16.1. Lebendige StundenZ#klus
tadchenalgase Sane Gewanl.,
Gazer
usschnitt aus:
Ggaz, Steiermark
S LLDRPMREH131)
Theater und Musik.
Schauspielhaus.
„Lebendige Stunden“ Einakterzyklus von1—
„Brave Leut' vom Grund“ von L. Anzengruber.
Der Einakterzyklus wurde zum erstenmal im Jahre
1902 hier aufgeführt, mit welchem Erfolg, ist mir nicht
mehr genau erinnerlich. Ich glaube, die beiden ersten
Einakter fielen ab, die letzten beiden gefielen, und der
vierte, die geistreiche Literaturkomödie, erschien noch
manchmal vereinzelt auf unserer Bühne. Der Gesamt¬
titel „Lebendige Stunden“ soll wohl die Hauptidee
bedeuten, die die dem Inhalt nach sehr verschiedenen
Stücke zusammenhält, und die Hauptidee aussprechen,
von der der Dichter dabei ausging: den uralten Gegen¬
satz zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen „leben¬
digen“ und „erträumten eder erdichteten“ Stunden,
die große Kluft zwischen Leben und Kunst. Ich will
gerne zugeben, daß dieser Gegensatz als Anlaß drama¬
tischer Bearbeitung in Tragik und auch in Heiterkeit
sehr fruchtbar ist, aber ich muß bezweifeln, ob es dem
Dichter gelungen ist, ihm überall wirklich wamatisches
Leben und Interesse zu verleihen. Was wiegt alle
Kunst gegen die lebendige Tat, was alle Dichtung gegen
eine lebendige Stunde? Das scheint das Motto zu sein,
das der Dichter seinen Einaktern beisetzt. Aber das
erste Stück, worin sich die totkranke Mutter eines
jungen Dichters das Leben nimmt, um ihren Sohn durch
den Anblick und den Schmerz über ihr Leiden nicht im
künstlerischen Schaffen zu behindern, ist psychologisch
doch etwat für hunfer normales Empfinden zu ab¬
box 21/5
*—
sonderlich, wenn auch ein großes Leid dem dichterischen
Schaffen günstig ist, wie schon in Ibsens Kronpräten¬
denten der König den Skalden fragt: „Wie wurdest
du Dichter? Wer lehrte dich diese Kunst?“ und;
dieser antwortet: „Das lehrt man nicht, ich wurde,
zum Dichter, als ich das Geschenk des Schmerzes er¬
hielt.“ So dachte auch die bekannte Charlotte Stieg¬
litz, als sie im vorigen Jahrhundert Selbstmord ver¬
übte, um durch den großen Schmerz über ihren
Verlust ihrem Gatten, den Dichter Heinrich Stieglitz,
zu erhöhtem poetischen Schaffen zu verhelfen.
— Der
zweite Einakter „Die Frau mit dem Dolche“ mit
dem eingeschobenen visionären Traumbild ist eine ge¬
suchte dramatische Spielerei, die bei den meisten Zu¬
hörern kaum eine andere Wirkung hervorrust als —
Kopfschütteln. Originell in der Erfindung und un¬
serem menschlichen Empfinden näher liegend sind „Die
letzten Masken“, und vollends der vierte Einalter
„Literatur“ wirkt wie das griechische Satyrspiel, oder
der Einakter „Das ewig Männliche“ in Sudermanns
„Morituri“ als lustiges Gegenstück zu den tragischen
Eindrücken der vorhergegangenen Stücke, und entläßt
die Zuschauer in heiterster Stimmung. Es ist eine
Komädie voll feinster Kenntuis der Literatur= und
Kaffeehausgenialität, voll geistreicher Verspottung aben¬
teuerlicher Lebensläufe und moderner Buchmacherei und
erreicht den Höhepunkt in der witzigen Erfindung,
daß das edle Liebespaar von ehedem, Herr Gilbert und
Frau Margarete, jeder die eigenen und des andern
Liebesbriefe in ihren Romanen veröffentlicht haben.
