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14. Der Schleiender Beatrice
Hai die Direktion auf dem Gebiete des klassischen Dramas fast
tzlich versagt, und ein paar Monate lung diesen Geschäftszweig
es großen Betriebes annähernd gänzlich eingehen lassen, so hat
sich bei der Zusammenstellung und bei der Ausführung des
odernen Repertoires durchaus Anerkennung verdient.
zir haben alle bedeutenderen Erscheinungen der letzten Spielzeit,
senn auch manche, wie das „Johannisfeuer“ sehr spät zu hören be¬
ommen, und fast stets in einer guten, manchmal in einer geradezu
ortrefflichen Darstellung. Es sei in dieser Husicht nur an die
stimmungsvolle Wiedergabe des Björnsonschen Doppeldramas er¬
innert, an den „Rosenmontag“, an „Flachsmann“, an „Baumeister
Solneß" u. a. mehr. Daß sie auch ohne sonderliche Aussicht auf
materiellen Erfolg sich ihrer litterarischen Verpflichtungen bewußt
ist, hat sie durch die Aufführung des „Michael Kramer“ und der
„Waldleute“ von den beiden Hauptmanns bewiesen. Daß sie
Schnitzlers „Schleier der Beatrice“ aufzuführen sich entschloß, sei
ihr zum besonderen Lobe angerechnet, wenn sie auch durch mangel¬
hafte Inscenirung und durch verfehlte Besetzung der wichtigsten
Rolle viel zu dem Mißerfolg des Dramas beigetragen hat. Von
Anderen interessanten Neuheiten sei die hübsche Pantomime „Der
verlorene Sohn“ und der lustige „Boubouroche“ erwähnt. Der
„Ausflug ins Sittliche", „Die strengen Herren“, „Frau Königin“
und „Der Leibalte“ errangen keinen starken, aber immerhin noch
innehmbare Erfolge. Daß eine Direktion einmal gänzlich verfehlte
sund abgeschmackte Stücke aufführen läßt, wird stets vorkommen;
denn natürlich kann sich auch eine Direktion über die Wirkung von
Werken erheblich irren. Nur sollte es sich nicht so häufen, wie in
dieser Saison, die uns „Dolly“, „Die Wahrsagerin“ den „Gro߬
kaufmann“, „Rudi, der Fresser“ und die drei unglücklichen Kadelburg¬
schwänke brachte. Mit einigen Neueinstudirungen hatte die Direktion
wechselndes Glück. Es sei an „Donna Diana“, „Die guten
Freunde", „Francillon“, „Die eingebildeten Kranken“ und den
„Diener zweier Herren“ erinnert.
Große Keünstler anderer Bühnen haben sich in der letzten Spiel¬
zeit nicht an unsere Bühne verirrt. Und wenn nicht ganz zum
is=
Schluß Dr. Wüllner sich als König Lear versucht hätte, so wäre
achüberhaupt kein bemerkenswerthes Gastspiel zu verzeichnen. Das
im
wäre ein an sich sehr gutes Zeichen, wenn unser Ensemble so
em
glänzend zusammengesetzt wäre, daß wir getrost auf berühmte Gäste
verzichten könnten. Aber wie die Dinge bei uns liegen, wäre eine
gelegentliche Auffrischung durch fremdes Blut ganz gut; und wir
glauben, daß in der nächsten Saison diese Auffrischung immer
nöthiger werden wird. Freilich bleiben uns ja noch eine Reihe guter
Kräfte. Aber mit Bedauern sehen wir andere von uns scheiden.
So sind die Aussichten für die nächste Saison nicht übermäßig
glücklich. Hoffen wir, daß sich wenigstens die deutschen Dichter
anstrengen und uns wieder so zugkräftige Stücke wie in der letzten
H. U.
Spielzeit bescheren werden.
14. Der Schleiender Beatrice
Hai die Direktion auf dem Gebiete des klassischen Dramas fast
tzlich versagt, und ein paar Monate lung diesen Geschäftszweig
es großen Betriebes annähernd gänzlich eingehen lassen, so hat
sich bei der Zusammenstellung und bei der Ausführung des
odernen Repertoires durchaus Anerkennung verdient.
zir haben alle bedeutenderen Erscheinungen der letzten Spielzeit,
senn auch manche, wie das „Johannisfeuer“ sehr spät zu hören be¬
ommen, und fast stets in einer guten, manchmal in einer geradezu
ortrefflichen Darstellung. Es sei in dieser Husicht nur an die
stimmungsvolle Wiedergabe des Björnsonschen Doppeldramas er¬
innert, an den „Rosenmontag“, an „Flachsmann“, an „Baumeister
Solneß" u. a. mehr. Daß sie auch ohne sonderliche Aussicht auf
materiellen Erfolg sich ihrer litterarischen Verpflichtungen bewußt
ist, hat sie durch die Aufführung des „Michael Kramer“ und der
„Waldleute“ von den beiden Hauptmanns bewiesen. Daß sie
Schnitzlers „Schleier der Beatrice“ aufzuführen sich entschloß, sei
ihr zum besonderen Lobe angerechnet, wenn sie auch durch mangel¬
hafte Inscenirung und durch verfehlte Besetzung der wichtigsten
Rolle viel zu dem Mißerfolg des Dramas beigetragen hat. Von
Anderen interessanten Neuheiten sei die hübsche Pantomime „Der
verlorene Sohn“ und der lustige „Boubouroche“ erwähnt. Der
„Ausflug ins Sittliche", „Die strengen Herren“, „Frau Königin“
und „Der Leibalte“ errangen keinen starken, aber immerhin noch
innehmbare Erfolge. Daß eine Direktion einmal gänzlich verfehlte
sund abgeschmackte Stücke aufführen läßt, wird stets vorkommen;
denn natürlich kann sich auch eine Direktion über die Wirkung von
Werken erheblich irren. Nur sollte es sich nicht so häufen, wie in
dieser Saison, die uns „Dolly“, „Die Wahrsagerin“ den „Gro߬
kaufmann“, „Rudi, der Fresser“ und die drei unglücklichen Kadelburg¬
schwänke brachte. Mit einigen Neueinstudirungen hatte die Direktion
wechselndes Glück. Es sei an „Donna Diana“, „Die guten
Freunde", „Francillon“, „Die eingebildeten Kranken“ und den
„Diener zweier Herren“ erinnert.
Große Keünstler anderer Bühnen haben sich in der letzten Spiel¬
zeit nicht an unsere Bühne verirrt. Und wenn nicht ganz zum
is=
Schluß Dr. Wüllner sich als König Lear versucht hätte, so wäre
achüberhaupt kein bemerkenswerthes Gastspiel zu verzeichnen. Das
im
wäre ein an sich sehr gutes Zeichen, wenn unser Ensemble so
em
glänzend zusammengesetzt wäre, daß wir getrost auf berühmte Gäste
verzichten könnten. Aber wie die Dinge bei uns liegen, wäre eine
gelegentliche Auffrischung durch fremdes Blut ganz gut; und wir
glauben, daß in der nächsten Saison diese Auffrischung immer
nöthiger werden wird. Freilich bleiben uns ja noch eine Reihe guter
Kräfte. Aber mit Bedauern sehen wir andere von uns scheiden.
So sind die Aussichten für die nächste Saison nicht übermäßig
glücklich. Hoffen wir, daß sich wenigstens die deutschen Dichter
anstrengen und uns wieder so zugkräftige Stücke wie in der letzten
H. U.
Spielzeit bescheren werden.