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14. Der Schleier der Beatrice
146
F. Lienhard, Vom deutschen Theater.
nicht weiter über jähe Morde; man wird nicht warm mit den „Lebenden“. Ein¬
ähnliches Gefühl, nur freilich in schwächerem Maße, wie bei Halbes gedachtem
und gemachtem „Eroberer“ durchdrang mich auch in diesem sorgsam gearbeiteten¬
Stück: ein Gefühl kühler Befremdung, ein Gefühl des Mitleids, wie sich ein
denkender Schriftsteller und Künstler an einen Stoff wagen kann, der so offen¬
bar kraftvollstes Dichtertum verlangt.
Viel klare, kluge, kühle Gedanken sind in guter Verssprache, die an
Shakespeares stilistische Bauweise erinnert, ausgedrückt und gewinnen in manchen
Szenen unseren aufrichtigen Beifall. Auch im Spiel ließ manch eine wirkungs¬
volle Stelle den Mißgriff des Ganzen bedauern. Es ist immerhin bedeutsam,
daß unsere Modernsten wieder nach Al=Fresko=Sttoffen, nach Kolorit und Kostüm
suchen. Es fehlt nur
die verlorene Herzenseinfalt. Wie sagt Arndt, von
dem wir an anderer Stelle sprechen? „Einfalt und Wahrheit sind den Schwäch¬
lingen zu mächtig.“
8
S
□
AE
Tau Schummertid.
Dat is doch, wenn de Abend kümmt, Dor klingt in linen deipen Grunn'
De allerbeste Tid;
ne schöne Melodi;
Dor ward de Welt so still ümher,
Dor denk' ick an min Vaderhus
Dor word dat Rart so wid.
Un, Mudding, ok an Dil
Denn kümmt ut wide Firn en Ton
Gans sachten, ja, ganz sacht —
De Morgen güng, de Abend geiht,
Un lising kümmt de Nacht!
Daul Warncke.
14. Der Schleier der Beatrice
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F. Lienhard, Vom deutschen Theater.
nicht weiter über jähe Morde; man wird nicht warm mit den „Lebenden“. Ein¬
ähnliches Gefühl, nur freilich in schwächerem Maße, wie bei Halbes gedachtem
und gemachtem „Eroberer“ durchdrang mich auch in diesem sorgsam gearbeiteten¬
Stück: ein Gefühl kühler Befremdung, ein Gefühl des Mitleids, wie sich ein
denkender Schriftsteller und Künstler an einen Stoff wagen kann, der so offen¬
bar kraftvollstes Dichtertum verlangt.
Viel klare, kluge, kühle Gedanken sind in guter Verssprache, die an
Shakespeares stilistische Bauweise erinnert, ausgedrückt und gewinnen in manchen
Szenen unseren aufrichtigen Beifall. Auch im Spiel ließ manch eine wirkungs¬
volle Stelle den Mißgriff des Ganzen bedauern. Es ist immerhin bedeutsam,
daß unsere Modernsten wieder nach Al=Fresko=Sttoffen, nach Kolorit und Kostüm
suchen. Es fehlt nur
die verlorene Herzenseinfalt. Wie sagt Arndt, von
dem wir an anderer Stelle sprechen? „Einfalt und Wahrheit sind den Schwäch¬
lingen zu mächtig.“
8
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AE
Tau Schummertid.
Dat is doch, wenn de Abend kümmt, Dor klingt in linen deipen Grunn'
De allerbeste Tid;
ne schöne Melodi;
Dor ward de Welt so still ümher,
Dor denk' ick an min Vaderhus
Dor word dat Rart so wid.
Un, Mudding, ok an Dil
Denn kümmt ut wide Firn en Ton
Gans sachten, ja, ganz sacht —
De Morgen güng, de Abend geiht,
Un lising kümmt de Nacht!
Daul Warncke.