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Die grosse Kunstausstellung des litterarischen
Schaffens hat der Jung-Wiener Dichter Arthur
Schnitzler in diesem Jahre mit zwei kleinen
Studienköpfen und mit einem monumentalen His¬
torienbilde zugleich beschickt. Anspruchslos blicken
die Portraitskizzen Zeutnank Gustl und Fran
Bertha Garlaut) aus ihrem bescheidenen Rahmen.
Weithin aber leuchten und glühen die Farben in
jener Darstellung aus italienischer Vorzeit, im
Für
Schleier der Beatrice?). Fackellicht schimmert mit —)
1) Beide bei S. Fischer, Berlin.
„
2) S. Fischer, Berlin.
grellem Flackern über einem tollen, wüsten Bac¬
chanal. Tanzende Paare huschen in wolliistiger,
Abonn
brünstiger Umarmung über den Rasen. Vorn aber,
Abonn „wischen den Säulen der Schlossterrasse steht eine
bleiche, kindliche Sünderin im bräutlichen Schleier
vor ihren Richtern.
Inhal
In solch glühend-farbenreichem, plastischem
blät
Bilde prägt sich Schnitzlers neue Verstragödie,
wollur
auch ohne die Eselsbrücke des Bühneneindrucks,
des
dem Leser ein. Doch nicht minder deutliche
werde
Spuren hinterlassen in seinem Gedächtnis die
jugendlich-kindlichen Züge des Zeutnanf Gustl
und die nachdenklichen Züge jener Vrau Bertha
Garlau deren beseeltes Bildms der Dichter mit
dein allzugewichtigen Titel -Romane in die Welt
schickt.
Das bedeutendste an der Novelle Zeuknank
Gustz ist zweifellos der Umstand, dass Arthur
Schnitzler der den Rang eines k. k. Regiments¬
arztes in der Reserve bekleidete, wegen der Ver¬
öffentlichung dieser Novelle durch ehrenrätlichen
Spruch dieser Charge verlustig erklärt wurde.
Zeutnanf Gustls behandelt das Problem der sog.
Ehrennotwehr-; d. h.: ein Offizier hat auf der
Strasse jede Beleidigung sofort mit der Waffe zu
rächen. In einer Theatergarderobe gerät Leutnant
Gustl in einen Wortwechsel mit einem Bäcker. Als
der Offizier den Degen ziehen will, ergreift der
Bäcker seine Hand und hält sie fest, wobei er
dummer Bubs schimpft. Nach dem Ehrenkodex
fühlt sich der Offizier verpflichtet, sich eine Kugel
vor den Kopf zu schiessen. Er irrt die ganze
Nacht im Prater umher, ohne den Mut zum Selbst¬
mord zu finden. Morgens geht er noch einmal
in sein Kaffeehaus frühstücken; dann will er sterben.
Da erfährt er, dass den Bäcker bei Nacht der
Schlag getroffen habe und unterlässt den Selbst¬
mord.
Ein Künstler von Arthur Schnitzlers Rang, hat
auch einmal das Recht, ein unscheinbares Thema
wie das obige aufzugreifen, denn auch so ist er
vor dem Verdacht sicher, dass diese Selbstbe¬
schränkung ein Notbehelf poetischer Armut sei.
Schnitzlers Roman Frau Zertha Garlaus ist
kaum in glücklicher Stunde empfangen worden.
Unser stärkstes zeitgenössisches Talent hat ein An¬
recht darauf, mit höchstem Masse gemessen zu
werden und so muss denn gesagt werden, dass
dieser Roman einen Rückschritt für den Jung¬
Wiener Dichter bedeutet. Schnitzler ist ja immer
Anklage- und Thesendichter, und nicht umsonst
Medizmer; aber ein so mageres Gerippe der
Handlung hat er uns noch nie geboten. Die
These des Romans lautet, dass das Recht auf
Liebesgenuss bei Männern und Frauen darum
nicht gleich sei, weil die Frau die Hingabe nicht
um ihrer selber willen begehren dürfe, sondern
nur in Sehnsucht nach der Mutterschaft, im
Schrei nach dem Kinde. Das mag richtig sein,
ist aber mehr ein sozial-medizinisches, als dichte¬
risches Beweisthema. Dass die tugendhafte, im
Grunde sehr thörichte Frau Witwe Garlau, die in
einer kleinen Stadt ein stilles Dämmerleben führt,
plötzlich eine Art Liebeswahnsinn spürt, weil sie
in einer illustrierten Zeitung das Bild ihres berühmt
gewordenen Jugendgeliebten, eines Violinvirtuosen,
findet, dass sie sich ihm schlechterdings an den
Hals wirft und ihm eine Gunst erweist, die er
sonst gewohnt ist, sich zu kaufen, — das alles
inclusive
Porto.