* Die vier Stücke boten unseren Schauspielern aller¬
hand dankbare Rollen zur Darstellung und zeichnete
sich besonders Frau Kovacz=Schürmann im zwei¬
ten und noch mehr im vierten Einakter als Frau
Margarete durch anmutiges und sehr wirksames Spiel
aus. Herr Brückner, der in den beiden ersten
und im letzten Stück nicht nur die Spielleitung be¬
sorgte, sondern auch die Hauptrollen gab, hatte viel¬
seitige Gelegenheit, seine treffliche Darstellungsweise,
am glänzendsten in der Komödie „Literatur“, zu be¬
wahrheiten. Neben ihm sind noch Herr Großmann
durch vorzügliche Wiedergabe des Journalisten Rad¬
macher, Herr Staud als Weihgast und Herr Maier¬
hofer als Schauspieler Jackwert in „Die letzten
Masken“ hervorzuheben, desgleichen Herr v. Pindo
als Hausdorser im ersten und Herr Beraun als
Baron Clemens im letzten Einakter.
Am Sonntag wurde Anzengrubers nach¬
gelassenes Volksstück „Brave Leut' vom Grund“ seit
vielen Jahren wieder hier aufgeführt. Es scheint zu
den frühesten Arbeiten des Dichters zu gehören, denn
weder in dem losen, lockern Aufbau der Handlung,
noch im Dialog und den szenischen Einzelheiten, wenn man
von der in der zweiten Abteilung vorkommenden Szene
zwischen Frau Mittler und ihrem nach durchschwärmter
Nacht betrunekn heimkehrenden Gatten, die sehr geschickt
gemacht ist, absehen will, bekommt man auch nur eine
Ahnung von dem Dichter des „Vierten Gebots“ des
„Meineidbauer“ und der „Kreuzelschreiber“. Es bietet
nur dankbare Rollen für das Ehepaar Mittler, das
von Frl. Rainer und Herrn Maierhofer treff¬
lich dargestellt wurde und prächtige Wiener Typen ent¬
hielt, dann für den unglücklichen Ehemann Ducker, von
Herrn Kneidinger vorzüglich gespielt. Das er#arb
dem Stücke Beifall neben den teilweise eingefügten
Conplets des Frl. Rainer und der Herren Maier¬
hofer und Kneidinger. Frl. Rainer wäre übrigens
eim Siügen mehr Deutlichkeit der Worte zu empfehlen.
luch die Herren Wehle (Blind) und Beraus
(Pressinger) sorgten für Heiterkeit. Als sympathische
und talentierte Anfängerin erwies sich Frl. Lola
(1n
Kneidinger in ihrek kleinen Rolle
tadchenalgase Sane Gewanl.,
Gazer
usschnitt aus:
Ggaz, Steiermark
S LLDRPMREH131)
Theater und Musik.
Schauspielhaus.
„Lebendige Stunden“ Einakterzyklus von1—
„Brave Leut' vom Grund“ von L. Anzengruber.
Der Einakterzyklus wurde zum erstenmal im Jahre
1902 hier aufgeführt, mit welchem Erfolg, ist mir nicht
mehr genau erinnerlich. Ich glaube, die beiden ersten
Einakter fielen ab, die letzten beiden gefielen, und der
vierte, die geistreiche Literaturkomödie, erschien noch
manchmal vereinzelt auf unserer Bühne. Der Gesamt¬
titel „Lebendige Stunden“ soll wohl die Hauptidee
bedeuten, die die dem Inhalt nach sehr verschiedenen
Stücke zusammenhält, und die Hauptidee aussprechen,
von der der Dichter dabei ausging: den uralten Gegen¬
satz zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen „leben¬
digen“ und „erträumten eder erdichteten“ Stunden,
die große Kluft zwischen Leben und Kunst. Ich will
gerne zugeben, daß dieser Gegensatz als Anlaß drama¬
tischer Bearbeitung in Tragik und auch in Heiterkeit
sehr fruchtbar ist, aber ich muß bezweifeln, ob es dem
Dichter gelungen ist, ihm überall wirklich wamatisches
Leben und Interesse zu verleihen. Was wiegt alle
Kunst gegen die lebendige Tat, was alle Dichtung gegen
eine lebendige Stunde? Das scheint das Motto zu sein,
das der Dichter seinen Einaktern beisetzt. Aber das
erste Stück, worin sich die totkranke Mutter eines
jungen Dichters das Leben nimmt, um ihren Sohn durch
den Anblick und den Schmerz über ihr Leiden nicht im
künstlerischen Schaffen zu behindern, ist psychologisch
doch etwat für hunfer normales Empfinden zu ab¬
box 21/5
*—
sonderlich, wenn auch ein großes Leid dem dichterischen
Schaffen günstig ist, wie schon in Ibsens Kronpräten¬
denten der König den Skalden fragt: „Wie wurdest
du Dichter? Wer lehrte dich diese Kunst?“ und;
dieser antwortet: „Das lehrt man nicht, ich wurde,
zum Dichter, als ich das Geschenk des Schmerzes er¬
hielt.“ So dachte auch die bekannte Charlotte Stieg¬
litz, als sie im vorigen Jahrhundert Selbstmord ver¬
übte, um durch den großen Schmerz über ihren
Verlust ihrem Gatten, den Dichter Heinrich Stieglitz,
zu erhöhtem poetischen Schaffen zu verhelfen.
