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Nr. 51
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX/1. Türkenstrasse 17.
— Filiale in Budapest: „Figyeló“ -
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockholm.
Ausschnitt aus:
Helcbe-Anzoiger, Berir
vom: %0
Theater und Musik.
Deutsches Theater.
Es scheint, als wenn Italien und das Zeitalter der Renaissance
die neueste Mo'berichtung der heutigen Dramatiker geworden sei; schon
manche haber, sich mit mehr oder minder Erfolg auf diesem Gebiete
versucht, ##n bedeutsamsten wohl zuletzt Maeterlinck in seiner „Monna
Vanna“.
Aeußerlich und auf den ersten Blick hat Arthur
Schnitzlers Schauspiel „Der Schleier der Beatrice", das
am Sonnabend hier seine Erstaufführung erlebte, mit
dem Werk des belgisch=französischen Dichters viel Aehn¬
lichkeit. Hier wie dort eine von Feinden eingeschlossene
1 Stadt — diesmal Bologna-
— am Vorabend des zu erwartenden
Angriffs einer feindlichen Uebermacht, hier wie dort eine Schar von Jusive
Menschen, deren Tun in einer Zeit, die „aus den Fugen“ ist, außer¬ orto.
gewöhnliche und überraschende Wendungen nimmt. Während aber ulbur
Maeierlinck auf diesen Voraussetzungen klar und einfach das voraus.
psychologische Problem entwickelt und löst, das den dichterischen jet aus
Kern seines Dramas bildet,
hat Schnitzler nicht die si es den
Kraft, das Motiv, das ihm vorschwebte, festzuhalten, er wollte zu.
ein farbenprächtiges, breit angelegtes Zeitgemälde als Hintergrund für
die Handlung geben und erreichte statt dessen nur eine ziel- und regel¬
iltend die
lose Buntheit, einen verwirrenden und verworrenen Ueberfluß an
Scenen, Gestalten, Worten und Handlungen, die nicht dem Schatz orgen¬
einer reichen Phantasie entnommen sind. Der Vorgang selbst spielt Zeitung“)
sich zwischen drei Menschen ab, ungefähr vierzig Personen aber ent¬ Chuftliche
Diese Mit¬
hält das Stück, dessen Handlung sich träge durch fünf über¬
lange
Akte hinschleppt. Beatrice, eine schöne Bürgers¬
tochter aus der Stadt, ein kaum dem Kindesalter ent¬
wachsenes Mädchen, hat es dem Dichter Filipp= Loschi angetan. Er
will mit ihr bei Nacht aus der belagerten Stadt entflieben, und alles
ist dazu bereitet. Da erzählt ihm Beatrice, der Herzog Bentivoglio sei
ihr begegnet und habe sie mit Wohlgefallen angeschaut, dann sei sie
heimgegangen und hale sich als Herzogsbraut geträumt. Ueber diese,
wenn auch nur im Traum begangene Untreue empört, verstößt sie Filippo.
on ihrem Bruder läßt sich Beatrice überreden, einen schlichten Bürgers¬
sohn, der sie schon lange liebte, zu ehelichen; die Trauung soll sogleich
vollzogen werden, auf dem Weg zur Kirche begegnet ihr aber abermals
der Herzog.
Er spricht sie an und fordert sie in übermütiger Laune
auf, in dieser letzten Nacht vor dem Entscheidungskampf ihm anzu¬
gehören. Ihren schlichten Bräutigam sogleich vergessend, willigt
Beatrice ein, aber nur, wenn sie dem Herzog als rechtmäßige Gattin
folgen dürfe. Kurz entschlossen, geht Bentivoglio auf diese Be¬
dingung ein. Binnen zwei Stunden soll das Hochzeitsfest gefeiert
werden, zu dem der Herzog durch Herolde die ganze Bürgerschaft der
Stadt laden läßt. Während des Festes aber eilt Beatrice in einem
Augenblick, wo sie nicht beobachtet ist, zurück in das Haus
Filippos, um nun, da ihr Herzogstraum in Erfüllung ging, mit
dem Dichter zu sterben. Es fehlt ihr aber der Mut, es Filippo
gleichzutun, der vor ihren Augen den Giftbecher leert und leblos
niedersinkt. Die Lebenslust erwacht in ihr aufs neue, sie flieht
unter Zurücklassung ihres Schleiers, des Brautgeschenks des Herzogs,
aus dem Hause des Grauens zurück inß Schloß, wo das Fest seinen
Fortgang genommen hat und wo man sie bereits vermißt. Hier an¬
gelangt, wird sie vom Gatten zur Rede gestellt; über den Verbleib
des Schleiers befragt, vermag sie keine genugende Aufklärung zu geben,
und der Aufforderung, ihn herbeizuschaffen, will sie nicht nachkommen.
