II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 495

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14. Der Schleier der Beatrice
Theater und Musik.

Der Schleier der Beatrice.

Schauspiel in fünf Akten von Arthur Schnitzler.
(Lei##iger Schauspielhaus.)
Ein konfisziertes Stück — nicht etwa in der Bedeutung, daß es ver¬
###ten und beschlagnahmt worden wäre, sondern in der des Schillerschen
lenfiszierten Kerls“. Einen Genuß gewährt diese Verquickung ver¬
##vorrener Charaktere und Situationen nur dann, wenn man es als
Satire auf die Manier ansieht, in der von Dekadenten Renaissance¬
Tromen geschrieben werden. Das Konfiszierteste in der Charakter¬
schilderung ist die Zeichnung der schönen Beatrice, der Tochter des Bo¬
kugneser Wappenschneiders Nardi. Interessant um jeden Preis ist hier
Losung, und so ist denn ein merkwürdiges Gemisch von Schwärmerei
A#n Lüsternheit, Eigenwillen und Zerfahrenheit zustande ge¬
sommen, zu dem selbst die Hypnose mithelfen mußte. Beatrice
#i leidenschaftlich in den Dichter Filippo Loschi verliebt und bereit, mit
##m heimlich aus der belagerten Stadt zu fliehen, um das Liebesglück
ullig auskosten zu können. Die Flucht soll soeben ins Werk gesetzt
werden, als Beatrice mit süßer Schwärmerei vom Herzog Bentivoglio,
##em Herrn von Vologna, zu erzählen beginnt. Er hat sie gegrüßt und
###amit in auffälliger Weise ausgezeichnet vor vielen anderen Schön¬
##ten, an denen Bologna so reich ist. Und Beatrice hat darauf in
der Nacht vom Herzog geträumt, wie er sie durch einen langen schmalen
Gang zwischen endlos hohen Mauern dahinführte, über denen rote
Tollen standen. Und sie gingen in ein Zimmer, in dem grüne Lichter
und dann kommt in der Schilderung das Ruhebett,
brannten
und der Herzog, der sich über Beatrice neigt —— und man findet es
# begreiflich, wenn der aus allen Himmeln gerissene Dichter nicht
Nachtreter auf dem Wege des Herzogs sein will und der edlen
Latrice den Laufpaß gibt, ein Verfahren, das die kindliche Seele
### Mädchens nicht begreift. Bald darauf schreitet Beatrice an der
Seite des jungen Vittorino Monaldi, eines Gehilfen ihres Vaters, zur
Krche, um sich mit Vittorino trauen zu lassen. Eilig wird der Akt,
da der Feind vor den Toren steht und Vittorino an dem Verzweif¬
lungskampfe teilnehmen will. Da kommt der Herzog die Straße ent¬
leng und sieht Beatrice, er erkennt die Schönheit wieder, die seine Sinne!
b##rsickt hat, es folgt eine hypnotische Szene, Beatrice steht unter dem
Lanne des Mannes, von dem sie so süß geträumt hat, und sie erklärt
sich trotz des tapferen Widerspruchs ihres Bruders und ihres Bräuti¬
ams für den Herzog, der sie zu seiner Auserwählten erklärt. Als
sch der hypnotische Bann löst, hat die schwärmerische Beatrice plötzlich
ortel Weltklugheit, auf die Ehe mit dem Herzoge zu dringen. Die
Hochzeit wird denn auch unverzüglich angesetzt — die Belagerung treibt
ja zur Eile. Vittorino ersticht sich, und Beatrice wird mit dem Herzoge
geront. Von der Hochzeit aber — es ist inzwischen Nacht geworden —
schleicht sie sich zu ihrem ersten Liebhaber, dem Dichter Loschi, der in
der Zwischenzeit Orgien mit zwei berüchtigten Courtisanen gefeiert hat.
#m in süßer Umarmung mit ihm zu sterben. Es folgt eine Szene, die