— Der
zweite Einakter „Die Frau mit dem Dolche“ mit
dem eingeschobenen visionären Traumbild ist eine ge¬
suchte dramatische Spielerei, die bei den meisten Zu¬
hörern kaum eine andere Wirkung hervorrust als —
Kopfschütteln. Originell in der Erfindung und un¬
serem menschlichen Empfinden näher liegend sind „Die
letzten Masken“, und vollends der vierte Einalter
„Literatur“ wirkt wie das griechische Satyrspiel, oder
der Einakter „Das ewig Männliche“ in Sudermanns
„Morituri“ als lustiges Gegenstück zu den tragischen
Eindrücken der vorhergegangenen Stücke, und entläßt
die Zuschauer in heiterster Stimmung. Es ist eine
Komädie voll feinster Kenntuis der Literatur= und
Kaffeehausgenialität, voll geistreicher Verspottung aben¬
teuerlicher Lebensläufe und moderner Buchmacherei und
erreicht den Höhepunkt in der witzigen Erfindung,
daß das edle Liebespaar von ehedem, Herr Gilbert und
Frau Margarete, jeder die eigenen und des andern
Liebesbriefe in ihren Romanen veröffentlicht haben.
* Die vier Stücke boten unseren Schauspielern aller¬
hand dankbare Rollen zur Darstellung und zeichnete
sich besonders Frau Kovacz=Schürmann im zwei¬
ten und noch mehr im vierten Einakter als Frau
Margarete durch anmutiges und sehr wirksames Spiel
aus. Herr Brückner, der in den beiden ersten
und im letzten Stück nicht nur die Spielleitung be¬
sorgte, sondern auch die Hauptrollen gab, hatte viel¬
seitige Gelegenheit, seine treffliche Darstellungsweise,
am glänzendsten in der Komödie „Literatur“, zu be¬
wahrheiten. Neben ihm sind noch Herr Großmann
durch vorzügliche Wiedergabe des Journalisten Rad¬
macher, Herr Staud als Weihgast und Herr Maier¬
hofer als Schauspieler Jackwert in „Die letzten
Masken“ hervorzuheben, desgleichen Herr v. Pindo
als Hausdorser im ersten und Herr Beraun als
Baron Clemens im letzten Einakter.
Am Sonntag wurde Anzengrubers nach¬
gelassenes Volksstück „Brave Leut' vom Grund“ seit
vielen Jahren wieder hier aufgeführt. Es scheint zu
den frühesten Arbeiten des Dichters zu gehören, denn
weder in dem losen, lockern Aufbau der Handlung,
noch im Dialog und den szenischen Einzelheiten, wenn man
von der in der zweiten Abteilung vorkommenden Szene
zwischen Frau Mittler und ihrem nach durchschwärmter
Nacht betrunekn heimkehrenden Gatten, die sehr geschickt
gemacht ist, absehen will, bekommt man auch nur eine
Ahnung von dem Dichter des „Vierten Gebots“ des
„Meineidbauer“ und der „Kreuzelschreiber“. Es bietet
nur dankbare Rollen für das Ehepaar Mittler, das
von Frl. Rainer und Herrn Maierhofer treff¬
lich dargestellt wurde und prächtige Wiener Typen ent¬
hielt, dann für den unglücklichen Ehemann Ducker, von
Herrn Kneidinger vorzüglich gespielt. Das er#arb
dem Stücke Beifall neben den teilweise eingefügten
Conplets des Frl. Rainer und der Herren Maier¬
hofer und Kneidinger. Frl. Rainer wäre übrigens
eim Siügen mehr Deutlichkeit der Worte zu empfehlen.
luch die Herren Wehle (Blind) und Beraus
(Pressinger) sorgten für Heiterkeit. Als sympathische
und talentierte Anfängerin erwies sich Frl. Lola
(1n
Kneidinger in ihrek kleinen Rolle