II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 369

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14. Der Schleier der Beatrice
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Ausschnitt aus:
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K# 14 7703
Theater und Musik.
„Der Schleier der Beatriee.“
G. Z. Arthur Schnitzler hat am Sonnabend mit
seinem fünfaktigen Renaissanceschauspiel „Der Schleier der
Beatrice“, um dessentwillen er sich, wie erinnerlich, vor drei
Jahren mit dem Burgtheater entzweit hat, nur einen Schein¬
erfolg errungen. Es war wieder die übliche Kraftprobe
zwischen Klatschen und Zischen, innerlich gepackt waren die
Zuhörer nur selten. Schnitzler hat sich eine Aufgabe gestellt,
zu deren Lösung seine Kräfte nur zum kleinen Teil ausreichten.
Der Ernst seines Strebens aber, das hier seit längerer Zeit
wieder einmal auf ein hohes Ziel gerichtet ist, verdient auf
jeden Fall Respekt.
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Schnitzler führt in diesem Drama drei Menschen zu= suar
sammen, die jeder dem Leben und der Wirklichkeit gegenüber hraus.
kraft ihrer Natur eine andere Stellung einnehmen, und
deren Schicksal aus ihrer Lebensauffassung bezw. ausst das
ihrem Zusammentreffen erwächst. Der Dichter Filippo es den
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einec von denen, die nur leben, wenn
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sie Künstler sind, ein Typus jener, die Schnitzler
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in ein wenig anderer Beleuchturg in
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Zyflus gen¬
„Lebendige Stunden“ gezeichnet hat. Das Leben der Wirklich= tung")
keit verwundet diesen Menschen der Nerven und der Stimmung stliche
auf Schritt und Tritt, und in der Welt unserer Moral tappte Mit¬
er wie ein Blinder umher und merkt nicht, wenn sein Handeln
den Menschen als schurkisch erscheint. Was er genießt, ist das
Werk seiner Phantasie. Und als die Wirklichkeit doch zu über¬
mächtig an die verschlossene Pforte seines Inneren klopft, als
schließlich diese Pforte aufspringt, und die Wirklichkeit und er
selbst in ihr mit erbarmungsloser Klarheit dasteht, da packt
ihn der Lebensekel und der Ekel vor sich selber, und er gibt
sich den Tod. Er hat erkannt, daß er seiner Verlobten mein¬
eidig geworden ist, und daß die, um derentwillen er sie ver¬
raten hat, Beatrice Nardi, nicht ein Märchenwunder ist und nicht
die höchste Liebe kennt, wie seine Phantasie ihm vorgegaukelt
hat; denn als er sie auf eine ernste Probe stellt, da zeigt sie,
wie sehr sie am Leben hängt, und wie furchtbar ihr der Tod
ist. Beatrice ist in Vielem der gerade Gegensatz zu Filippo.
Sie ist naio, während er der Typ eines modernen, kraftlosen;
Reflexionsmenschen ist. Auch sie steht in gewissem Sinne wie
er jenseits der Moral, aber nicht weil sie in einer anderen
Welt lebt, wo jene Moral nicht gilt sondern weil sie über¬
haupt noch nicht zum Leben erwacht ist, ein Kind, das Gutes¬
und Böses kut, ohne es zu wissen und zu wollen: das Weib
als reines Triebwesen. So folgt sie dem schönen Dichter, als
sie ihn zum ersten Male beim Tanze sieht, so überläßt sie sich
gleich darauf dem Triebe, der sie zu dem großen Herzog
Bentivoglio zieht, so fordert sie von ihm, daß er sie zur
Herzogin mache, so läßt sie sich von Filippo fortschicken, und
so eilt sie von der Hochzeitstafel wieder zu ihm hin, um mit
ihm zu sterben. Als sie dann aber auf einen Augenblick dem
Tode wirklich ins Antlitz sieht, da erwacht sie zum ersten
Male zum Leben. Aber wie bei Filippo ist dieser Augenblick
nicht nur der Wendepunkt ihres Lebens, sondern auch zugleich
der erste Schritt zum Tode. So wie er kann sie das Leben,
nachdem sie einmal sehend geworden, nicht mehr ertragen und
bittet jetzt um den Tod, der ihr vorher als das Unerträglichste
erschienen war. Und wieder ein anderer und doch in der
Naivität seines Handelns mit ihr verwandt ist Herzog
Bentivoglio, in dem der Dichter einen echten Renaissance¬