14. Der Schleier der Beatrice
sönlichen Günstlinge des Sultans, die Vor= ein aus verschiernen
umschlag — eines der Stücke war in der Totenkammer
en der Minister gewöhnlich nach eigenem
und eines in einem Mauerloche mit Geld gefunden
messen änderten, so konnte von einer ver¬
worden — und Tintenflecken auf dem Hemdärmel
twortlichen staatsmännischen Thätigkeit der
Brierres, von denen man annahm, sie rührten von
einem umgeworfenen Tintenfaß in der Kammer her.
forte überhaupt keine Rede sein. Vor allem
Was als Hauptbeweggrund des Verbrechens angegeben
r war es dem Finanzminister völlig unmög¬
worden war, sein Verlangen nach der Heirat mit einer
gemacht, die Einnahmen und Ausgaben
minutiös deutlich geschildert, alles greift so geschickt
Denn dieser war ein Bote, ausgesandt,
ineinander, daß, so lange wir uns im Banne der
Das Grüßen einer hingeschwundnen Welt
Dichtung befinden, nicht der leifeste Zweifel an
Lebendig jeder neuen zu bestellen
der Wahrscheinlichkeit des Ganzen aufkommen kann.
Und hinzuwandeln über allen Tod!“
Das ist es eben, was dieser Romantiker von heute
Was aber an dem Beatrice=Drama am meisten
vor den Romantikern von Anno 1800 voraus hat: er
oniert, das ist die Ueberlegenheit des Dichters, seine
kennt die Bühne so gut, wie nur sehr wenige unter
ene Souveränität über dem Stoffe, die wir immer
den zeitgenössischen Dramatikern. Er hat es in seinen
der bewundern müssen. Er häuft Geschick auf Geschick,
frühern Stücken bewiesen, vor allem in dem kleinen,
kuation auf Situation, immer kommt etwas anderes,
geradezu als Muster dramatischer Technik dastehenden
der Leser erwartet hat. Und gerade das ist es, was
Einakter: „Die Gefährtin“. Die größten Schwierig¬
ethe an Byron so sehr bewunderte. „Dasjenige,
keiten weiß er zu überwinden. Und dieser außerordent¬
8 ich die Erfindung nenne“, sagte Goethe einmal zu
lichen Vertrautheit mit der Bühne, die er sich in seinen
em getreuen Eckermann, „ist mir bei keinem Menschen
am realistischen Drama zugebrachten poetischen Lehr¬
der Welt größer vorgekommen als bei ihm. Die
jahren erworben, verdankt er es, daß er auch bei dem
t und Weise, wie er einen dramatischen Knoten löst,
kühnsten Aufflug seiner Schaffenskraft niemals den
stets über alle Erwartung und immer besser, als
festen Halt unter den Füßen verliert. „Wahrscheinlichkeit
n es sich dachte.“ Und es ist, als wenn Schnitzler
ist die Bedingung der Kunst, aber innerhalb des Reiches
st an dieseritheit der Gestalten, an dieser
der Wahrscheinlichkeit muß das Höchste geliefert werden,
rrnis der Situationen sich voll Entzückung weidete,
was sonst nicht zur Erscheinung kommt.“ Mich dünkt,
wenn er geradezu mit Behagen all' die seltsamen
nicht oft dürfte man einer Dichtung begegnen, die
schicke eines nach dem andern aufrollte, als wenn
diese weisen Worte Goethes in solchem Maße befolgen
uns zurufen wollte: „Schaut, wie reich ich bin,
würde, wie es „Der Schleier der Beatrice“ thut.
ut, was ich alles kann!“ Und er kann es.