in ihrer psychologischen Verzwicktheit nur ein Dekadent schreiben konnte.
Prachi erwägt nochmals die Möglichkeit der gemeinsamen Flucht,
####erice will jedoch die große Schuld nur mit dem Tode fühnen, nur
d# Tod rechtfertigt und macht rein, was sie begangen hat. Becher
mit und ohne Gift — dem Gifte der Courtisane Lucrezia — spielen
dann eine Rolle, Beatrice bekommt in kindlicher Weise Furcht vor dem
Lode, und Loschi stirbt schließlich allein. Beatrice aber flieht voll Ent¬
setzen zurück zur Hochzeitsgesellschaft und zum Herzog.
Es war nötig, Beatrice auf ihren Wegen zu folgen, um die Rarität
deses unerforschlichen Charakters kennen zu lernen. Das Mädchen,
#### bei allem Unheil, das sie angerichtet, das reine Kind bleibt, bringt
fertig, zwei große Leidenschaften zu gleicher Zeit in ihrem weiten
Herzen zu beherbergen, sie läuft von dem Einen zum Andern und wie¬
zurück und bleibt immer naiv. Ein wirkliches kleines Ungeheuer
ob man es in der Renaissance oder in der gegenwärtigen Zeit der
##tadence für möglich halten will, ist Geschmackssache. Beatrice hat in
####chis Wohnung einen kostbaren Schleier zurückgelassen, den ihr der
Herzog geschenkt hat. Sie soll sagen, wo sie gewesen ist, wo sie den
Schleier gelassen hat, eine Notlüge schlägt fehl, und der Herzog ver¬
unteilt sie zum Tode. Entsetzen ergreift sie, und um nicht sterben zu
müssen, führt sie den Herzog in Loschis Haus. Man findet den Schleier
und auch die Leiche des vom Herzog angebeteten Dichters. Und was
wird nach allen diesen verzwickten Vorgängen aus Beatrice? Nur die
unverdorbene Jugend ihres Bruders Frauresco findet hier einen
schnellen und, wie selbst der Herzog zugeben muß, korrekten Ausweg
Francesco ersticht seine Schwester. Der Herzog feiert in schönen
Worten den Dichter und bestimmt für ihn ein ehrenvolles Begräbnis
an der Seite Beatrices, die durch die Verbindung, in der sie zu dem
Unsterblichen gestanden, eine Weihe erhalten hat, die alle ihre Taten
vergessen macht.
In dieser kurz skizzierten Haupthandlung — wenn man Beatrices
unberechenbare Entschlüsse und deren Folgen so nenuen will — ist indeß
#ei weitem nicht alles enthalten, was in das Stück an Geschehnissen vom
Verfasser hineingezwängt worden ist. Die Renaissance hat hier ihren
zenen Geist. Daß ihre Helden auch von ausgesuchter Grausamkeit
sein konnten, ist wohl noch das Zutreffenste an dieser Sittenschilderung.
Die Aufführung, die von Herrn Oberregisseur Eggeling mit
vieler Liebe und auch mit Geschick vorbereitet war, erhielt durch das
Gastspiel des Frl. Frenc Triesch vom Deutschen Theater in Berlin
besonderes Interesse. Die zierliche Darstellerin war sichtlich be¬
stecht, die wechselreichen Stimmungen Beatrices durch ein beredtes
Wienenspiel anschaulich zu machen und in allen den schwierigen Situa¬
onen den vorherrschenden Charakter kindlicher Naivetät festzuhalten.
Es gelang ihr dies auch in der Deklamation. Der Ausdruck des
Schmerzes hatte viel Ergreifendes, und zweifellos war die Leistung
abenhalben interessant. Das Organ der Dame ist weder groß noch
schön, sie weiß es jedoch geschickt auszunutzen, und man kann gespannt
##rauf sein, wie sich ihre Mittel in Rollen anderen Genres bewahren
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