Zahlbar
will mir recht unwahrscheinlich vorkommen. Und
mir dünkt, als ob auch Arthur Schnitzler dies
alles nicht für recht glaubhaft hielte.
Denn Schnitzler giebt sich Mühe, diese ele¬
mentare, ebenso schnell entflammende wie er¬
löschende Raserei durch körperliche, in der Natur
des Weibes bedingte Vorgänge zu erklären, die
wiederum mehr den Arzt interessieren können, als
den Freund künstlicher Gestaltung. — Die Klein¬
stadt, in der Frau Garlau lebt, bleibt uns ein Ort
ohne rechte Physiognomie.. Die Hauptstadt, in die
sie ihre Sehnsucht treibt, ist Wien. Aber wenn
wir statt Volksgarten und Votivkirchen, Hydepark
und Tower setzen, so könnte es ebensogut London
sein. — Wie blasse Schemen erscheinen die Ver¬
wandten und Bekannten, deren engumgrenztes
Leßen Frau Bertha festhält. Schwager und
Schwägerin, ein wunderlicher junger Anbeter, ein
resignierender Krüppel, sie alle tauchen wie aus
bleichen Nebeln undeutlich auf. Wenn wir ebenso
spät und ebenso plötzlich wie die Heldin erfahren,
dass sie Alle doch recht ruppige Charaktere sind,
so lässt uns diese Entdeckung kühl bis ans Herz
hinan. Blieben sie uns doch insgesamt fremd und
fern; fremd wie jene seltsame Frau Rupius, die
Gattin des Gelähmten, deren geheimnisvolle Liebes.
abenteuer mit 30 zwingender, verlockender Gewalt
in Frau Berthas stilles Dasein eingreifen. — Fremd
bleibt auch jener berühmte, verwöhnte Geigen¬
virtuos, der einst als Student mit der jungen Bertha
tändelte und an dessen Seite die reife Frau jetzt
mit übermächtiger Gewalt gerissen wird. — Will
uns Schnitzler wirklich glauben machen, dass diese
ehrbare Witwe und zärtliche Mutter eines blonden
Buben sich plötzlich einem eitlen Musikanten ohne
alle innere oder äussere Notwendigkeit an den Hals
— Hier gähnen Klüfte und Abgründe, über
wirft:
die selbst die feine Kunst eines Poeten von
Schnitzlers Rang keine Brücken zu schlagen wusste.
(Schluss folgt.)
—
Die grosse Kunstausstellung des litterarischen
Schaffens hat der Jung-Wiener Dichter Arthur
Schnitzler in diesem Jahre mit zwei kleinen
Studienköpfen und mit einem monumentalen His¬
torienbilde zugleich beschickt. Anspruchslos blicken
die Portraitskizzen Zeutnank Gustl und Fran
Bertha Garlaut) aus ihrem bescheidenen Rahmen.
Weithin aber leuchten und glühen die Farben in
jener Darstellung aus italienischer Vorzeit, im
Für
Schleier der Beatrice?). Fackellicht schimmert mit —)
1) Beide bei S. Fischer, Berlin.
„
2) S. Fischer, Berlin.
grellem Flackern über einem tollen, wüsten Bac¬
chanal. Tanzende Paare huschen in wolliistiger,
Abonn
brünstiger Umarmung über den Rasen. Vorn aber,
Abonn „wischen den Säulen der Schlossterrasse steht eine
bleiche, kindliche Sünderin im bräutlichen Schleier
vor ihren Richtern.
Inhal
In solch glühend-farbenreichem, plastischem
blät
Bilde prägt sich Schnitzlers neue Verstragödie,
wollur
auch ohne die Eselsbrücke des Bühneneindrucks,
des
dem Leser ein. Doch nicht minder deutliche
werde
Spuren hinterlassen in seinem Gedächtnis die
jugendlich-kindlichen Züge des Zeutnanf Gustl
und die nachdenklichen Züge jener Vrau Bertha
Garlau deren beseeltes Bildms der Dichter mit
dein allzugewichtigen Titel -Romane in die Welt
schickt.
Das bedeutendste an der Novelle Zeuknank
Gustz ist zweifellos der Umstand, dass Arthur
Schnitzler der den Rang eines k. k. Regiments¬
arztes in der Reserve bekleidete, wegen der Ver¬
öffentlichung dieser Novelle durch ehrenrätlichen
Spruch dieser Charge verlustig erklärt wurde.
Zeutnanf Gustls behandelt das Problem der sog.
