II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 171



Abonhhrer Unterstützung am dringendsten bedurfte.
Da ist die Heldin des Schauspiels, Beatrice Nardi. Ein Geschöpf, holddie
selig jung an Jahren und erschreckend reif an Sinnen und Begierden, u¬

Inhakühn im Wollen und feig im Handeln, naiv im Ausdruck und perverse
bläm Gefühlen. Wo lebt die Schauspielerin, die als Persönlichkeit unden
wodunls Künstlerin dem Autor diesen Charakter nachschöpft. Die das könntengen
des die Sorma, die Hohenfels, die Duse, unsere Illing, sind nicht „sechszehn¬
werdeährig genug, und wie die „Sechszehnjährigen“ selbst wenn sie schon
ein wenig über dieses Alter hinaus sind, an solchen Aufgaben scheitern,
vermochte nicht
einmal,
erlebten wir an Frl. Konrad.
den äußeren Anforderungen der nach körperlicher Schönheit verlangenden
Rolle gerecht zu werden, und damit entfiel die einzige Rechtfertigung für
diese aussichtslose Besetzung. Auch Frl. Illing wäre nicht die kindliche,
bezaubernd reizvolle Beatrice Schnitzlers gewesen, aber sie hätte vermocht,
was Frl. Konrad nicht vermochte: dem Dichter mit der Seele zu folgen.
Frl. Konrad machte aus der räthselvollen Frauengestalt ein insipides
Mägdelein, das bei seiner Jagd nach einer guten Partie das Pech hatte,
einen Liebhaber, einen Bräutigam und das Leben zu verlieren. So wurde
das stolze Drama bisweilen zur Tragikomödie, und andere Mitwirkende
zogen es noch tiefer. Doch davon später.
In einem Punkte hat Schnitzlers Kraft den gewaltigen Stoff sicherlich
nicht gebändigt, in der Verschmelzung menschlicher Einzel=Schicksale mit
großzügiger politisch=historischer Schilderung. Die persönlichen Geschicke
Beatricens, ihres Dichters und ihres Herzogs entrollen sich auf dem
düsteren Hintergrunde der blutigen Kämpfe, die das grause Papst=Geschlecht
der Borgia gegen die kleinen Machthaber Italiens führte. Von der Borgia¬
Intrigue, die den Fürsten Bentivoglio, Herzog von Bologna, in seinem
Besitzstande bedroht, ist oft im Stücke die Rede, breite Episoden (z. B. die
Folterung des Borgia=Spions) jußen auf ihr, aber nirgends tritt sie grof
und gebieterisch in die Erscheinung. Der Gedanke, alle diese Ereignisse
durch die nervöse Hast einer furchtbaren Nacht, der letzten vor dem wahr
scheinlichen Untergang eines Fürstengeschlechts, zu jagen, ist an sich
glänzend, nur kommt eben die Furchtbarkeit des bevorstehenden Ver¬
zweiflungskampfes nicht mächtig genug heraus. So erscheint diese Seit
des Werkes mehr als das Ergebniß technischen Compositionsgeschickes
denn als integrirender Theil des dramatischen Erlebnisses.
Im Wesentlichen concentrirt sich die Entwickelung des Dramas auf
folgende Züge. Loschi, der gefeiertste Poet Bolognas, wird der gräflichen
Braut untreu, weil das schöne Bürgerskind Beatrice Nardi sein Herz
fesselt. Untreue wird alsbald durch Untreue bestraft, denn Beatrice kann
in den Armen Loschis einen Traum nicht vergessen, in dem der junge
Herzog von Bologna ihr näher war, als es sich selbst mit der lockeren
Moral eines Poetenliebcheus verträgt. Da sie naiv oder frech genug ist
von diesem Traum zu plaudern, stößt Loschi sie von sich. Nun ist Beatrice
bereit, dem Rath ihres wackeren Bruders zu folgen und den bescheidenen
Anbeter Vittorino mit ihrer Hand zu beglücken, aber zwischen Haus und
Kirche tritt der Held ihrer Traume, der Duca Bentivoglio selbst, Beatricen
in den Weg. Der Herzog hat nicht geträumt, aber er sieht und was!
er sieht, gefällt ihm. Er ladet das Mädchen aufs Schloß, zur Feier einer
Liebesnacht, seiner letzten, bevor der Kumpf mit Cesare Borgia anhebt.