Und wenn man nun bedenkt, daß Kritik, Theater¬
Und dann: wir wissen ja, das alles ist reine
direktoren und Publikum sich gegen diese mächtige
hantasie des Dichters, er spielt mit uns, gerade so
Schöpfung eines unserer begabtesten Dichter geradezu
ees ein Tieck in seinen Dramen thut. Diese Fülle
verschworen zu haben scheinen, nur weil sie weder ein
nEreignissen, diese Menschen mit ihrem seltsamen
modisches Problemstück, noch ein Märchenstück, noch ein
esen und ihren wunderbar verschlungenen Schicksalen,
Salonlustspiel ist, und wenn man anderseits sieht, wie
ses Auf und Nieder von Gefühlsemotionen, diese
die Capricen eines Blumenthal täglich in spaltenlangen
eime Macht der Lebensgewalten — und all das
Abhandlungen breitgetreten werden, so muß man sich
kammengedrängt wie in einem Zauberkasten, wo wir
sagen, daß wir es auf diesem Punkte im Grunde nicht
e Ewigkeit in wenigen Minuten durchmessen! Und
hdas einzelue ist so realistisch glaubhaft, so viel weiter gebracht haben. als vor hundert Jahren. da 1
box 20/3
geneigter als vordem. Sie stehen dabei aber
heute noch, wie gestern und ehedem, auf dem
unverrückbaren Standpunkt, daß für sie nur
Friedensvorschläge, die ihre eigene Unabhängigkeit
und die Amnestie der aufständischen Kapkolonisten
gewährleisten, in Betracht kommen und den
Schiller und Goethe ihre Dramen schrieben und Kotzebue
aufgeführt wurde. Und ich glaube, man braucht nur
die Namen zu ändern, dann passen jene Worte Platens,
mit denen der Dichter seine Zeitgenossen geißelte, auch
auf unsere Zeit:
„Mittelmäßigem klatscht ihr Beifall, duldet das Er¬
hab'ne bloß,
Und verbannet fast schon alles, was nicht ganz ge¬
dankenlos.
Ja, in einer Stadt des Nordens, die so manches Uebels
Quell,
Preist man Ctaurens Albernheiten und verbietet Schillers
Tell!“
Jonas Fränkel.
Bern.
Kleine Chronik.
— (Mitgeteilt.) Soeben ist aus dem großen
Sammelwerke Bibliographie für schwei¬
zerische Landeskunde erschienen: Fascikel V 1
und 2 Anthropologie und Vorgeschichte, herausgegeben
von Prof. Dr. Rud. Martin und Dr. Jak. Heierli,
beide in Zürich. Der erste Teil enthält ca. 160 Titel
über physische Anthropologie der schweizerischen Be¬
völkerung und ist von Prof. Martin zusammengestellt,
während der zweite Teil von Dr. Heierli über 2000
Titel, die Urgeschichte der Schweiz betreffend, aufweist.
Das Heft wird den Interessenten von großem Nutzen
sein; es ist zum Preise von 2 Fr. 50 durch alle Buch¬
handlungen, sowie beim Verleger K. I. Wyß in Bern
zu beziehen.
sönlichen Günstlinge des Sultans, die Vor= ein aus verschiernen
umschlag — eines der Stücke war in der Totenkammer
en der Minister gewöhnlich nach eigenem
und eines in einem Mauerloche mit Geld gefunden
messen änderten, so konnte von einer ver¬
worden — und Tintenflecken auf dem Hemdärmel
twortlichen staatsmännischen Thätigkeit der
Brierres, von denen man annahm, sie rührten von
einem umgeworfenen Tintenfaß in der Kammer her.
forte überhaupt keine Rede sein. Vor allem
Was als Hauptbeweggrund des Verbrechens angegeben
r war es dem Finanzminister völlig unmög¬
worden war, sein Verlangen nach der Heirat mit einer
gemacht, die Einnahmen und Ausgaben
minutiös deutlich geschildert, alles greift so geschickt
Denn dieser war ein Bote, ausgesandt,
ineinander, daß, so lange wir uns im Banne der
Das Grüßen einer hingeschwundnen Welt
Dichtung befinden, nicht der leifeste Zweifel an
Lebendig jeder neuen zu bestellen
der Wahrscheinlichkeit des Ganzen aufkommen kann.
