II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 435

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14. Der schleier der Beatrice
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logisches Inkeresse, da er nachweist, wie der große Kosmologe dem ge¬
waltigen Ernst seiner späteren Lehr= und Lebensaufgabe eine tüchtige Mit¬
gift an froher Sinnlichkeit, saftiger Derbheit, übersprudelnder Laune zu¬
brachte. Dieser allein in Betracht kommende Gehalt des im übrigen für
uns interesselosen, durchaus nicht mehr bühnenfähigen Schwanks war dank
der fürsorglichen Aufsicht des — Berliner Zensors aber so arg verstümmelt
worden, daß die ganze Aufführung eine dramatische Spottgeburt wurde.
Ist es wohl zu glauben, was die liebe Zensur alles anrichtet? Daß der
Verfasser vor dreihundert Jahren als Ketzer nachweislich laut Inquisitions¬
beschluß auf dem Scheiterhaufen gerichtet wurde, hat anscheinend in den
Augen einer scharfspähenden Obrigkeit keineswegs seine Abscheulichkeiten
gefühnt, noch immer unterliegen seine Werke der strengen Sittenwacht des
Staates und sogar ein harmloses Lustspielchen aus seiner Jugendzeit wird
am Berliner Alexanderplatz von den Fängen des preußischen Adlers gerupft
und entstellt, damit es nur nicht unsere leicht verführbaren, kindlichen Ge¬
müter auf sittliche Abwege leite. Giordano Bruno! Ist es zu glauben? ...
Das leidige Kapitel der Zensur erregt in unserer Zeit mit Recht die Ge¬
müter. Daß eine Kunstbevormundung, wie die gegenwärtige, eines mündigen
Volkes durchaus unwürdig ist, steht in der Auffassung aller freien Köpfe
unserer Zeit fest. Es wäre erheilernd, wenn es nicht zu beschämend wäre,
daß irgend ein angehender Jurist, dem die schöne Literatur vielleicht Hekuba
ist, Dichtungen nach Gutdünken verstümmeln darf, in die er vielleicht aus
Mangel an — sagen wir — Zeit, oder Geschmack, oder Anlage gar nicht
hinreichend einzudringen vermag. Durch derartige Vandalismen unserer
Staatseinrichtung wird eine heillose Verwirrung in unserer Literatur ange¬
richtet. Nicht nur, daß das freie dichterische Schaffen befangen gemacht,
gehemmt und gehindert ist und Berufsdichter um ihren rechtmäßigen
Arbeitserwerb gebracht werden, das rücksichtslose Vorgehen der Zensur hat
auch zur Folge, daß so mißlungene Werke, wie Heyses „Maria und
Magdala“, nur weil sie verboten worden sind, aus erklärlichen Oppositions¬
gelüsten auf den Schild gehoben werden und bessere Werke unserer Literatur
in den Hintergrund drängen. Die Entwickelung unserer Kunst leidet ohne¬
dies hinreichend an Gesundheitsstörungen, ihrer Hemmungen sind wahrlich
genug im eigenen Schoß. Es ist keine rühmliche Aufgabe des Staates,
diese Hemmungen noch mit Bedacht ins Anerträgliche zu steigern.
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Wie wenig übrigens jene ideale Forderung Renans, von der wir
sprachen, in unserer Zeit auf Verständnis bei der Menge rechnen darf,
zeigt das Schicksal, das einem der feinsinnigsten Dramen der letzten Jahr¬
zehnte in dem # erleuchteten Berlin am ... erleuchteten Deutschen
Theater beschieden war. Arthur Schnitzlers „Schleier der Beatrice“
dessen Aufführung ich noch im Oktoberheft dieser Zeitschrift forderte, hat
endlich seinen Einzug auf dem Deutschen Theater gehalten. Von der
großenteils literarischen Hörerschar des ersten Aufführungsabends würdig
empfangen, und von der Kritik im allgemeinen mit warmer Anerkennung
besprochen, wurde das Drama — — alsbald vom Spielplan abgesetzt, weil
es von jener Durchschnittsmasse, die (halb sind sie satt, halb sind sie roh)
das Parkettfüllsel unserer Theater ausmacht, zu unbequemes Denken, zu