II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 304

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14. Der Schleien der Beatrice
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Rollen von den Personen zu bewußt aufgenommen, und selbst die verkündet, daß nicht die That unsterblich ist sondern das Lied und
kleine Heldin Beatrice sieht man an einem Faden gezogen, die die letzten Verse, die wiederum das Leben im Augenblick, im
Feuilleton.
weiter nichts soll als leben ganz aus sich heraus, nur von ihrem starken Handeln und im raschen Genießen feiern kommen zu spät,
launisch springenden Verlangen, von der Zugkraft weiblicher und kind= um sich noch als wuchtigen Abschluß und erschöpfenden Grund¬
ater und Musik.
licher Instinkte durch märchenhaft wechselnde Abenteuer geführt. Die
gedanken einzusetzen. Dieser Philippo, der nicht unbedenklich ge¬
tsches Theater.
Schwäche des Stückes, der Mangel eines den Stoff durchdringenden
nießen kann, der niemals zuzupacken wagt aus Furcht,
Zum 1. Male: Der Schleier der
Willens verräth sich auch dadurch, daß es mindestens dreimal ge¬
eine von seinen Illusionen zu zerbrechen hat sich durch¬
n 5 Akten von Arthur Schnitzler.
weg als einen weichen modernen Dekadenten erwiesen,
zwungen wird, sich selbst zu erklären und wir würden ihm ziemlich
edrama hat eine zum mindesten sehr
rathlos gegenüberstehen, wenn nicht verschiedene Personen die
und wenn der Mann der That sich vor ihm neigt,
efunden, ohne daß es uns gezwungen
so kommt Schnitzler ungefähr dahin, wohin er nicht kommen wollte:
Schlüssel brächten, um durch die Erschließung der Hauptfigur zu¬
gelbst, an der Zukunft seines feinen, ein¬
gleich sein Inneres zu öffnen. Am erschöpfendsten sagt es der
bei dem Versuch, eine Höhe des Lebens mit Ungestüm zu nehmen,
u zweifeln, das sich zu einem wohlklingen¬
ist er wieder ins Literarische gefallen. Aber in seinem Drama ist
Herzog.
timmungen gemacht hat, die aus einer
ein großer Reichthum verstreut an fein aufgegriffenen Stimmungen,
Warst Du nicht, Beatrice, nur ein Kind,
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serer Zeit mit der Nothwendigkeit von
an tief gehenden Lebenseinsichten an melancholischen, geistreichen
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte, -
ervorgehen. Das ist sein persönlicher Er¬
niemals unbedeutenden Gedankenspielen und so lange wir uns
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Räthsel, —
hicksale auch seinem Werke beschieden sein
auf den Rhythmen dieser graziösen Verse schaukeln, vergessen wir
Mit eines Jünglings Herzen, weil's Dir just
und besonders die dramatische, die dem
Geschenkt war? Aber wir sind allzu streng
unter dem Stimmungszauber dieser Fahrt, daß es ohne Richtung
kitt bewegt sich immer in Ellipsen,
Und leiden's nicht, und jeder von uns wollte
nur eben hin= und hergeht. Schnitzler hat eben Geist, er ist
Wirklichkeit, an die wir gebunden
Nicht nur das einz'ge Spielzeug sein nein mehr!
weltmännisch, elegant, graziös und wer neben diesen immer sel¬
einem
Gegenwart in
Die ganze Welt. So nannten wir Dein Thun
dann der
teuer werdenden Gaben noch die einer bilderreichen höchst anmu¬
nsere Sehnsucht in ein Land der Träume
Betrug und Frevel — und Du warst ein Kind.“
thig spielenden Phantasie hat, dem sollte man für Auregungen dank¬
vergangene Zeiten die unsere Phantasie
Das sind schöne Verse, aber es wäre noch besser, wenn sie nicht
bar sein, die zu fein sind um im Augenblick auf die Masse zu
Schönheitszauber im festlichen Glanze zu
da zu sein brauchten. Und sie geben der Beatrice schließlich auch
wirken, die aber doch in dem einzelnen Genießen nicht so leicht
müssen so weit entlegen sein daß wir nur
verklingen.
