14.
Der Schleier der Beatrice
—
Wien, Samstag
Pan wird uns hoffentlich nicht mißverstehen. Wir
brauchen nicht erst ausdrücklich zu sagen, daß wir das
Autorrecht der Aufführung für eines der aller¬
wichtigsten, der natürlichsten und unverletzlichsten, aber auch
für eines der schlechtestgeschützten Rechte des Theater¬
dichters halten. Trotz aller Verträge und Abmachungen
ist der dramatische Dichter nur zu sehr dem Belieben
der Theaterdirektoren preisgegeben. Die Tantiemenver¬
träge zum Beispiel, die das Burgtheater unterzeichnen läßt,
enthalten keinerlei Verpflichtung der Direktion, ein ange¬
nommenes Stück auch wirklich spielen zu lassen und eine ganze
Reihe solcher dramatischer „Mauerblümchen“ ziert jahraus,
jahrein das imaginäre Novitätenrepertoire — Mauerblümchen,
die nicht sitzen, sondern liegen bleiven. Und doch erscheint
die Forderung als eine selbstverständliche, daß ein
angenommenes Stück auch wirklich aufgeführt werde
und daß jeder Autor, der im Repertoire Heimats¬
recht erworben, auch ein Recht habe seine ferneren
Arbeiten angenommen zu sehen, wenn ihm nicht unwider¬
legliche Gegengründe nachgewiesen werden. Der bloße
Zweifel an dem Erfolg eines neuen Stückes ist kein solcher
hinreichender Grund. Denn ein Theater muß schon was auf
die eigene Verantwortlichkeit eines anerkannten Autors“
riskiren. Es dürfen nicht blos Stücke auf die Autorität des
Direktors hin durchfallen, der in ihnen vielleicht sicher
„Schlager“ prophezeit hat — auch der dramatische Dichter
hat das Recht, auf seine eigene Autorität hin durchfallen zu
dürfen.
Und gewiß hat jeder Theaterkritiker nicht nur das
Recht, sondern auch die Pflicht, nicht blos über das zu
urtheilen, was beim Lampenlicht auf offener Szene vorgeht,
sondern auch über das, was im Coulissendunkel hemmend
und schädigend geschäftig ist. Und hätte Jeder von jenem
„Tribunal der Sechs“ für sich allein, aber in Gedankenüber¬
einstimmung mit den Kollegen und nach vereinbarter
gemeinsamer Parole, seine. Stimme mit schärfster
Tongebung zum Schützer eines thatsächlich,
oder
vermeintlich verletzten literarischen Rechtes erhoben, die Wir¬
kung wäre eine viel mächtigere und eindringlichere gewesen,
als mit dieser Autoritätspose der Selbsterhöhung zur richter¬
lichen Instanz, zu einem Appellhof, gegen den es keinen Rekurs
mehr geben könne. Hier sind Sechse beisammen wirklich
weniger gewesen, als jeder Einzelne für sich, und es hat sich
wiederum gezeigt, wie ein Effekt zunichte gemacht werden
kann, weil man ihn durch unpassende Mittel zu verstärken
trachtet.
Auf die „Urtheilsverkündigung“ des „Rathes der
Sechs“ antwortet Direktor Schlenther mit einer Er¬
klärung, deren Hauptpunkt, die Bestreitung der definitiven
Annahme des Schnitzler'schen Stückes wir oben schon
erwähnt haben und deren wesentlichste Stellen wir folgen
lassen:
„Arthur Schnitzler hat den sechs protestirenden
Kollegen einen Brief zur Veröffentlichung überlassen, den ich
ihm am 13. Februar schrieb. Der vertrauliche, freundschaftliche
*##
Charakter dieser Zeilen tritt ebenso deutlich in der Form
hervor, wie ihr zurückhaltender, völlig unverbindlicher Cha¬
rakter im Inhalt. Hätte ich geahnt, daß dieses Brieschen*) je das
Licht der Oeffentlichkeit erblicken würde, so wäre ich dem weisen
Rathe jenes jungen Mannes aus Schnitzler's „Liebelei“ gefolgt,
der den Freund nach der Entdeckung seiner Liebesbriefe
warnt: „Ich sag' es immer, man soll nicht Briefe schreiben.“
Die Methode des vertraulichen Privatverkehrs zwischen
Autor und Theaterdirektor, die so oft beiden Theilen Nutzen
schuf und schaffen wird, ist hier leider einmal gescheitert.
Andererseits ist gerade aus meinen nun veröffentlichten
Zeilen vom 13. Februar klar ersichtlich, wie weit ich damals
noch von dem Entschluß zur Annahme des Stückes entfernt
war: ich spreche von einer „ersten flüchtigen Durcharbeitung“;
ich äußere Bedenken gegen meine eigenen Kürzungsversuche;
die Besetzungsfrage erregt bei mir ebenso starke Zweifel wie
beim Autor.
