II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 52

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16.1. Lebendige Stunden—Zyklus
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Ausschnitt aus:
Tene apsrirehe Aina Herse
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Theater und Musik.
haft, noch überhaupt menschlich anmuthend! Aber am Schlüß des
Stückes sehen wir, wie die Frau von heute trotz dieses warnenden
Deutsches Theater.
Traumes dem Werben des Mannes nachgiebt, um am Abend vielleicht
„Lebendige Stunden.“ Von Arthur Schnitzler. Erste
zu wiederholen, was vor fünfhundert Jahren schon einmal geschehen
Aufführung am 4. Januar. Regie: Emil Lessing.
ist. Das ist nun freilich wieder menschlich, und es wirkt erschütternder.
Die leichte Wiener Muse Arthur Schnitzlers wagt sich in diesem
1 als die wilde Scene aus der Renaissancezeit.
Einakter=Cyklus an ein ernstes Problem, das wohl jedem ausübenden
Das dritte Stück, „Die letzten Masken“ führt uns ins
Künstler sich zuweilen aufdrängt, nämlich an die Frage nach dem
Spital, wo ein kranker Schauspieler an den Sterbenden seine Studien
Rechte des Künstlers, eigenes und fremdes Unglück wie ein Arzt zu
macht, voll immer reger Lernbegierde, aber auch behaftet mit all der
# studiren, um eine ästhetische Befreiung daraus zu finden. Der Ver¬
komischen Selbstüberschätzung, die den großen wie den kleinen Mimen
fasser ist Arzt und Dichter. Das Thema lag ihm also nahe. Er ist
nun einmal eigenthümlich ist. Ein armer kranker Journalist, der
aber auch Wiener, und seine Kunst hat er an französischen Vorbildern
im selben Zimmer seinem Ende entgegensieht, hat von dem
geschult. Man wird ihm daher keinen Vorwurf daraus machen, daß
Schauspieler
gelernt, daß
es befreiend wirke, wenn man
ihm die neckische, satirische Behandlung seines Themas am besten ge¬
auf dem Krankenbette allem Haß und Groll gegen andere Luft machen
lingt, ja daß ihm sogar ein gewisser grotesker Humor immer noch
könne, und er bestellt seinen ehemaligen Freund, einen erfolgreichen
natürlicher steht, als die Tragik. Er scheint das selbst zu wissen,
Dichter, zu sich, um ihm mit rohen Worten den Beweis zu geben, daß
A1 denn er hat die vier kleinen Schauspiele in einer Reihenfolge an¬
sein Ruhm erschlichen, sein Erfolg nur Schein sei. Der Dichter läßt
Al geordnet, die seiner Begabung entspricht und also die Wirkung
auf sich warten, und der Schauspieler reizt den sterbenden Journalisten,
steigert.
seine Strafrede zur Probe zu halten, um an ihm den Ausdruck
Der erste Einakter, der den gemeinsamen Titel hergiebt, heißt:
leidenschaftlichen Hasses zu studiren. Als der Dichter dann erscheint
„Lebendige Stunden“. Die schwer kranke Mutter eines
und sich dem Sterbenden als ein Mann zeigt, den kleine und klein¬
Dichters hat sich selbst vergiftet, um den Sohn von der nieder¬
liche Sorgen und Freuden des Lebens umtreiben wie irgend ein
drückenden Sorge um sie zu befreien und ihn seinem Dichterberuf
anderes armseliges Menschlein, da erscheint er dem Sterbenden zu
wiederzugeben. Der Sohn ist als lyrischer Dichter ein Stimmungs¬
klein für seinen Haß; er schweigt und stirbt voller Mitleid mit allen
mensch. Ihm tritt ein alter Freund der Mutter entgegen, der die
im Leben Zurückbleibenden. — Dies Stück ist als Bühnenwerk noch
Rechte des Herzens und Gemüthes gegen die der Kunst geltend macht.
gewagter, als das vorige, und nur die wunderbare Darstellungskunst
Der mit scharfer Dialektik geführte Streit bleibt unentschieden; der
der Herren Hanns Fischer (als Schauspieler) und Max Reinhardt
Dichter trennt sich von dem Wirklichkeitsmenschen mit dem stolzen Worte,
(als Journalist) verhalf ihm zu einem vollen Erfolge.
daß die frohen und die trüben Stunden erst durch die Kunst lebendig
Das letzte Stück, „Literatur“, ist ein witziger Schwank,
gemacht werden und im Kunstwerke über Ort und Zeit hinaus fort¬
der mit scharfer Satire die Manier der Bohemiens verspottet, alle
wirken.
ihre gelegentlichen Liebschaften „literarisch zu verwerthen". Er und
Im zweiten Stück, das den Titel führt: „Die Frau mit
sie drucken gleichzeitig ihren Briefwechsel aus „jener Zeit“, die für sie
dem Dolche“, wird uns gleichsam ein Beispiel für diese These ge¬
beide „überwundener Standpunkt“ ist, in einem neuen Romane ab.
geben. In einer Galerie hängt ein altes italienisches Bild, das eine
Sie aber hat einen reichen, vornehmen, ganz und gar literartur¬
mänadisch schwärmende Frau mit hoch erhobenem Dolche darstellt.
fremden Sportsman gefunden, der sie heirathen will, und der
Vor diesem Bilde trifft sich ein junges Paar, dessen sündige Leiden¬
die ganze Auflage ihres Romanes einstampfen läßt, ehe
schaft auf ein ähnliches Ende, wie das im Bilde geschilderte,
jemand das Buch gelesen hat. Der Literaturbetrieb jener Unterschicht
hinzudrängen scheint. Vor dem
geistigen Auge der jungen
von Schriftstellern ist noch nie so witzig verspottet worden, und das
Frau entwickelt sich die Tragödie des Bildes vom Anfang] Publikum zeigte vollstes Verständniß. Auch die Darstellung (Fräulein
bis zum blutigen Schlusse, und wir sehen
selbst
Irene Triesch und die Herren Bassermann und Rittner)
mit an, wie der Maler des Bildes seine Gattin, das
war unübertrefflich.
Modell des Bildes, mit ihrem Liebhaber überrascht, wie er voller
Bedauerlich ist, daß Schnitzler kaum einen anderen dramatischen
Verachtung dem Verräther die Thüre weist, um an der Frau selbst
Konflikt zu kennen scheint, als den geschlechtlichen. In allen vier
Rache zu nehmen, und wie sie selbst dann den Liebhaber ersticht, der
Stücken ist er in die Handlung einbezogen. Das macht den Eindruck
sie schwach gesehen hat. Nach der furchtbaren That erstarrt sie in
einer bewußten Spekulation auf den Geschmack der Theater=Habitués.
Schreck und Grauen, und der Maler greift sogleich zum Pinsel,
Im übrigen wird man trotz der verzwickten Situationen und der geist¬
um dieses entsetzliche Bild aus dem Leben im Kunst¬
reichelnden Erfindung die Menschenkenntniß des Verfassers und seine
gebilde festzuhalten. Eine stark auf die Spitze getriebene
Bühnensicherheit auch bei kritischer Betrachtung der vier Einakter ebenso
Anwendung des Satzes von den „lebendigen Stunden“, weder alaub= anerkennen müssen, wie es von dem schließlich gant
nirten 1
—Pudlilum geschah. Der Abend brachte dem „Deutschen Theater“ den¬
ersten großen und unbestrittenen Erfolg dieses Winters.
F.r