II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 3), Die letzten Masken (Der sterbende Journalist), Seite 49

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16.3. Die Jetzten- Masken
(Telegramm unseten 7. .
Die konservative Partei will ein Zustandenommen
er Reichsfinanzreform auf dem Boden der Reichsver¬
Die freisinnige Fraktionsgemeinschaft hat] unter das reaktionäre Joch einer konservativ¬
assung und muß daher das Schwergewicht der aufzu¬
gestern abend in einer dreistündigen Sitzung über ultramontanen Verbrüderung zu beugen, an der
ringenden Steuern auf die indirekte Besteuerung
geklärte, abgezehrte Episode. Die Unterhaltung
Wunsch. Der verhaßte Nebenbuhler erscheint in
Theater? Vom Sterben spricht man in guter
dreier Kardinäle, die in hohen Ehren eisgrau
zwölfter Stunde am Sterbebett des Freundes
Besellschaft nicht gern. Aber Sie waren einmal
geworden, gelegentlich eines Nachtmahls im
und enthüllt sich in 15 Minuten so in seiner
a — mitgefangen, mitgehangen. „Nun begib
Datikan. Sie erzählen sich einander die heitere
ganzen Leere und Hohlheit, in seiner Armut
ich in die Kammer der gnädigen Frau und sage
oder tiefernste Geschichte ihrer ersten Liebe. Wenn
der Freuden und Sorgen, entschleiert dem
hr
.. Sie lesen die Stelle vielleicht selber wei¬
dies feinseelische Gemälde von der Bühne mit
Sterbenden derartig die ganze Nichtigkeit und
er — Hamlet D. 1.
seinen einfachen Mitteln wirken soll, so verlangt
Maskerade des Lebens, daß dieser nicht ein
Also die letzten Fragen und Prohleme.
es drei hervorragende Künstler und Menschen¬
einziges der heiß ersehnten, lange vorbereiteten
Ein junger Edelmann. Er hat nie gelebt. Auch
darsteller. Es fand gestern aber nur einen.
Worte spricht, sondern mit einem letzten Schrei
ie geliebt. Die zärtlich sorgende Mutter ver¬
Auch Hofmannsthals tiefstes und literarisch wert¬
des Schmerzes und der Verachtung von der
ichtete er durch Grabeskälte und heiße Zügel¬
vollstes der gestern aufgeführten Dramen eignet
Narrenbühne des Lebens abtritt. (Die letzten
osigkeit, die Geliebte verließ er und brach ihr
sich ganz und gar nicht für die Bühne. Der erste,
Masken.)
erz, den treuen Jugendfreund trieb er in den
sehr lange Monolog, die nicht minder langen
Und noch einmal hebt sich der Vorhang
Kod. Und er selber? Unbefriedigt, unselig, mit
neden der Gestorbenen sind nicht für das Theater
zu einem Bilde des Lebens und Sterbens.
ich, mit der Welt und seinem Gotte verfallen —
geschrieben. Das Innerlichste und Beste dieses
Aber dieses Mal triumphiert das Leben. Die
kin saustischer Grübler, ein Bettelarmer trotz all
Stückes geht auf der Bühne verloren. Man hat
heiße Leidenschaft siegt über alle Grübelei, das
eines Reichtumes — es möchte kein Hund so
vor kurzem dieselbe Erfahrung auf dem Berliner
Blut ist das Letzte.
änger leben.
Theater gemacht.
Ein Ehegatte kehrt von einer langen Geschäfts¬
Da kommt der Tod und geigt ihm sein Lied.