Beatrice steht wie verzaubert unter des Herzogs Blick und Wort. Als der
Zauber sich löst, spricht sie ein überraschend Sätztein. O ja, sie will schon
aufs Schloß kommen, aber nicht als Dirne, sondern als Herzogin. Herr
Bentivoglio, der vielleicht morgen Thron und Reich verliert, hat nichts
gegen dieses leidlich unverschämte Verlangen einzuwenden. Zum Entsetzen
seines Hofstaates heirathet er Beatrice auf der Stelle, indeß sich der arme
Vitorino als überflüssig gewordener Bräutigam hinter der Scene ersticht.
Nun folgt Beatrice wiederum einer plötzlichen Laune. Sie eilt von
der Kirche zu Loschi, der sich aber im Ekel vor sich und der einst Geliebten
vergiftet. Beatrice flieht von dieser zweiten ihren Capricen zum Opfer
gefallenen Leiche zum Herzog zurück, der die Braut trotz politischer
Sorgen arg vermißt hat und sich nun auch verwundert, wo der kostbare
Schleier Beatricen's, das fürstliche Brautgeschenk, geblieben ist. Erst als
der Herzog seine junge Frau mit Hinrichtung bedroht, führt sie ihn dorthin,
wo sie den Schleier vergaß, zur Leiche Loschi's. In dem finsteren Gemach
findet sie das Kleinod, und möchte den Gatten wieder mit sich hinweg¬
zerren, aber der Herzog, mißtrauisch geworden, wartet die Morgen¬
dämmerung ab und entdeckt nun den todten Dichter, den er lebend nicht
gekannt hat. Mit milden Worten feiert der herzogliche Mäcen die schöne
Kunst des Verschiedenen. Beatrice würde vielleicht von dieser Stimmung
profitiren. Aber ihr Bruder, dem der Lebenswandel des Schwesterchens
längst nicht mehr gefiel, zückt den Dolch und ersticht die Unselige.
So kommt die Lösung mit harter, überraschender Wucht von einem
der an den Geschehnissen erst in zweiter Linie betheiligt ist. Auch sonst
ergeben sich selbst aus der knappen Andeutung der Vorgange die mancherlei
Schwächen des Werkes, dessen Wege allzu willig den Launen eines
schlimmen Kindes folgen. Mehr als eine überflüssige Person hemmt den
Schritt der Handlung und selbst die entscheidendsten Ereignisse sind nicht
immer zwingend motivirt. Jedoch die edle Sprache des Dichters, die
reiche Fülle seiner Gedankenwelt, die Kühnheit seiner Charakterzeichnung
hätten alle diese Mängel vergessen gemacht, wenn eben nicht die Darstellung
Schnitzler so arg im Stich gelassen hätte.
Getreue und kunstgeübte Helfer fand er nur an Herrn Lettinger,
dessen Loschi von edlem Feuer sprühte, und an Herrn Jessen, dessen
stattlicher Herzog die stolzen Züge des Autokraten und die milden des
Künstlerfreundes zu reiner Harmonie vereinte. An den unzähligen,
durchweg wichtigen Nebenrollen wurde viel gesündigt. Unser Mangel an
tüchtigen „zweiten“ Kräften und guten Sprechern trat wieder einmal
betrübend hervor. Es hat keinen Zweck, alle die Herrschaften, die weit¬
hinter ihren Aufgaben zurückblieben, mit Namen zu nennen. Was konnte
auch der Komiker Herr Reitz dafür, daß er als Liebhaber versagte, oder
der Chargenspieler Herr Scholz, daß er den feurigen Helden Francesco
nicht meistern konnte. Selbst die größte Noth an geeignetem Schauspieler¬
Material — die allerdings die Direction hätte abhalten sollen, sich an
eine Riesenaufgabe, wie an den „Schleier der Beatrice“, zu wagen
entschuldigt aber nicht, daß Frl. Forster dem Publikum als Vers¬
schauspielerin und Florentiner Renaissance=Schönheit vorgeführt wurde.
Die Regie des Herrn Runge mag harte Arbeit gehabt haben, als sie
die glänzenden Schauplätze und Vorgänge des Werkes mit ungenügendem
scenischem, Darsteller= und Costüme=Material (die Renaissance=Menscheni
vom Sonnabend trugen alle mittelalterlichen Trachten vom 14. bis zum
17. Jahrhundert zur Schau) herausbringen sollte. Das Scheitern am
Unmöglichen fällt ihr jedenfalls nicht zur Last.