II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 96

gern die Gedanken scharf herausschält und unmittelbar ein¬
ander gegenüberstellt. Er erzielt damit einen gewissen äußeren
Spannungsreiz, zwingt den Zuhörer, mit zu disputiren, aber
die menschliche Wahrheit der Situation geht dabei leicht
perloren.
Auch das zweite Stück, „Die Frau mit dem Dolche“,
leidet unter diesem Fehler. Das Problem wirkt künstlich zu¬
recht geschnitten, und daher erweckt das Stück wohl jene
Stimmung, die man Interesse nennt, nicht aber unmittelbare
menschliche Theilnahme. Der Gegensatz zwischen dem Leben
des Künstlers und der Art, wie der gewohnliche Mensch das
Leben auf sich wirken läßt, ist hier nicht in dem Grade wie in
dem ersten Stucke Hauptmotio
Das eigentliche Problem
bietet ein Frauencharakter, und in seiner Analyse hat wiederum
der Arzt Schnitzler den Vortritt vor dem Künstler. Der
Konflikt zwischen erotischer Leidenschaft und der großen Liebe
hat ihn gelockt: Paula, die Gattin eines Dichters, den sie anbetet,
wie man das Göttliche anbetet, hat in ihrer Brust noch Raum
für eine flüchtige, aber starke erotische Leidenschaft zu einem
hübschen Jüngling, mit dem sie innerlich nichts verbindet, zu
dem sie nur ein heißes sinnliches Verlangen zieht. Das ist
der psychologische, besser pathologische Fall, den Schnitzler
„demonstrirt“.
Und zwar mit raffinirt theatralischen
Mitteln. Vor einem anonymen Renaissancegemälde i
der Gemäldegalleric. „Die Frau mit dem Dolche“, treffen sich
Paula und ihr Geliebter Leonard. Er hat ihr die selisame
Aehnlichkeit zwischen ihr und dem rothhaarigen Räthselreibe
des Gemäldes zeigen wollen, und er hofft heute endlich von
ihr Erhörung. Aber Paula sieht nicht nur die Aehnlichkeit,
nein, sie fühlt plötzlich, daß sie selbst diese Frau mit dem
Dolche ist, und es erwacht in ihr, während Leonard ihr mit
wilden Worten seine Leidenschaft gesteht, etwas wie eine Er¬
innerung aus einem früheren Leben, und plötzlich werden ihre
Phantasiegestalten Wirklichkeit: die Bühne verdunkelt sich, und,
als es wieder hell wird, sind wir in ein Schloßgemach der
Renaissancezeit versetzt und erleben die Geschichte der „Fr###
mit dem Dolche“
Paola, des großen Malers Remizio schönes
Weib, hat sich in der Abwesenheit ihres vergötterten Gatten,
in einem Augenblicke des sinnlichen Rausches dem jungen Maler
Lionardo ergeben. Nun der Rausch vorüber, ist er ihr nicht
mehr als ein zerbrochenes Spielzeug, und ihre Seele jauchzt
dem endlich heimkehrenden Gatten zu. Vergeblich alles Flehen
und heiße Drängen Lionardos, vergeblich sein Drohen, als sie
ihn verächtlich bei Seite stößt, sich zu tödten. Es ist Tag ge¬
worden, die Nacht ist dahin, und sie weist ihm, der letzten Er¬
innerung an die Nacht, die Thüre.
Er aber, dessen
ganzes Leben dami zerstört ist, bleibt und wünscht sich nur
den Tod von Remigios Hand. Diesen jedoch läßt das Ge¬
ständniß, das ihm Lionardo entgegenschleudert, kalt.
Er lebt¬
in einem anderen Leben, zu dem Lionardo keinen Zutritt hat,
und hochmüthig heißt er ihn gehen. Lionardo tobt und rast,
aber nichts reizt den Künstler Remigio; auch als Lionardo
nun jah seine Stimmung wechselt und in glühendem Haß
ihn zu tödten schwört, bleide Remiglo unbewegt. Paola
aber bebt in tödlicher Angst vor Lionardos That, und in dem
Aufruhr ihrer Gefühle ergreift sie den Dolch und stößt ihm
Lionardo, der sich eben zum Gehen gewendet, mit wilder
Kraft ins Herz. Und Remigio? Für ihn bedeutet dieser
Moment die endliche Inspiration für Paolas Bild, das er
begonnen, aber bis dahin nicht hat vollenden können. Hier
liegen seine „lebendigen Stunden“ ... Das ist die Geschichte
von Paola und Lionardo, die vor Jahrhunderten sich zu¬
getragen, und das wird auch die Geschichte von Paula und
Leonard werden; denn als Paula aus ihrem weltentrückten
Sinnen wieder erwacht und sich wieder in der Bildergallerie
und Leonards heißem Drängen gegenüber findet, da gewährt
sie ihm, dem sie noch eben aufs Nimmerwiedersehen hat Lebe¬
wohl sagen wollen, mit einem räthselhaften Blick seine heiße
Bitte. Sie wird in der Nacht zu ihm kommen, es soll die
letzte Nacht sein, bevor sie mit dem Gatten die Stadt
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verläßt,
wird Leonards letzte Nacht werden.
Paulas Gatten lernen wir nur in der Traumgestalt!
des Remigio und aus der Schilderung Leonards
kennen: er ist
ein Künstler wie Remigio, dem die
Gabe geworden ist, seine Seelenerlebnisse im Kunstwerk zu##
objektiviren. Doch tritt, wie gesagt, dieses Motiv mehr in den
Hintergrund.
Menschlich am einfachsten und deshalb am meisten un¬
mittelbar packend ist das dritte Stück „Die letzten
Masken“. Die Szene ist in einem Spital. Ein Sterben¬
der äußert den dringenden Wunsch, noch ein Mal einen früheren
Freund, dem berühmten Dichter Weihgast, zu sehen. Der Arzt
willfahrt schließlich dem Flehen des Kranken und holt den
Dichter. Inzwischen aber erfahren wir den Grund, warum
der Sterbende diese letzte Begegnung ersehnt hat. Nicht um
ihm noch einmal die Hand zu drücken, sondern um ein einziges
Mal all den Haß ihm ins Gesicht zu schreien, mit dem ihn
sein Leben, das Leben eines stets Erfolgverlassenen, gegen den
erfolgreichen einstigen Freund erfüllt hat und vor Allem,
um ihm zu sagen, daß der Verachtete und von ihm
in den Hintergrund Gedrängte, zwei Jahre die Gattin
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Tichters Aneit ganselt Strtratne 11
Den Bericht über die Aufführung der Tragödie
„Dantons Tod“ von Georg Büchner im Bellealliance¬
Theater durch die Neue Freie Volksbühne haben wir
aus Raummangel bis morgen zurückstellen müssen.
anein