II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 268

Sprache und Figurenzeichnung sind von keinem un¬
beimlich treuen, vielfach abstoßenden Naturalismus,
der allerdings die Hand des geschickten Dramatikers
überall merken läßt,
Von diesem bedenklichen Zuviel in der getreuen
Wiedergabe einer häßlichen Wirklichkeit weiß sich Philipp
Langmann in seinem neuesten Drama „Corporal
Stöhr"*) vollkommen freizuhalten, trotzdem auch er
uns ein Armeleutstück voll ergreifender innerer Wahrheit
gibt. Da ist jedes Wort geprägt und selbstverständ¬
lich, jede Situation durchempfunden, motivirt und
nothwendig, genau wie im „Bartel Turaser“ mit
dem „Korporal Stöhr“ das Colorit gemeinsam hat.
Leider nur schädigt der Dichter den tiefgehenden Ein¬
druck der ersten zwei Acte durch einen überhasteten,
einigermaßen äußerlichen Abschluß. Ein junger Glas¬
arbeiter ist nach Ableistung seines Militärdienstes
nach Hause zurückgekommen. Eine energische Kraft¬
natur gleich seinem Vater, unbeugsam und knorrig
wie dieser, hat er sich mit ihm nicht recht vertragen
können. Die beiden Hartköpfe geriethen aneinander,
daß es Funken sprühte, und der Junge ging in Un¬
frieden aus dem Hause. Und nun, da er heimgekehrt
ist nach langen Jahren, gereift, ein ernster, starker
Mann, voll freudigen Muthes, in der Heimat zu
wirken und zu schaffen, findet er Alles versumpft
und verrottet. Die Arbeiter, die er zu einer Pro¬
ductivgenossenschaft vereinigen will, sind theilnahms¬
los und ohne Verständniß, und die häuslichen Ver¬
hältnisse treiben ihm den Ekel in die Kehle. Der
Tod des Vaters, an dem er trotz allem und allem
mit Zärtlichkeit hing, ist ihm nicht mitgetheilt wor¬
den, und die bejahrte Mutter tritt ihm mit einem
Bräutigam entgegen, der auf den Verstorbenen ein
Pasquill ist. Die Schwester, sein Augapfel und sein
Stolz, ist von seinem besten Freunde in die Schande
gebracht worden, und sein kaum erwachsener Bruder,
ein verwahrloster Taugenichts, lebt mit dem Mädchen,
mit dem er selbst längst versprochen war. Lukas,
der Korporal, macht schnell reinen Tisch. Den ver¬
späteten Bräutigam seiner Mutter jagt er davon,
und den Liebhaber seiner Schwester bewegt er, dieser
die Ehre wiederzugeben. Das leichtfertige Ding aber,
das sich mit seinem Bruder eingelassen hat, bringt
er in einer an eine Scene aus Anzengrubers „Vier¬
tem Gebot“ anklingenden Unterredung dazu, den
Burschen freizugeben. Seine feste, auf das Ehrbarc
und Solide gerichtete Art, die für sich selbst so gar
nichts übrig hat, macht einen tiefen Eindruck auf das
Mädchen. Eine Umkehr von ihrem der Schande ver¬
fallenen Leben ist ihr nicht möglich, deshalb wirft sie
es von sich. Ihre Eltern jammern, daß ihre beste
Erwerbsquelle versiegt ist, der leichtsinnige Liebhaber
findet sein besseres Selbst wieder, und Ko# oral Stöhr
verläßt an der Seite einer braven Frau die Heimat
für immer.
Sowohl Schamann als auch Langmann lassen
ihre Stücke in Mähren spielen; der erstere in der
Landeshauptstadt, der zweite in einem Dorfe. Wäh¬
rend aber in dem Drama des Ersigenannten nichts
weiter specifisch zu sein scheint als allenfalls die
Mundart und die Redeformen, steigt aus „Korporal
Stöhr“ allerdings jener besondere Duft empor, der
die Eigenart eines besonderen Kreises, einer beson¬
deren territorialen oder wohl auch culturellen Pro¬
vinz kennzeichnet. In noch weit stärkerem Grade
aber ist diese eigene Prägung den neuesten dramati¬
schen Erzeugnissen von Max Halbe und Georg
Hirschfeld aufgedrückt. In Hirschfelds Li¬
teratenkomödie „Der junge Goldner““ wohl
kaum zum Nutzen der theatralischen Gesammtwirkung.
