II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 44

vom 100 M
(-Der Fall Schnitzler.
Es ist eine Affaire. Allerdings keine neue. Unzählige¬
male ist es vorgekommen, dass Bühnenschriftsteller ihre
Arbeiten, nachdem solche lange in den Theaterkanzleien
gelegen, zurückbekommen haben. Sie ertrugen es mit
Anstand und Würde, oder sie haben sich persönlich ihrer
Haut gewehrt, indem sie die Flucht in die Oeffentlichkeit
ergriffen; aber ganz vereinzelt ist der Fall, dass
sich der Abgewiesene mit einer Schutzgarde von kritischen
Für 5
Publicisten versieht, die in seinem Namen eine Erklärung llusire
a1to
200 abgeben. Wir glauben, dass auch Herr Dr. Schnitzler, glbar
der eine gute Feder führt, seine Sache selbst hätte ver= Voraus¬
500
100 treten können. Wenn er aber schon die Wiener Kritiker
In zur Anwaltschaft aufgerufen, so hätte er sich einer stärkeren ist das
Abonnem Stceitmacht versichern müssen, als sie in den sechs Ge¬t es den
Abonnen rechten besteht, die für ihn das Wort gegen Doctor
[Schlenther ergriffen. Diese Herren, einzeln ist jeder stend die
leidlich klug und verständig, aber versammelt — habenorgen¬
Inhaltss
sie eine Dummheit gemacht. Nicht dass wir gegen Zeitung“)
blütte
Schnitzler oder für Schleuther Partei ergreifen wollen, de Leben
wodurch
heilungen
des In¬
Was den letzteren betrifft, gehört er zu den unleidlichsten
werden
Theaterdirectoren, die jemals hier das Regime geführt.
Sein ganzes Gehaben in Bezug auf Dichter und Publicum
ist eine Mischung von Berliner Schnodderigkeit und
höchster Wurstigkeit. Wahrlich, dieser Herr, der das Burg¬
theater so weit gebracht, dass es seine Kräfte aus dem
Jantsch=Theater holen muss, darf sich nicht vermessen, zu
erklären, dass nur das Burgtheater in der Lage sei,
das Werk eines Bühnenschriftstellers in würdiger Weise
zu interpretieren. Das ist eine der berühmten Schleuther¬
schen Ueberhebungen, welche diesen Mann charakterisieren
und nur noch unsympatyischer machen, als er ohnedies
schon ist. Aber so ungeschickt anmaßend sich Director Schleuther
in diesem Falle benommen, so wenig berechtigt war die
sechs Mann hohe Solidarität der Theaterreferenten.
Wir erinnern uns eines geflügelten Wortes des ver¬
ewigten Sitter, der von den 300 Wiener Theater¬
recensenten zu sprechen pflegte. Das war eine satirische
Licenz, aber jedenfalls repräsentieren die gedachten Decla¬
ranten noch lange nicht die gesämmte Kritik, man wird
vielmehr anzunehmen versucht sein, dass sie eine Quint¬
essenz des berühmten „Klüngels“ sind, der öffentliche
Meinung machen will. Die feierliche Erklärung dieser
Herren, was im Benehmen Schlenthers gegen Schnitzler
unstatthaft gewesen, ist sehr überflüssig. Jeder halbwegs
anständig und rechtlich denkende Mensch sagt sich das¬
selbe, was ihm die Wortführer des gemaßregelten
Dichters sagen.
Die öffentlich Entrüsteten haben in dem gegebenen
Falle zu viel oder zu wenig gethan. Entweder wollen¬
sie Bühnenschriftsteller und Publicum vor Schleuther
und seinem Theater warnen, dann hätte das klipp und
klar geschehen müssen, oder sie beabsichtigten des Directors¬
Unfähigkeit zur Beurtheilung dramatischer Werke festzu¬
stellen, dann hätten sie bekennen müssen, dass Herr
Schleuther noch niemals ein Theaterstück aus der Feder
„dieser Herren zur Aufführung gebracht.
Der Burgtheater=Director hat übrigens nicht lang
mit einer Entgegnung auf das Manifest der Kritiker
warten lassen. Die Sprache, die er dabei anwendet, soll,
in ihrer diplomatischen Gewundenheit den Gedanken ver¬
bergen, dass Herr Schlenther sein Urtheil über Ein
Stück je öfter wechselt, je öfter er es liest. Vielleicht ist
das ein Vorrecht der norddeutschen Großmeister' der
Kritik. Darüber wollen wir mit ihm nicht rechten. Jeden¬
falls hat Herr Schnitzler eine Bombenreclame für seinen
„Schleier der Beatrice“, und wie wir den fixen Herrn
Director Bukovics kennen, wird er sich dieses Occasions¬
stück nicht entgehen lassen. Es wäre ja nicht das erste¬
mal, dafs Bühnendichtungen, welche Schlenther im Burg¬
theater begraben hatte, im Weghuberparkhause frohe
Auferstehung feierten.