II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 298

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Leben
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B#rogna elwas allzu lebhaft geträumt, er wird darüber
böse und jagt sie fort. Sie geht nach Hause und ver¬
lobt sich sofort mit dem bedauernswerthen Vittorino.
Auf dem Wege zur Kirche begegnet dem Brautpaar
der eben erwähnte Herzog von Bologna. Selbstver¬
ständlich redet der Herzog die Braut, die er noch gar nicht
tannte, gleich an und bittet sie, sie möge doch einmal
einen Augenblick mit ihm ins Schloß kommen. Die
sittige Braut antwortet:
„Nicht zu machen; nur
wenn mich Ew. Durchlaucht heirathen wollen, hätte
ich nichts dagegen.“ Und richtig, der Herzog
erklärt, er werde sie heirathen, sie sinkt ihm
(er ist bereits Nummer Drei an einem Tage) wonne¬
schauernd in die Arme, und Vittorino bringt in
einer Ecke sich um. Zu der Hochzeit, die noch am
selben Abend stattfindet, lädt der Herzog sämmt¬
liche öffentliche Dirnen Bolognas ein; nicht etwa
aus Selbstironie, das wäre ein dichterischer Zug,
sondern nur damit ein malerisch bewegter vierter
Act zu Stande kommt. Beatrice aber schleicht sich von
diesem Feste weg und kehrt noch einmal zu Nummer
Eins, zu ihrem Filippo, zurück. Der hat unterdessen
ganz friedlich mit zwei anderen Damen poculirt. Als
Beatrice kommt, wird er pathetisch, hält eine längere
Rede über den Werth des Lebens und die Nachtheile
des Sterbens und versucht darauf, einen kleinen Doppel¬
selbstmord zu arrangiren. Dieses Experiment mi߬
lingt aber insofern, als nur er dabei umkounnt,
während Veatrice am Leben bleibt. Sie geht
dann in
aller Gemächlichkeit zur Hochzeit
zurück, wo der Herzog sie fragt, wo sie ihren
Schleier gelassen habe. Nach langem Sträuben
will sie ihn dorthin führen, wo der Schleier liegt.
Man begiebt sich in Filippos Gemach, wo es natürlich
zu erregten Seenen kommt. Der Herzog hält viel
schöne Reden und Beatrice wird endlich von ihrem
Bruder Francesco erstochen.
Uff! Und dabei haben wir nur die leitende Handlung
erzählt. Darum herum ranken sich noch zahllose Episoden
politischer oder erotischer Natur; indifferente Neben¬
personen kommen und gehen oder bringen sich um.
Das, worauf es dem Dichter inmitten dieses Wirr¬
warrs ankam, ist das Wesen dieser Beatrice, die
harmlos und auch schuldlos über Leichen wandelt, von einer
Umarmung in die andere, die, neben der blutenden Leiche
ihres ersten Bräutigams stehend, von ihrem zweiten
Bräutigam den symbolischen Schleier empfängt und diesen
Schleier noch in der Hochzeitsnacht im Schlafzimmer
ihres Geliebten liegen läßt. Dieses Weib hat schon
manchen Dichter begeistert. So Boccaccio, der mit
infamem Behagen die Novelle von der von Bett zu
Bett verderbenbringend schreitenden Egyptischen Sultaus¬
tochter erzählte, so Wedekind, der den Stoff im „Erd¬
geist“ zu höhnender Satire verwerthete.
Um Schnitzlers Beatrice wittert ein Hauch von
Menschlichkeit. Das muß man dem Stücke lassen.
Wenn man aus all dem theatralischen Zubehör die
Figur dieses Persönchens herausschält, so hat man
ein Stück leidenden Lebens vor sich, auf das
doch nicht der erste Beste geräth. Der Kern
ist gut, nur die Gestaltung vollkommen mißrathen.
Schon die Thatsache, daß dieser Kern sich so gar nicht
hervorhebt, bei der schnell vorüber gleitenden Auf¬
führung kaum zu erkennen ist, zeigt, daß es Schnitzler
nicht gelungen ist, für die Perspective der Bühne plastisch zu
gruppiren. Ueberall gähnende Leere, in der krause Be¬
gebenheiten und schattenhafte Figuren durcheinander¬
wogen. Was für eine kindisch gezeichnete Figur ist
vierer Herzog, der auf offenem Markt ein Straßen¬
mädel freit und dann baß erstaunt ist, daß !
fer allerlei unerfreuliches Geheimniß als Heiraths=
gut mitbekommen hat. Und wie wenig durchdacht ist
das Verhältniß Beatrices zu ihrem Liebhaber und wie
dunkel die Existenz all dieser zahllosen herunzappelnden
und herumschwätzenden Nebenfiguren. Und doch hatte
der Dichter in diesen langen fünf Acten reichlich Raum,
Licht zu geben und lebendiges Leben auf die Beine zu
stellen. Der Sprung vom eleganten Liebelei=Canseur
zum fünfactigen Tragöden ist eben nicht leicht, und
Herrn Schnitzler ist er mißlungen.
Die Darstellung war nicht zu loben. Irene Triesch
als Beatrice bot noch das Beste, sie verstand, daß diese
Rolle ganz schlicht, ohne jede interessante Accentuirung,
ganz meuschlich gegeben werden müßte. Die schönen
Worte, die der Dichter dem Filippo in den Mund
legt, verhunzte Herr Rittner in Grund und Boden;
die Manier dieses Spielers, seine Rolle mit zurück¬
geworfenem Kopf in eintönigem Leutnantston heraus¬
zuschnattern, fängt an unausstehlich zu werden.
Auch Herr Kayßler als Herzog war sehr schwach
und die übrigen Rollen sind so uninteressant,
daß selbst Künstler, wie die Damen Dumont, Pauly,
Poellnitz, die Herren Sommerstorff, Sauer,
Bässermann nicht zu interessiren vermochten. Die
Inscenirung der Massenscenen ging über das Aller¬
alltäglichste nicht hinaus.
V. A.]
ereneehrrchen
wirthschaftliche
wird. Diese Mit¬