Ehrennotwehr-; d. h.: ein Offizier hat auf der
Strasse jede Beleidigung sofort mit der Waffe zu
rächen. In einer Theatergarderobe gerät Leutnant
Gustl in einen Wortwechsel mit einem Bäcker. Als
der Offizier den Degen ziehen will, ergreift der
Bäcker seine Hand und hält sie fest, wobei er
dummer Bubs schimpft. Nach dem Ehrenkodex
fühlt sich der Offizier verpflichtet, sich eine Kugel
vor den Kopf zu schiessen. Er irrt die ganze
Nacht im Prater umher, ohne den Mut zum Selbst¬
mord zu finden. Morgens geht er noch einmal
in sein Kaffeehaus frühstücken; dann will er sterben.
Da erfährt er, dass den Bäcker bei Nacht der
Schlag getroffen habe und unterlässt den Selbst¬
mord.
Ein Künstler von Arthur Schnitzlers Rang, hat
auch einmal das Recht, ein unscheinbares Thema
wie das obige aufzugreifen, denn auch so ist er
vor dem Verdacht sicher, dass diese Selbstbe¬
schränkung ein Notbehelf poetischer Armut sei.
Schnitzlers Roman Frau Zertha Garlaus ist
kaum in glücklicher Stunde empfangen worden.
Unser stärkstes zeitgenössisches Talent hat ein An¬
recht darauf, mit höchstem Masse gemessen zu
werden und so muss denn gesagt werden, dass
dieser Roman einen Rückschritt für den Jung¬
Wiener Dichter bedeutet. Schnitzler ist ja immer
Anklage- und Thesendichter, und nicht umsonst
Medizmer; aber ein so mageres Gerippe der
Handlung hat er uns noch nie geboten. Die
These des Romans lautet, dass das Recht auf
Liebesgenuss bei Männern und Frauen darum
nicht gleich sei, weil die Frau die Hingabe nicht
um ihrer selber willen begehren dürfe, sondern
nur in Sehnsucht nach der Mutterschaft, im
Schrei nach dem Kinde. Das mag richtig sein,
ist aber mehr ein sozial-medizinisches, als dichte¬
risches Beweisthema. Dass die tugendhafte, im
Grunde sehr thörichte Frau Witwe Garlau, die in
einer kleinen Stadt ein stilles Dämmerleben führt,
plötzlich eine Art Liebeswahnsinn spürt, weil sie
in einer illustrierten Zeitung das Bild ihres berühmt
gewordenen Jugendgeliebten, eines Violinvirtuosen,
findet, dass sie sich ihm schlechterdings an den
Hals wirft und ihm eine Gunst erweist, die er
sonst gewohnt ist, sich zu kaufen, — das alles
inclusive
Porto.
Zahlbar
will mir recht unwahrscheinlich vorkommen. Und
mir dünkt, als ob auch Arthur Schnitzler dies
alles nicht für recht glaubhaft hielte.
Denn Schnitzler giebt sich Mühe, diese ele¬
mentare, ebenso schnell entflammende wie er¬
löschende Raserei durch körperliche, in der Natur
des Weibes bedingte Vorgänge zu erklären, die
wiederum mehr den Arzt interessieren können, als
den Freund künstlicher Gestaltung. — Die Klein¬
stadt, in der Frau Garlau lebt, bleibt uns ein Ort
ohne rechte Physiognomie.. Die Hauptstadt, in die
sie ihre Sehnsucht treibt, ist Wien. Aber wenn
wir statt Volksgarten und Votivkirchen, Hydepark
und Tower setzen, so könnte es ebensogut London
sein. — Wie blasse Schemen erscheinen die Ver¬
wandten und Bekannten, deren engumgrenztes
Leßen Frau Bertha festhält. Schwager und
Schwägerin, ein wunderlicher junger Anbeter, ein
resignierender Krüppel, sie alle tauchen wie aus
bleichen Nebeln undeutlich auf. Wenn wir ebenso
spät und ebenso plötzlich wie die Heldin erfahren,
dass sie Alle doch recht ruppige Charaktere sind,
so lässt uns diese Entdeckung kühl bis ans Herz
hinan. Blieben sie uns doch insgesamt fremd und
fern; fremd wie jene seltsame Frau Rupius, die
Gattin des Gelähmten, deren geheimnisvolle Liebes.
abenteuer mit 30 zwingender, verlockender Gewalt
in Frau Berthas stilles Dasein eingreifen. — Fremd
bleibt auch jener berühmte, verwöhnte Geigen¬
virtuos, der einst als Student mit der jungen Bertha
tändelte und an dessen Seite die reife Frau jetzt
mit übermächtiger Gewalt gerissen wird. — Will
uns Schnitzler wirklich glauben machen, dass diese
ehrbare Witwe und zärtliche Mutter eines blonden
Buben sich plötzlich einem eitlen Musikanten ohne
alle innere oder äussere Notwendigkeit an den Hals
— Hier gähnen Klüfte und Abgründe, über
wirft:
die selbst die feine Kunst eines Poeten von
Schnitzlers Rang keine Brücken zu schlagen wusste.
(Schluss folgt.)
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