II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 403

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14. Der Schleier der Beatrice
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Die Zukunft.
erfahrenen Helferinnen, mit denen das nicht mehr mühlose Spiel wohl noch
zu gutem Ende gediehe. Auf dem weiten Wiesenplan winkt es und ringt es,
gleitet und fällt, wehrt sich Viragowuth und keucht gleich drauf in Wonne,
stammelt verzückt und reißt in nymphomanischem Rasen selbst sich die letzte
Hülle vom heißen Leib. Staunend schütteln ob solcher Massenpaarung
Kastanienbäume die Greisenhäupter. Und in die wilde Erosfeier klingt von
fern her leise Musik; wie ein Schluchzen, ein Kichern, längst ersehnter Selig¬
keit irrer Widerhall. Unter ewigen Sternen das große, berauschende, grause
Nachtbild schamloser Menschheit; nicht einer, die Scham noch nicht lernte,
in keinem Eden je scheu den Baum der Erkenntniß sah, nein: einer aus engen
Banden der Christenfurcht zu kurzem Taumel in Priaps Tempel geladenen,
die Gut nach alter Satzung von Böse zu scheiden weiß und endlich nun, end¬
lich ohne Gewissenshemmung den Hunger nach verbotener Frucht stillen will.
In dieser Nacht darf sies. Erst mit der Sonne kehrt der Zwang des Gesetzes wie¬
der, der Spuk sozialer Sittenregeln zurück. Kein in dieser Nacht geschlossener
Bund entehrt und keinerverpflichtet. Flecklos und frei steigen die von jäher
Laune Gepaarten aus dem grünen,zerwühlten Brautbett und ledig der Last, die
der Alltag dem Brennpunkt des Willens aufbürdet, trennt sich im Morgen¬
grau der Sprosser von der müden Nachtgefährtin, das Mädchen vom Mann.
Und mit der Saat neuen Lebens trägt jede Schöne noch die Hoffnung heim,
in edlem Blute sich fortzupflanzen; denn als adelig geboren soll gelten, was
im Palast, im Park, auf dem Anger des Herrn der alten Felsinagezeugt ward.
So will es der Herzog. Doch ohnmächtig bliebe über so Viele sein Wollen,
wenn nicht Lebensangst mit heftigem Schnaufen in den Sinnen das Feuer
anschürte. Vor Bolognas Thoren steht Cesare Borgia, Alexanders Sohn,
des Unheil brauenden Papstes, der von Helden gefürchtete Bruder der Thais
Lukrezia, und morgen schon stürmt wohl sein Herr, der Schrecken Italiens,
die schwache Verschanzung der Etruskerstadt. Die wehrfähige Mannschaft
hat sich gewaffnet, freiwillig liefen Bürgersöhne, Knaben sogar den Söldner¬
schaaren der Edlen zu und Alles stellt sich, als könnte Sieg den muthigen
Eifer krönen. Im Innersten aber glaubt es Keiner. Sorge schleicht durch die
Bogengänge, schielt über die Mauern und nistel wie Nachtgevögel in den Höhlen
der Handwerksleute und Krämer. Was bringt uns der Borgia, den das Caesa¬
renglück schirmt? Knechtschaft, Armuthgewiß; und seine Horde schont sicher kein
nochso schüchternes Jüngferchen, keinesäugende Mutter. Dieletzte Nacht! Und
da sollten nicht hundert Stimmen, nicht tausend dem Ruf des Herzogs Antwort
jauchzen?... Oft, sagt Renan, „habeich mir vorzustellen versucht, welche Rase¬