haben mögen, die Grillparzersche Erzählung auf die Bühne
zu verpflanzen, so kann man wohl kaum lange in Zweifeln be¬
sangen sein. Es imponirte ihm der hoch aufgetürmte Hügel dramatischer
Rohmaterialien. Grillparzer, der als Jüngling seinenersten dramatischen
Löwenwurf „Die Ahnfrau“ auf einer in Mödling spielenden
löschpapierenen Geistergeschichte aufgebaut hatte, erlag später mit
seinem „Kloster bei Sendomir“ einer Geschmacksverirrung seiner
Zeit. Vielleicht ärgert es einen deshalb so besonders, ihn in den
Fußstapfen der Ritter= und Räuberromanfabrikanten Spieß,
Cramer usw. zu sehen, weil die zweite Novelke, die wir von ihm
haben, der herrliche „Arme Spielmann“ ist. Jene in jedem Sinne
vielverschlungenen, beim Pöbel aller Stände so beliebten
„romantischen Sagen aus der Vorzeit“ waren, wie Vischer
richtig sagt, „ausgewalkte Balladen“. Nach Grimm aber ist jede
richtige Ballade (an eine Schillersche darf man also nicht denken)
ein Drama in einer Nußschale. Jede knappe, lakonische Strophe
ein Aktschluß, mindestens eine große Szene. Die Ballade kennt
ein Ziel, kümmert sich nicht um die Wege, auf denen es zu
erreichen ist. Das geehrte Publikum wird ersucht, mitzudichten.
In dieser Erlaubnis liegt ein großer Zauber, von dieser Freiheit
des einzelnen, sich je nach seinen Phantasiemitteln mit schöpferisch zu
betätigen, leben ja unsere modernen Symbolisten. Hauptmann
hat „Elga“ dem Maeterlinck einfach vor der Nase weggedichtet.
Aber mußte nicht notwendigerweise doch ein Buchdrama (im guten
Sinne des Wortes) entstehen? Die Plastik des szenischen Vor¬
ganges kennt jene Konzession nicht; sie heischt, alles so zu
nehmen, wie es dargeboten wird. Sie ist selbstherrlich und ver¬
bittet sich vom Zuschauer träumerisches Ausspinnen abseits der
Direktionslinie, auf der die Handlung mit gebundener Marschroute
und mit bestimmten Etappen dahinzieht.
Wenn Franz Grillparzer, der — obwohl dies manche deutsche
Literaturgeschichte noch immer nicht zugeben will — immerhin auch
einigen Blick für die dramatische Tauglichkeit von Stoffen besaß,
„Das Kloster bei Sendomir“ für einen mit Titelkupfern verzierten
Almanach und nicht für das Theater schrieb, so mußte er wohl
den Grundsatz beobachtet haben, daß jedem Sujet jene Form ge¬
bühre, in der es sich zur stärksten Geltung bringen kann. Der
gestrige Abend hat denn auch gezeigt, daß der Wiener Dichter im
Rechte war und nicht der Agnetendorfer. Die ausgewalkte Ballade
vom Grafen Starschenski darf dem Rampenlicht nicht nahekommen.
Alle Zauber der modernen Bühne können die Vorgänge nicht in
jene Nebelfernen rücken, bei denen das Revier für das mitdichtende
Genießen beginnt, denn hart im Raume stoßen sich die Sachen auf
dem Theater. Das hätte sich auch bei einer ganz einwandfreien
Darstellung störend geltend gemacht. Und von einer solchen konnte
man gestern wahrhaftig nicht sprechen. Irene Triesch genügt
ich rede gar nicht von ihrem Un¬
nicht für die Titelrolle
vermögen, die Dämonin der Schönheit den bescheidensten Sinnen
vorzuspiegeln — denn sie hat nur Nervosität, also höchstens die
Gewalt der Schwäche. Und sie hat doch zu sagen: „Nimm Leben
von mir, ich habe genug für zwei!“ Noch unleidlicher wird dieses
Defizit bei ihrem Gegenspieler Rudolf Rittner. Sein Graf
stattlich wie ein Bräuhausbesitzer,
Starschenski ist
besitzt ein überquellendes Vollmondgesicht und bringt
doch die unvermittelten schrillen Töne und vibrierenden, weiner¬
lichen Stimmgikser des Neurasthenikers. Die beiden Haupt¬
darsteller können daher nicht allmählich steigern, sondern haben in
jedem Bilde ihre sämtlichen Ausdrucksmittel hergegeben und müssen
im folgenden das beschränkte Repertoire von vorne abspielen. Sie
waren kostümierte Großstadtmenschen und von ihrer schau¬
spielerischen Umgebung gilt dies in noch höherem, also ärgerlicherem
Maße. Nur Fräulein Else Schiff hatte Stil und richtiges Ver¬
hältnis zur sarmatisch gleißnerischen Figur der Kammerzofe Dortka.
Herr Emanuel Reicher war als Hausverwalter Timoska einfach
grotesk. Eine schwer katarrhalische Unke.)