Und hinzuwandeln über allen Tod!“
Das ist es eben, was dieser Romantiker von heute
Was aber an dem Beatrice=Drama am meisten
vor den Romantikern von Anno 1800 voraus hat: er
oniert, das ist die Ueberlegenheit des Dichters, seine
kennt die Bühne so gut, wie nur sehr wenige unter
ene Souveränität über dem Stoffe, die wir immer
den zeitgenössischen Dramatikern. Er hat es in seinen
der bewundern müssen. Er häuft Geschick auf Geschick,
frühern Stücken bewiesen, vor allem in dem kleinen,
kuation auf Situation, immer kommt etwas anderes,
geradezu als Muster dramatischer Technik dastehenden
der Leser erwartet hat. Und gerade das ist es, was
Einakter: „Die Gefährtin“. Die größten Schwierig¬
ethe an Byron so sehr bewunderte. „Dasjenige,
keiten weiß er zu überwinden. Und dieser außerordent¬
8 ich die Erfindung nenne“, sagte Goethe einmal zu
lichen Vertrautheit mit der Bühne, die er sich in seinen
em getreuen Eckermann, „ist mir bei keinem Menschen
am realistischen Drama zugebrachten poetischen Lehr¬
der Welt größer vorgekommen als bei ihm. Die
jahren erworben, verdankt er es, daß er auch bei dem
t und Weise, wie er einen dramatischen Knoten löst,
kühnsten Aufflug seiner Schaffenskraft niemals den
stets über alle Erwartung und immer besser, als
festen Halt unter den Füßen verliert. „Wahrscheinlichkeit
n es sich dachte.“ Und es ist, als wenn Schnitzler
ist die Bedingung der Kunst, aber innerhalb des Reiches
st an dieseritheit der Gestalten, an dieser
der Wahrscheinlichkeit muß das Höchste geliefert werden,
rrnis der Situationen sich voll Entzückung weidete,
was sonst nicht zur Erscheinung kommt.“ Mich dünkt,
wenn er geradezu mit Behagen all' die seltsamen
nicht oft dürfte man einer Dichtung begegnen, die
schicke eines nach dem andern aufrollte, als wenn
diese weisen Worte Goethes in solchem Maße befolgen
uns zurufen wollte: „Schaut, wie reich ich bin,
würde, wie es „Der Schleier der Beatrice“ thut.
ut, was ich alles kann!“ Und er kann es.
Und wenn man nun bedenkt, daß Kritik, Theater¬
Und dann: wir wissen ja, das alles ist reine
direktoren und Publikum sich gegen diese mächtige
hantasie des Dichters, er spielt mit uns, gerade so
Schöpfung eines unserer begabtesten Dichter geradezu
ees ein Tieck in seinen Dramen thut. Diese Fülle
verschworen zu haben scheinen, nur weil sie weder ein
nEreignissen, diese Menschen mit ihrem seltsamen
modisches Problemstück, noch ein Märchenstück, noch ein
esen und ihren wunderbar verschlungenen Schicksalen,
Salonlustspiel ist, und wenn man anderseits sieht, wie
ses Auf und Nieder von Gefühlsemotionen, diese
die Capricen eines Blumenthal täglich in spaltenlangen
eime Macht der Lebensgewalten — und all das
Abhandlungen breitgetreten werden, so muß man sich
kammengedrängt wie in einem Zauberkasten, wo wir
sagen, daß wir es auf diesem Punkte im Grunde nicht
e Ewigkeit in wenigen Minuten durchmessen! Und
hdas einzelue ist so realistisch glaubhaft, so viel weiter gebracht haben. als vor hundert Jahren. da 1
box 20/3
geneigter als vordem. Sie stehen dabei aber
heute noch, wie gestern und ehedem, auf dem
unverrückbaren Standpunkt, daß für sie nur
Friedensvorschläge, die ihre eigene Unabhängigkeit
und die Amnestie der aufständischen Kapkolonisten
gewährleisten, in Betracht kommen und den
Schiller und Goethe ihre Dramen schrieben und Kotzebue
aufgeführt wurde. Und ich glaube, man braucht nur
die Namen zu ändern, dann passen jene Worte Platens,
mit denen der Dichter seine Zeitgenossen geißelte, auch
auf unsere Zeit:
„Mittelmäßigem klatscht ihr Beifall, duldet das Er¬
hab'ne bloß,
Und verbannet fast schon alles, was nicht ganz ge¬
dankenlos.
Ja, in einer Stadt des Nordens, die so manches Uebels
Quell,
Preist man Ctaurens Albernheiten und verbietet Schillers
Tell!“
Jonas Fränkel.
Bern.
Kleine Chronik.
— (Mitgeteilt.) Soeben ist aus dem großen
Sammelwerke Bibliographie für schwei¬
zerische Landeskunde erschienen: Fascikel V 1
und 2 Anthropologie und Vorgeschichte, herausgegeben
von Prof. Dr. Rud. Martin und Dr. Jak. Heierli,
beide in Zürich. Der erste Teil enthält ca. 160 Titel
über physische Anthropologie der schweizerischen Be¬
völkerung und ist von Prof. Martin zusammengestellt,
während der zweite Teil von Dr. Heierli über 2000
Titel, die Urgeschichte der Schweiz betreffend, aufweist.
Das Heft wird den Interessenten von großem Nutzen
sein; es ist zum Preise von 2 Fr. 50 durch alle Buch¬
handlungen, sowie beim Verleger K. I. Wyß in Bern
zu beziehen.