nicht die Einfachheit und Einseitlichkeit die sie im Laufe des
bfel großer Ereignisse, verklärender Kunst¬
Stückes durchaus vermissen läßt. Man begreift, daß sie den
Wie schon bemerkt, hat das Deutsche Theater mit dieser Auf¬
Werkeltage, die dazwischen in den Niede¬
Männern alles gilt, was diese als das Beste erwarten: der harm¬
führung einen großen Fortschritt gemacht, es hat die hohen For¬
ßtsein zu haben. Wie in der klassischen
lose Bräutigam Vittorino sucht in ihren Armen die Ruhe und
derungen, die das Stück in Bezug auf seine sinnlich gefällige
n, so e cheint den Menschen unserer Tage,
Reinheit der Dichter Philippo ein unsterbliches Lied und der
farbenfrohe Erscheinung stellt, mit Opulenz bewilligt, und die große
pzialer bundenheit und Eingeschränktheit
Herzog Bentivoglio die Kraft zu ruhmvollen Thaten, aber da sie
Masse, die der Regisseur hier zu lenken hat, ist ebenso lebendig
als eine ideale Epoche freien und schönen
einmal das instinktive, pflanzenhaft blühende, von keiner Vergangen¬
wie wohldisziplinirt gewesen. Auf diesem Wege wird und muß
ena uns Schnitzler in das Bologna des
heit beschattete Leben sein soll, so begreift man nicht, daß sie
man die Lust und die Fähigkeit zu lange vernachlässigten Auf¬
versetzt, so hater immerhin ohne Anspruch auf
sich
gaben wiedergewinnen, vielleicht führt er in absehbarer Zeit auf ein
innerlich doch verzehrt, daß sie müde wird des
keit bestätigte historische Treue eine von ihrem
Gaukelspiels und sich nach dem Ende sehnt, das ihr der Dolch des
Shakespearesches Lustspiel. Die große Leistung von Frl. Triesch ist
——
r beglaubigte Atmosphäre geschaffen, die von
Bundes bereitet. Der Wunsch zu sterben ist ihr erster, aus ihrer
hier schon nach Gebühr anerkannt worden. Die Künstlerin hatte unge¬
, und in der die Menschen dem obersten
heure Schwierigkeiten zu überwinden, die durch die Passivität ihrer Figur
Natur wenig gerechtfertigter Wille, bis dahin ließ sie sich lieben
ben könnten. Der poetische Dekor ist das
und leiten, ohne zu wissen wohin, und eben dieses willenlose Gleiten
gegebenwaren. Ohne zu handeln mußte sie in jedem Augenblick dadurch
das Fest im Garten des Dichters, das bunt
von einer Hand in die andere verursachte die Richtungslosigkeit, die
wirken, daß sie schön ist, und die Schönheit, nicht die der statua¬
kaße, das Bachanal am Hofe des Herzogs,
dramatische Lahmheit des Stückes, die Unverbundenheit der Aben¬
rischen Ruhe, sondern die räthselhaft beseelte und wieder feelisch
stimmung aufgeregte Lebenslust der fast
teuer, die durch reale Unmöglichkeiten noch besonders bloßgestellt wird.
wirkende kann nur von innen heraus erspielt werden. Das ist ihr
nur daß die Menschen selbst zu weich, zu
Es giebt Dinge, die sich das Theater eben nicht gefallen läßt. So
gelungen. Von den anderen Damen kommt nur Fräulein Dumont
mit der höchst energisch durchgeführten von leidenschaftlichem Leben
erathen sind; sie genießen diese Zeit mehr,
wirkt es bei den vorhandenen Umständen fast komisch, wenn
rvorzugehen scheinen es sind im Grunde
Beatrice sich von der Hochzeit mit dem Herzog unbemerkt weg¬
strotzenden Figur der eifersüchtigen Schwester in Betracht. Mit
stets analysirende Menschen, die sich viel
schleichen kann, um den Dichter, der sie im Ekel fortgestoßen hat,
der Rolle des Dichters stand Herr Rittner auf einem falschen
tigung ihres eigenen Wesens fragen, um
wieder aufzusuchen, und ebenso, wenn sie sich in das Fest wieder
Platze, er war natürlich und herzlich, er war es zu sehr, es fehlte
großen Rücksichtslosen, der Cesare Borgia
hineinstiehlt, nachdem Philippo aus der Schmach seines Lebens in
seinem Künstler, dem es noch mehr auf die schöne Reflexion über
nen zu. dürfen. Es fehlt ihnen an
den Tod geflohen ist, wohin sie ihm noch nicht zu folgen wagte.
das Gefühl als auf das Gefühl selbst ankommt, an der fortwähren¬
der Leidenschaften und weil sie nie
Die beiden Männer, die um ihren Besitz streiten, sind in dem
den Selbstbespiegelung des Decadenten, wie ihm andererseits die
nder losgehen, so kommt auch das Drama
ganzen Stück an einander vorbeigegangen, und als der Herzog seiner
Gabe der Verführung mangelte, die seine Bedeutung im Stück
ichtigsten wie zufällig und zusammenhanglos
Braut an die Stätte folgt, wo sie ihren Schleier gelassen hat, sieht
erklärt. Herr Kayßler gab seinem Herzog vornehme Haltung
erden von der herumwogenden Masse über¬
er seinen Rivalen zum ersten Male und als todten Mann. Der Herzog
und männliche Kraft, er muß aber noch viel ruhiger werden,
cht eines kostbaren, schweren Rahmens er¬
hat keinen Haß gegen den Dichter, dessen Lieder ihn verführt
wenn die Besonnenheit, die auch in dieser Gestalt lebt
das Drama wie eine Maskerade, eine von
hatten, sodaß er ihn suchen mußte wie den einzigen
nicht verloren gehen soll. Dann wird er auch nicht mehr so viel
die uns über das Leben selbst sinnen lassen,
Verse verwischen. Bis auf einige Darsteller, die sich, wie besonders
Freund; als der Mann der That, ein anderer Fortinbras,
st bei Schnitzler auch künstlerische Absicht,
an der Leiche, um den Ruhm des edlen
steht er
Frau v. Pöllnitz, nicht aus Versesprechen gewöhnen wollen,
ineren Sachen, nameutlich in dem auf seine
Säigers in gläuzenden Versen zu preisen. Diese Szene ist sehr
waren die kleineren Rollen gut besetzt namentlich von den Herren
n Kakadu“ das Leben ganz von selbst ein schön, aber sie wirft das Stück noch zum Schluß auf eine falsche Seite.
Bassermann, Sauer, Sommerstorf, Marx, Iwald und
sSpiel schien, so werden hier die einzelnen! Der Dichter Philippo wird plötzlich zur Hauptperson, wenn ein Held! Stieler. A. E.