Das Hauptmannsche Stück, dessen sämtliche Zwischenakte
durch Orgelklang und Mönchsgesang eine melodramatische Beeinträchti¬
gung erlitten, wurde schweigend hingenommen; nur zum Schlusse
klatschten ein paar Leute.
Den Abend leitete die in Wien schon bekannte kniffelige Skizze
„Der Puppenspieler“ Schnitzlers ein. Sie brachte einen schönen Erfolg
für Albert Bassermann, der den verbummelten Georg Merklin
erst effektvoll in Scherben schlug, um ihn, ein kleiner Mitter¬
wurzer, dann wieder geschickt zu einem ganzen Menschen zusammen¬
o. t.-b.
zufügen.
Trlephon 12801.
53.
„UBSENSEN
I. österr. gehördl konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschaitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York. Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
-5. 5. 1906
Ausschnitt aus:
vom: Österr. Volks Zeitung, Wien
Theater an der Wien. Mit zwei Halbneuheiten
für Wien wurde gestern das Gesamtgastspiel des
Berliner Lessingtheaters hier ziemlich erfolg¬
reich eröffnet: mit der Studie „Der Puppenspieler“
von Schn######—und dem Nachtstück „Elga“ von
Gerhart Hauptmann, dieses nach einer Grillparzer¬
schen Novelle. Der „Puppenspieler“ hat uns schon vor
etwa zwei Jahren in einer Matinee im Carltheater
seine Theorie entwickelt, die darin gipfelt, nur derjenige
könne mit den übrigen Menschen wie mit Puppen spielen,
der die Freiheit seiner Entschließungen und Handlungen
weder um Gold noch um Liebe verschachert. Daß er
dabei kein Hemd anzuziehen hat und wohl häufig genug
bei „Mutter Grün“ zu Gast sein muß, geniert nicht.
Es ist jedenfalls erfreulich, daß Dr. Schnitzler nicht so
ein Prinzivienreiter ist, wie sein Puppenspieler, er wäre
in diesem Falle heute nicht ein erfolgreicher Bühnen¬
dichter, sondern müßte sich darauf beschränken, den patho¬
logischen Zustand seines Georg Merklin als Arzt zu behandeln.
Herr Bassermann spielte die Titelrolle in einer
Weise, die an die Genialität und das große Können
Mitterwurzers lebhaft erinnerte. Etwas Schmeichelhafteres
kann man ihm kaum sagen. „Elga“ wurde von Haupt¬
mann nach der Novelle „Das Kloster bei Sendomir###
dramatisiert, die Grillparzer „nach einer als wahr über¬
lieferten Begebenheit“ im Jahre 1828 in dem Almanach
„Aglaja“ veröffentlicht hatte. In der Novelle gelangt ein
Ritter in das bezeichnete Kloster und ein Mönch — ein
Graf Starschensky — erzählte ihm seine eigene Lebens¬
geschichte. Er hatte ein schönes, junges Weib, das ihm
alles gewesen, Frühling, Sonne, das ihm Duft,
Wirme und Licht gegeben und das ihn in die düstere kalte:
Nacht des Klosters gestürzt. Die von ihm übermenschlich
Geliebte betrog ihn mit einem jungen Menschen vor und
nach der Verheiratung und dieser war auch Vater dess
Kindes, das der Graf als verjüngtes Ebenbild der an¬
gebeteten Mutter vergöttert hatte. In der Novelle läßt der
Ritter den Elenden laufen und erschlägt die Ehebrecherin;
in Hauptmanns „Nocturnus“ ersticht der Betrogene dens
geliebten seiner Frau und diese läßt er laufen. Jeden¬
falls vernünftiger. Auch läßt er den ritterlichen
(Gast im Kloster die ganze blutige Geschichten
träumen und, um die Traumstimmung zus
in den Zwischenakten den Trauerchor
erhalten,
der Mönche fortsetzen, mit dem das Vorsviel schließt.
Grillparzer erzählt die Geschichte ziemlich trocken; Haupt¬
mann kleidet sie in ein poetisches Gewand, schmückt sie
mit dem Zauber berückender Romantik. Rittner schuf¬
in der Doppelrolle als Mönch und Graf eine herrliche
Kraftgestalt, die Liebe und Rachsucht gleich gigantisch
verkörperte. Irene Triesch schillerte blendend in den
nuancenreichen Phasen des liebenden und gleißnerischen
Weibes; verlieh ihren Empfindungen ebenso ergreifenden wie
mächtigen Ausdruck. Dämonischer können Schönheit und
Falschheit zugleich wohl kaum zur Darstellung gelangen.“
Aber auch Emanuel Reicher hatte Gelegenheit, seine
bedeutende Künstlerschaft zu beweisen. So recht erwärmen
konnte sich das Publikum freilich nicht. Weder das eine
noch das andere Stück bietet den Darstellern die von
ihnen gewünschte Möglichkeit, die Zuhörer — von Zu¬
schauern kann bei der fast unausgesetzt verfinsterten
Bühne kaum die Rede sein — zu entflammen. Sie
blieben während des ganzen Abends kühl bis ans Herz
A. L.
hinan.