Telephon 12801.
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Ausschnitt

„OBSERVER
Nr. 17
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Ausschnitt aus:
2s Kleine Jpurnal (Berin)
vom:
1 03
Cheater und Kunst.
Deutsches Theater.
Arthur Schnitzlers Schauspiel „Der Schleier
der Beatrice“ hat gestern endlich auch den Weg nach Berlin
gefunden. Bisher ist es nur in Breslau aufgeführt worden,
und andere Bühnen scheuten vor dem Wagnis zurück, weil die
Dichtung darstellerisch und szenisch einen außerordentlich großen
Apparat erfordert und weil sie fürchteten, der Preis würde die
Mühe vielleicht nicht lohnen. Diese Befürchtung dürfte sich möglicher¬
weise auch hier nicht lohnen, aber jedenfalls muß man Herrn Brahm
Für
für die Aufführung dankbar sein, denn Arthur Schnitzler ist ein ielusive
Dichter, der ein Recht darauf hat, gehört zu werden, auch da, Porto.
wo er etwa in heißer Sehnsucht über die Grenzen seines Talents iahlbar
hinausgestrebt hat. Was Schnitzler für die Bühne bis heute Voraus.
geschaffen hat, war immer von starkem und eigenartigem Können; ist das
getragen, wenn es sich auch meist in leichte, gefällige Formen ht es den
kleidete. Und daß er nicht bloß als skeptischer Satiriker ins rn.
Leben schaut, sondern daß auch starke dramatische Kraft in ihm
lebt, hat er zum mindesten in seinem Einakter „Der grüne iltend die
Kakadu“ bewiesen. Im „Schleier der Beatrice“ freilich lorgen¬
Zeitung")
hat er
sich ein bißchen zu viel zugemutet. Das
haftliche
Problem, das er sich gestellt hat, ist tief und bedeut¬
Diese Mit¬
sam. Er wollte gleichsam das Weib an sich auf
die Bühne bringen, ein junges, schönes, blühendes Mädchen,
dem alles nur ein Spiel ist, das ahnungslos durch Leben und
Liebe schreitet, das durch die Gewalt seiner Schönheit die Männer
verdirbt, ohne es zu wollen, und das, wie ein Kind, nur vor
dem Tod sich fürchtet. So liebt sie den Dichter Filippo Loschi,
der um ihretwillen Braut, Ehre und alles zu opfern bereit ist,
bis er erkennt, daß in ihrem tiefsten Herzen sie sich auch nach
anderem sehnt, nach Glanz und Pracht, die ihre Träume be¬
herrschen. So wird sie des Herzogs von Bologna Gattin, so
treibt sie den armen Vittorino, der sie so gern zum
Altar führen möchte, in den Tod, und so drückt sie auch
ihrem Dichter Filippo, dem Einzigen, den ihre Kinderseele liebt,
zuletzt den Gislbecher an die Lippen, bis sie endlich selbst durch
des eigenen Bruders Dolch den Tod erkennen lernt. Mit Recht
sagt der Herzog zu ihr:
Warst Du nicht, Beatrice, nur ein Kind,
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte, —
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Rätsel, —
Mit eines Jünglings Herzen, weil's Dir just
Geschenkt war? Aber wir sind allzu streng
Und leiden's nicht, und jeder von uns wollte
Nicht nur das einz'ge Spielzeng sein — nein, mehr!
Die ganze Welt. So nannten wir Dein Tun
Betrug und Frevel — und Du warst ein Kind!
Hätte Arthur Schnitzler sich auf die Lösung dieses Problems be¬
schränkt, er hätte ein gutes Stück geschaffen, zweifellos ein viel¬
besseres, als jetzt sein Schleier der Beatrice“ ist. Aber er hat
den Menschen seiner Dichtung, die nie und nimmer gelebt haben:
könnten, auch noch ein ganz spezifisches Zeitkolorit gegeben. Sein
Herzog von Bologna mußte sich, außer mit seiner Leidenschaft
für die schöne Beatrice, auch noch mit dem tückischen Cesar
Borgia herumraufen, sein Dichter Filippo Loschi mußte mit aller
Gewalt ein Uebermensch der Renaissance werden, und noch eine
ganze Menge höchst überflüssiger und deshalb störender
Motive und Personen packte er zu dem gleichen Zwecke
noch in sein Schauspiel hinein. Und so zerrte er die wunder¬
volle, von tiefstem Empfinden