Erst da sie mit Entehrung und Tod bedroht wird, ist sie bereit,
den Herzog an den Ort zu führen, wo sie den Schleier verlor. Hier
erfolgt dann des Rätsels Lösung, und sie ist für den Zuschauer eine
arge Enttäuschung; sie liegt in den Worten des nunmehr zur Er¬
kenntnis kommenden Herzogs: So nannten wir Dein Tun
und Du worst ein Kind!“ Darum
Betrug und Frevel
also all der Aufwand unter Vortäuschung psychologischer Tiefen,
diese Fülle von Worten und sprunghaft einander folgenden
Scenen, deren logischen Zusammenhang man vergeblich zu erfassen sich
abmühte, um schließlich zu erfahren, daß man, wie die handelnden
Die
Personen des Stückes, nur nach Laune genasführt wurde!
Aufführung dieses stil- und regellosen Werkes gehörte nicht zu den
besten des Deutschen Theaters. Von den Hauptdarstellern stand nur
Fräulein Triesch als Beatrice weit über ihrer Aufgabe; manche Vorzüge
hatte der Herzog des Herrn Kayßler, und einige sehr gute Leistungen
boten verschiedene Inhaber der zahlreichen Episodenrollen. Als Verse¬
sprecher versagte dagegen Herr Rittner, der eine der bedeutsamsten
Rollen des Stückes, die des Dichters, spielte, gänzlich. Die Aufnahme,
die das Werk erfuhr, war sehr geteilt; der stark bestrittene Beifall,
der Schnitzler vor die Rampe rief, dürfte auch wohl mehr dem
Urheber anderer erfolgreicher Stücke als dieses Schauspiels gegolten
haben.
Nr. 51
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX/1. Türkenstrasse 17.
— Filiale in Budapest: „Figyeló“ -
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockholm.
Ausschnitt aus:
Helcbe-Anzoiger, Berir
vom: %0
Theater und Musik.
Deutsches Theater.
Es scheint, als wenn Italien und das Zeitalter der Renaissance
die neueste Mo'berichtung der heutigen Dramatiker geworden sei; schon
manche haber, sich mit mehr oder minder Erfolg auf diesem Gebiete
versucht, ##n bedeutsamsten wohl zuletzt Maeterlinck in seiner „Monna
Vanna“.
Aeußerlich und auf den ersten Blick hat Arthur
Schnitzlers Schauspiel „Der Schleier der Beatrice", das
am Sonnabend hier seine Erstaufführung erlebte, mit
dem Werk des belgisch=französischen Dichters viel Aehn¬
lichkeit. Hier wie dort eine von Feinden eingeschlossene
1 Stadt — diesmal Bologna-
— am Vorabend des zu erwartenden
Angriffs einer feindlichen Uebermacht, hier wie dort eine Schar von Jusive
Menschen, deren Tun in einer Zeit, die „aus den Fugen“ ist, außer¬ orto.
gewöhnliche und überraschende Wendungen nimmt. Während aber ulbur
Maeierlinck auf diesen Voraussetzungen klar und einfach das voraus.
psychologische Problem entwickelt und löst, das den dichterischen jet aus
Kern seines Dramas bildet,
hat Schnitzler nicht die si es den
Kraft, das Motiv, das ihm vorschwebte, festzuhalten, er wollte zu.