Alle Bedenken steigerten sich, als ich nach einer
zweckmäßigen Pause im April nochmals an das Studium
des Werkes ging. Und sie steigerten sich bei einer dritten
Durchsicht im Juni erst recht. Darauf schrieb ich am 17. Juni
an Arthur Schnitzler, der bis dahin nicht den geringsten
Grund hatte, die Annahme des Stückes für gesichert zu
halten. Dem Urtheil einer Bühnendirektion bieten sich, wie
dem Urtheil der Kritik, drei Kategorien von Stücken dar
Bei den
eu
K
box 20/1
Wiener ragblatt.
habe ich nicht das Herz gehabt, sie Ihnen früher offen aus¬
zusprechen; nur darum habe ich von Zeit zu Zeit mich immer
wieder Ihrer ernsten und sozusagen feierlichen Arbeit genähert,
stets mit dem besten Willen, mich nicht in meinen Zweifeln,
sondern in meinen Hoffnungen zu stärken. Leider aber ist das
genaue Gegentheil der Fall.“
Hieraus geht, wie aus allen anderen Briefen, die
zwischen Arthur Schnitzler und mir gewechselt worden
sind, hervor, daß die Annahme des Stückes nicht erfolgt war
und der Aufschub sich lediglich aus dem leider vergeblichen
Bemühen erklärt, durch wiederholtes Studium des Stückes
zureichende Gründe für seine Annahme zu finden.
Ich äußere mich nun zur nothgedrungenen „Ablehnung“
des Stückes. In seinem Brief vom 1. September schreibt mir
Arthur Schnitzler:
Nehmen Sie, verehrtester Herr
Direktor, dieses Stück an oder weisen Sie es zurück? Ic
bitte um ein Ja oder Nein. Unter Ja verstehe ich die
bindende Zusicherung eines Termins im Verlauf der soeben
beginnenden Saison mit der Bedeutung eines Wortes von
Mann zu Mann. Alles Andere gilt mir als Nein.
Hierauf konnte ich meinem Antwortschreiben vom
2 September nur folgenden Schluß geben: „Wenn Sie mich
nun vor ein kategorisches „Ja“ oder „Nein“ stellen, so bin
ich in der Konsequenz meines letzten Briefes (vom 17. Juni)
genöthigt, „Nein“ zu sagen, denn die von Ihnen gewünschte
bindende Zusicherung eines Termins im Verlauf der soeben
beginnenden Saison zu geben, bin ich außer Stande.“
Der Schleier der Beatrice
—
Wien, Samstag
Pan wird uns hoffentlich nicht mißverstehen. Wir
brauchen nicht erst ausdrücklich zu sagen, daß wir das
Autorrecht der Aufführung für eines der aller¬
wichtigsten, der natürlichsten und unverletzlichsten, aber auch
für eines der schlechtestgeschützten Rechte des Theater¬
dichters halten. Trotz aller Verträge und Abmachungen
ist der dramatische Dichter nur zu sehr dem Belieben
der Theaterdirektoren preisgegeben. Die Tantiemenver¬
träge zum Beispiel, die das Burgtheater unterzeichnen läßt,
enthalten keinerlei Verpflichtung der Direktion, ein ange¬
nommenes Stück auch wirklich spielen zu lassen und eine ganze
Reihe solcher dramatischer „Mauerblümchen“ ziert jahraus,
jahrein das imaginäre Novitätenrepertoire — Mauerblümchen,
die nicht sitzen, sondern liegen bleiven. Und doch erscheint
die Forderung als eine selbstverständliche, daß ein
angenommenes Stück auch wirklich aufgeführt werde
und daß jeder Autor, der im Repertoire Heimats¬
recht erworben, auch ein Recht habe seine ferneren
Arbeiten angenommen zu sehen, wenn ihm nicht unwider¬
legliche Gegengründe nachgewiesen werden. Der bloße
Zweifel an dem Erfolg eines neuen Stückes ist kein solcher
hinreichender Grund. Denn ein Theater muß schon was auf
die eigene Verantwortlichkeit eines anerkannten Autors“
riskiren. Es dürfen nicht blos Stücke auf die Autorität des
Direktors hin durchfallen, der in ihnen vielleicht sicher
„Schlager“ prophezeit hat — auch der dramatische Dichter
hat das Recht, auf seine eigene Autorität hin durchfallen zu
dürfen.