Das an Ibsen'schen Einfluß gemahnende Grund¬
mativ des Stückes ist das durch keinerlei Rücksicht zu
hammende Eintreten für die Wahrheit und Ehrlichkeit
in den Kunstanschauungen wie in den Lebens¬
principien, der stoffliche Inhalt ist das Zurückweichen
eines zum Theaterdirector avancirten Kunstrichters
vor der Opportunität gelegentlich der Zurückweisung
eines zur Aufführung bereits bestimmten Theater¬
stücks. Die Richtigkeit der Annahme, daß damit die
seinerzeit viel erörterte Behandlung des Verfassers
des „Schleiers der Beatrice“ seitens der ersten Bühne
seiner Vaterstadt verspottet werden sollte, mag dahin¬
gestellt bleiben, sie kann ja auf die literarische Wer¬
tbung der Arbeit keinen Einfluß haben. Wie in den
meisten Hirschfeld'schen Werken gewinnt man auch
hier den Eindruck, daß es der Ausfluß höchst persön¬
licher Erlebnisse und Empfindungen ist, und das
macht ja wohl seinen besten Vorzug aus. Nur bewegt
sich Hirfchfeld vielfach in einem gar zu engen Kreis,
den wir durch ein weiteres Gesichtsfeld gern ver¬
größert sähen. Als ein Bodenständiger dagegen im
besten Sinne tritt uns Halbe in seinem dreiactigen
Drama „Haus Rosenhagen“*) entgegen. Das
Stück könnte ebensogut „Mutter Erde“ heißen, denn
der geheimnißvolle Zauber, mit dem uns die heimat¬
liche Erde umspinnt, sowie die mächtigen Impulse,
die wir von ihr empfangen, finden auch in diesem,
gleichermaßen von Heimatskunst und Heimatsliebe
getragenen Drama kräftigen Ausdruck. Auch das
Milien, das ostpreußische Gut mit seinen frucht¬
tragenden Aeckern und dichtrauschenden Wäldern ist
dasselbe, und fast scheinen uns auch die Menschen
die Gleichen: ein sterbender Vater und ein junger
Erbe, den es zur Mutter Erde treibt, ein junges
Weib, das es in dieser Enge nicht duldet, ein auf¬
geopfertes Geschöpf, das den Muth der Verzweiflung
findet, und eine alte Frau mit klarer Einsicht und
lebenskluger Erfahrung. Die Mystik des früheren
Dramas hat der Dichter diesmal vermieden, aber er
eröffnet uns trotzdem mit großer Kunst aus dem
kleinen, recht nüchternen Motiv tiefere Ausblicke in
eine schöne, offene Weite. Im wesentlichen handelt es
sich um einen erbitterten Zwist zwischen dem Guts¬
eigentbümer von Rosenhagen und seinem Nachbar,
dem Bauer Voß. Nahezu unumschränkt beherrschen
Rosenhagens die ganze Gegend, aus der sie die klei¬
neren Besitzer nach und nach verdrängt haben. Nur
Voß hält mit der Zähigkeit des an seiner Scholle
haftenden Bauern seinen Besitz umklammert. Da
macht der junge Rosenhagen'sche Erbe die Entdeckung,
daß eine große Wiese, um die es ihm ganz besonders
zu thun ist, gar nicht Voß zugehöre, sondern Ge¬
meindeeingenthum ist. Trotzdem bietet er jenem eine
ungewöhnlich hohe Kaufsumme. Denn er braucht den
ganzen Besitz, um für seine Braut einen prächtigen
Herrensitz mit schöner Aussicht zu errichten. Diese
aber, eine gefeierte Weltdame, die es in dem Schatten
der dichten Wälder fröstelt, auf den flachen Feldern
langweilt und in der Enge des Dorfes verstimmt,
setzt dem Liebsten zu, mit ihr hinauszuziehen in die
glänzende Buntheit des Lebens. Er sträubt sich heftig,
sie lockt und zieht und schmeichelt und verwirrt ihn,
aber schließlich unterliegt sie in dem Kampfe gegen
die heimatliche Mutter Erde. Sie gibt ihn auf und
rüstet zur Abreise. Er aber, in höchster Aufregung,
kündigt den hartnäckigen Nachbar, der nicht verkaufen
will, denkampf auf Leben und Tod an. Voß, der
es nicht ertragen kann, daß ein Fremder auf seinem
Boden hause, kommt nächtlicher Weile herau und
erschießt den letzten Rosenhagen aus dem Hinterhalt.
Die allerlösende, Ruhe und Frieden spendende Mutter
Erde hat ihr Kind zu sich herabgeholt.
Dr. Arnold Grünberger.
Literatur.
F. A. Neues Leben. Dichtungen von Karl
Heuckell. Zürich und Leipzig, Verlag von Karl
Henckell & Co.) Erst vor zwei Jahren hat Karl
Heuckell die Auslese seiner Dichtungen in einem
Sammelbande vereinigt; stürmische Trutzgesänge gegen
die Zwingburgen der Menschheit, die mit ihrem düstern
Drohen in unsere neue Zeit ganz so finster hinein¬
ragen wie ehemals. Es that wohl, den kecken, frischen
Ruf zu hören und mit ihm durch dick und dünn zu!
gehen, dem jugendlichen, frohen Ruser zum Streit.
Aber Heuckel hat sich an den überströmenden Klängen:
„von der Zinne der Partei“ nicht genügen lassen. Er
ist gereist und hat auf weichere Töne horchen gelernt
und versteht nun auch das Glück zu genießen und zu
halten. Die Erhöhung des Daseins, die ihm seine
junge Ehe gebracht, klingt und singt aus seinem jüng¬
sten Gedichtbande „Nenes Leben.“ Die Einleitung
des farbeufrischen Buches bilden Stanzen, in denen
er sich mir gerader Festigkeit gegen den Vorwurf ver¬
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