ein farbenprächtiges, breit angelegtes Zeitgemälde als Hintergrund für
die Handlung geben und erreichte statt dessen nur eine ziel- und regel¬
iltend die
lose Buntheit, einen verwirrenden und verworrenen Ueberfluß an
Scenen, Gestalten, Worten und Handlungen, die nicht dem Schatz orgen¬
einer reichen Phantasie entnommen sind. Der Vorgang selbst spielt Zeitung“)
sich zwischen drei Menschen ab, ungefähr vierzig Personen aber ent¬ Chuftliche
Diese Mit¬
hält das Stück, dessen Handlung sich träge durch fünf über¬
lange
Akte hinschleppt. Beatrice, eine schöne Bürgers¬
tochter aus der Stadt, ein kaum dem Kindesalter ent¬
wachsenes Mädchen, hat es dem Dichter Filipp= Loschi angetan. Er
will mit ihr bei Nacht aus der belagerten Stadt entflieben, und alles
ist dazu bereitet. Da erzählt ihm Beatrice, der Herzog Bentivoglio sei
ihr begegnet und habe sie mit Wohlgefallen angeschaut, dann sei sie
heimgegangen und hale sich als Herzogsbraut geträumt. Ueber diese,
wenn auch nur im Traum begangene Untreue empört, verstößt sie Filippo.
on ihrem Bruder läßt sich Beatrice überreden, einen schlichten Bürgers¬
sohn, der sie schon lange liebte, zu ehelichen; die Trauung soll sogleich
vollzogen werden, auf dem Weg zur Kirche begegnet ihr aber abermals
der Herzog.
Er spricht sie an und fordert sie in übermütiger Laune
auf, in dieser letzten Nacht vor dem Entscheidungskampf ihm anzu¬
gehören. Ihren schlichten Bräutigam sogleich vergessend, willigt
Beatrice ein, aber nur, wenn sie dem Herzog als rechtmäßige Gattin
folgen dürfe. Kurz entschlossen, geht Bentivoglio auf diese Be¬
dingung ein. Binnen zwei Stunden soll das Hochzeitsfest gefeiert
werden, zu dem der Herzog durch Herolde die ganze Bürgerschaft der
Stadt laden läßt. Während des Festes aber eilt Beatrice in einem
Augenblick, wo sie nicht beobachtet ist, zurück in das Haus
Filippos, um nun, da ihr Herzogstraum in Erfüllung ging, mit
dem Dichter zu sterben. Es fehlt ihr aber der Mut, es Filippo
gleichzutun, der vor ihren Augen den Giftbecher leert und leblos
niedersinkt. Die Lebenslust erwacht in ihr aufs neue, sie flieht
unter Zurücklassung ihres Schleiers, des Brautgeschenks des Herzogs,
aus dem Hause des Grauens zurück inß Schloß, wo das Fest seinen
Fortgang genommen hat und wo man sie bereits vermißt. Hier an¬
gelangt, wird sie vom Gatten zur Rede gestellt; über den Verbleib
des Schleiers befragt, vermag sie keine genugende Aufklärung zu geben,
und der Aufforderung, ihn herbeizuschaffen, will sie nicht nachkommen.
Erst da sie mit Entehrung und Tod bedroht wird, ist sie bereit,
den Herzog an den Ort zu führen, wo sie den Schleier verlor. Hier
erfolgt dann des Rätsels Lösung, und sie ist für den Zuschauer eine
arge Enttäuschung; sie liegt in den Worten des nunmehr zur Er¬
kenntnis kommenden Herzogs: So nannten wir Dein Tun
und Du worst ein Kind!“ Darum
Betrug und Frevel
also all der Aufwand unter Vortäuschung psychologischer Tiefen,
diese Fülle von Worten und sprunghaft einander folgenden
Scenen, deren logischen Zusammenhang man vergeblich zu erfassen sich
abmühte, um schließlich zu erfahren, daß man, wie die handelnden
Die
Personen des Stückes, nur nach Laune genasführt wurde!
Aufführung dieses stil- und regellosen Werkes gehörte nicht zu den
besten des Deutschen Theaters. Von den Hauptdarstellern stand nur
Fräulein Triesch als Beatrice weit über ihrer Aufgabe; manche Vorzüge
hatte der Herzog des Herrn Kayßler, und einige sehr gute Leistungen
boten verschiedene Inhaber der zahlreichen Episodenrollen. Als Verse¬
sprecher versagte dagegen Herr Rittner, der eine der bedeutsamsten
Rollen des Stückes, die des Dichters, spielte, gänzlich. Die Aufnahme,
die das Werk erfuhr, war sehr geteilt; der stark bestrittene Beifall,
der Schnitzler vor die Rampe rief, dürfte auch wohl mehr dem
Urheber anderer erfolgreicher Stücke als dieses Schauspiels gegolten
haben.