Und gewiß hat jeder Theaterkritiker nicht nur das
Recht, sondern auch die Pflicht, nicht blos über das zu
urtheilen, was beim Lampenlicht auf offener Szene vorgeht,
sondern auch über das, was im Coulissendunkel hemmend
und schädigend geschäftig ist. Und hätte Jeder von jenem
„Tribunal der Sechs“ für sich allein, aber in Gedankenüber¬
einstimmung mit den Kollegen und nach vereinbarter
gemeinsamer Parole, seine. Stimme mit schärfster
Tongebung zum Schützer eines thatsächlich,
oder
vermeintlich verletzten literarischen Rechtes erhoben, die Wir¬
kung wäre eine viel mächtigere und eindringlichere gewesen,
als mit dieser Autoritätspose der Selbsterhöhung zur richter¬
lichen Instanz, zu einem Appellhof, gegen den es keinen Rekurs
mehr geben könne. Hier sind Sechse beisammen wirklich
weniger gewesen, als jeder Einzelne für sich, und es hat sich
wiederum gezeigt, wie ein Effekt zunichte gemacht werden
kann, weil man ihn durch unpassende Mittel zu verstärken
trachtet.
Auf die „Urtheilsverkündigung“ des „Rathes der
Sechs“ antwortet Direktor Schlenther mit einer Er¬
klärung, deren Hauptpunkt, die Bestreitung der definitiven
Annahme des Schnitzler'schen Stückes wir oben schon
erwähnt haben und deren wesentlichste Stellen wir folgen
lassen:
„Arthur Schnitzler hat den sechs protestirenden
Kollegen einen Brief zur Veröffentlichung überlassen, den ich
ihm am 13. Februar schrieb. Der vertrauliche, freundschaftliche
*##
Charakter dieser Zeilen tritt ebenso deutlich in der Form
hervor, wie ihr zurückhaltender, völlig unverbindlicher Cha¬
rakter im Inhalt. Hätte ich geahnt, daß dieses Brieschen*) je das
Licht der Oeffentlichkeit erblicken würde, so wäre ich dem weisen
Rathe jenes jungen Mannes aus Schnitzler's „Liebelei“ gefolgt,
der den Freund nach der Entdeckung seiner Liebesbriefe
warnt: „Ich sag' es immer, man soll nicht Briefe schreiben.“
Die Methode des vertraulichen Privatverkehrs zwischen
Autor und Theaterdirektor, die so oft beiden Theilen Nutzen
schuf und schaffen wird, ist hier leider einmal gescheitert.
Andererseits ist gerade aus meinen nun veröffentlichten
Zeilen vom 13. Februar klar ersichtlich, wie weit ich damals
noch von dem Entschluß zur Annahme des Stückes entfernt
war: ich spreche von einer „ersten flüchtigen Durcharbeitung“;
ich äußere Bedenken gegen meine eigenen Kürzungsversuche;
die Besetzungsfrage erregt bei mir ebenso starke Zweifel wie
beim Autor.
Alle Bedenken steigerten sich, als ich nach einer
zweckmäßigen Pause im April nochmals an das Studium
des Werkes ging. Und sie steigerten sich bei einer dritten
Durchsicht im Juni erst recht. Darauf schrieb ich am 17. Juni
an Arthur Schnitzler, der bis dahin nicht den geringsten
Grund hatte, die Annahme des Stückes für gesichert zu
halten. Dem Urtheil einer Bühnendirektion bieten sich, wie
dem Urtheil der Kritik, drei Kategorien von Stücken dar
Bei den
eu
K
box 20/1
Wiener ragblatt.
habe ich nicht das Herz gehabt, sie Ihnen früher offen aus¬
zusprechen; nur darum habe ich von Zeit zu Zeit mich immer
wieder Ihrer ernsten und sozusagen feierlichen Arbeit genähert,
stets mit dem besten Willen, mich nicht in meinen Zweifeln,
sondern in meinen Hoffnungen zu stärken. Leider aber ist das
genaue Gegentheil der Fall.“
Hieraus geht, wie aus allen anderen Briefen, die
zwischen Arthur Schnitzler und mir gewechselt worden
sind, hervor, daß die Annahme des Stückes nicht erfolgt war
und der Aufschub sich lediglich aus dem leider vergeblichen
Bemühen erklärt, durch wiederholtes Studium des Stückes
zureichende Gründe für seine Annahme zu finden.
Ich äußere mich nun zur nothgedrungenen „Ablehnung“
des Stückes. In seinem Brief vom 1. September schreibt mir
Arthur Schnitzler:
Nehmen Sie, verehrtester Herr
Direktor, dieses Stück an oder weisen Sie es zurück? Ic
bitte um ein Ja oder Nein. Unter Ja verstehe ich die
bindende Zusicherung eines Termins im Verlauf der soeben
beginnenden Saison mit der Bedeutung eines Wortes von
Mann zu Mann. Alles Andere gilt mir als Nein.
Hierauf konnte ich meinem Antwortschreiben vom
2 September nur folgenden Schluß geben: „Wenn Sie mich
nun vor ein kategorisches „Ja“ oder „Nein“ stellen, so bin
ich in der Konsequenz meines letzten Briefes (vom 17. Juni)
genöthigt, „Nein“ zu sagen, denn die von Ihnen gewünschte
bindende Zusicherung eines Termins im Verlauf der soeben
beginnenden Saison zu geben, bin ich außer Stande.“