Das ändert nichts an dem Eindrucke dieses
reise zurück und merkt, daß er betrogen ist. Er
Verfalltag ist. Er soll sterben. Und nun? „Welch
Abends: eine Zusammenstellung, die von dem
fordert den hübschen, vornehmen Rivalen zum
Erbärmlich Grauen faßt Uebermenschen dich?“ Im
vornehmen Geschmack unseres Oberregisseurs
Zweikampf in seiner Wohn ig. „Töte ihn“
ngesicht des Todes packt den Unseligen sein
Zeugnis ablegte, die aufs neue zeigte, was unsere
flüstert die Frau dem jungen Geliebten zu, ja
ämmerlich verfehltes Leben, packt ihn die qual¬
Bühne an diesem Manne besitzt, zu welch einem
durch die Fackel, die sie den Kämpfenden halten
olle Erkenntnis, daß er noch gar nicht gelebt hat.
gewichtigen Jaktor er sich für ihre künstlerische
muß, sucht sie den Gatten zu blenden, um ihn
ber nun soll es anders werden, nun will er
Bedeutung gemacht — als Regisseur und Schauspieler.
am richtigen Stoßen zu hindern. Aber ihr Gatte
Infangen, zu leben, zu lieben, zu wirken. Zu
Den Tod im ersten Stück spielte er mit einer
siegt, der junge Geliebte wird vor den Augen der
pät. Verfalltag ist es. Die Totenglocke schallt,
vorzüglichen Einhaltung der rechten Mitte zwischen
Geliebten getötet.
ie Uhr muß stehen, der Zeiger fallen Armer be¬
modern natürlicher Sprechweise und jenem vor¬
Und nun? Was wird geschehen? Wird der
rogener Tor. (Der Tor und der Tod.)
nehm und diskret behandelten Pathos, das der
rasende Mann die ehebrecherische Frau mit dem¬
Pers, der Gegenstand und seine geisterhaft-mystische
Reine, wahre Kunst und doch gewaltige Predigt.
selben Dolche vernichten, wird diese ihm zuvor¬
Kolle erforderte. Vollsaftig und energisch stellte er
Das Theater als Erzieher.
kommen?
den betrogenen Florentiner in die Szene. Noch
Hier also die ganze Wichtigkeit des Lebens im
Das wäre altmodisch und abgeschmackt. Kein
ein wenig vulkanisch glimmender hätte ich ihn
Angesicht des Todes. Aber es gab auch die ganze
Gebanke an solche Trivialität. „Warum sagtest
gewünscht, ein bißchen mehr andeutend, daß
du mir nicht, daß du so stark bist?“ haucht die
Michtigkeit des Lebens im Angesicht des Todes.
dieser Mann vom ersten Augenblick an weiß,
Gattin.
Ein armer Journalist. Er muß auch sterben,
was geschehen, und daß er bereit ist, die Minen
Und er: „Warum sagtest du mir bis zu diesem
ohne gelebt zu haben. Er hat es nie zu etwas
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lodessicher zu legen.
Augenblick nicht, daß du so schön bist?“
gebracht, der arme Kerl. Hat ein Jammer¬
Eine subtil innerliche und menschenwahre
Und in den Armen liegen sich beide. Zwei edle
dasein geführt, während sein Freund Weihgast
Studie war dann sein sterbender, welt.
Seelen haben sich über dem gemordeten Geliebten
kein weltberühmter, schwerreicher Dichter gewor¬
wunder Journalist. Nicht die geringste Ueber¬
gefunden. (Eine florentinische Tragödie.)
den. Und war dabei ein elender, flacher Tropf.
treibung, keine virtuosenhafte Mätzchen, zu denen
Oshar Wilde liebt den krassen Effekt. So
Wiesen Menschen haßt der arme Journalist
die Rolle verführt, und mit denen wir in letzten
hlügelte er diesen plump sinnlichen Schluß aus.
mit der ganzen Glut seiner Seele. Sterbend
Zeit reichlich heimgesucht sind.
Warum nicht? Das Ueberraschende macht Glück.
noch einmal seine ganze Verachtung, seinen
Aber das bei weitem Beste, das ganz Intime,
Zwischen diesen grüblerischen, tiefernsten oder
vernichtenden Zorn ihm ins glatte, feiste Antlitz
schleudern zu Knnen, ist sein letzter, dringender! schroff zufassenden Tragödien eine ruhigere, ab-Künstlerische war sein Kardinal im roten Mantel.