II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 604

Stadttheater.
Letzten Samstag wurden drei Elnakteraufge¬
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führt. „Die lletzten Masken“ von Schnitzer;
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„Der Dieb“ von Mirbeau und De
liche Kommissär“ v. Courteline. Der Theater¬

zettel trug an der Spitze die Bezeichnung:„Lite¬
rarischer Abend“. Das will ungefähr so viel 8
sagen wie: Vorsicht: zerbrechlich! oder: Nur für Fein¬
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schmecker! oder: keine Zoten. Dieser Wink hatte auch [8
seine Wirkung. Das große Publikum blieb hübsch [2.
weg; nur einige mutige Leute, die mit solchen Dingen
wie Literatur umzugehen verstehen, solche, die so
tun, als ob sie das verständen und schließlich solche,
die von Berufswegen so was verstehen müssen, sind
erschienen Nur die Gallerie, auf der überall die
Pioniere der Kunst ihre Insel haben, war ganz
besetzt. Die kleine Gemeinde war ein wenig gespannt
Der Vorhang ging in die Höhe und man sah ein
Zimmer eines Wiener Krankenhauses, wo die letzter
Masken spielen. Man kennt das Stück. Ein Men
schenschicksal wird da in kuappen, scharfen Zügen
gezeichnet. Der Journalist Rademacher kämpfte sein
Leben lang gegen sein Schicksal. Er besaß vie
Kraft und Individualität. Aber er mußte sie der
schnöden, verlogenen Lebensbedingungen opfern
Während andere, namentlich sein Freund Weihgast
ein unbedeutend Streber und talentloser Stümper
zu Ehren und Reichtum gelangt, muß er sich ducken
und alles, was in ihm rumort und lebt, ersticken
und am Ruhm anderer arbeiten. Das macht physisch
und moralisch krank. Er siecht im Krankenhause hin
Er hat aber das Bedürfnis, das alles der Welt
zu sagen, bevor er stirbt. Er möchte seinem stolzen
Freunde einmal ins Gesicht sagen, was in ihm seit
20 Jahren unterdrück werden mußte. Laßt ihn kommen.
Und im entscheidenden Momente überkommt ihn
eine lähmende Schwäche, es schnürt ihm die Kehle
zusammen und als der Freund ihm gegenüber tritt,
sagt der Sterbende, er wollte seinen Freund nur
noch einmal sehen und
— gibt den Geist auf.
Vorher erzählt er aber das alles seinem Leidens¬
genossen, dem Schauspieler Jackwerth. Die Rolle
dieses Schicksalsmenschen spielte Herr Stärk. Er¬
schütternd. In der Schilberung seines Lebenslaufes
in der Bekundung seines Grolles über sein tragisches
Schicksal, in seiner resignierenden Ueberlegenheit
ging der Künstler ganz auf. Jedes Wort schnitt in
die Seele. Es gibt Sätze, deren Begründung in dem
Tonfall, in dem sie ausgesprochen werden, liegt. Sie
sind gewissermaßen kategorisch. Der Künstler fand
für diese Worte den kategorischen Ton und die sie
malende Farbe. Alle Achtung vor dieser Leistung,
alle Achtung. Herr Minnich (Jackwerth) rückte
zu sehr seinen Schauspielerberuf in den Vordergrund.
Daher war sein ganzes Auftreten nicht dem tra¬
gischen Tone des Schauspiels angepaßt. Er war ein
Komiker in einem Krankenhausmantel.
Darauf folgte die seine, geistvolle Satyre „Der
Dieb“ von Mirbeau. Herr Kammauf gab
darin den Dieb Ausgezeichnet. Der Künsiler
verriet in seiner Haltung, in der feinen Pointierung
seiner Reden den französischen Esprit und die von
seines Dialektik getragene Ueberlegenheit und Ironie,
vie das ganze Stückchen beseelen. Eine vollendete
faszinierende Leistung. Herr Stärk als Bestohlener
schlug einen zu seh humoristischen Ton an, war
aber sonst von einer köstlichen Wirkung. Den Schluß
des Abends bildete der Gemütliche Kommissär“
von Courteline, morin Herr Reißner wieder
eine Probe seiner ausgiebigen Darstellungskunst
bot. Sein drastisches, sicheres Spiel war gelungen.
Eine köstliche Gestalt machte Herr Stärk aus dem
Kommissär. Nicht unerwähnt sollen bleiben: Die
Herren von Pindo, Stengel, Edgar und
Berg und die Damen Kühnau und Duino,
die durch kleine Züge das ganze literarische Ge¬
mälde gut ergänzten. Die Darsteller wurden mit
i. w.
Beifall reich belohnt.