14. Der Schleier der Beatrice
722.
Dr. Max Goldschmidt
2 Bureau für 1
Zeitungsausschnitte
Telsphan I11. 3081.
Berlin N. 24
Ausschnitt aus
Hamburger Fremdenhlaft
E31 on
Kemtren mi
# #eeekansesbeldhmnewerenseaneenencmm
Kuskund
Eisserschafff
NE1
Arthur Schnitzler.
In
den ersten Tagen der kommenden
Woche kommt Arthur Schnitzler, der jetzt zu
den meistgespielten deutschen Autoren gehört,
nach Hamburg, um sich im Schauspielhaus seine
drei Stücke „Schleier der Beatrice" „Anatol“
und „Das weite Land“ anzusehen. Einen Auf¬
talt zu diesem Besuch des Wiener Poeten bildete
der gestrige Abend der Hamburg
lscha
t, an dem Herr Monty
Kunstgese
Jacobs aus Berlin ein Essay über Arthur
Schnitlers Wesensart vorlas.
Die Persönlichteit Schnitzlers ist unschwer
zu fassen.
Der Kreis seiner Motive ist, wie
Herr Monty Jacobs aus Berlin gleich zu An¬
fang feststellte, äußerst eng. Er dreht sich
dauernd um den einen Mittelpunkt: Liebe—
Erotik, zum Schaden des Dramatikers und zum
Nutzen des Psychologen Schnitzler. Der Kreis
der Motive wird noch verengt dadurch, daß
seine Konflikte sich fast immer in derselben Ge¬
sellschaftsklasse abspielen. Sein Held bleibt
stets Anatol, der koette, blasierte Hypochonder
der Liebe, der gar oft zum Narren der Liebe
wird. Es fehlt bei ihm das Pathetische so gut
wie das brutal Naturalistische, „Romeo und
Julia“ so gut wie „Fuhrmann Henschel“. Nur
einmal finden wir, in der „Liebelei“, die laute
Explosion eines gepreßten Herzens — überall
sonst sind Konflikte und Katastrophen abgestimmt
auf Dialektik und Konversation. Aber inner¬
halb seines begrenzten Gebiets gelingen
Schnitzle unterstützt von einer schlagenden,
pointereichen Kraft des Ausdrucks, Entdeckungs¬
reisen überraschendster und interessantester Art.
Innerhalb dieser Linien vollzog der Redner,
übrigens mit bewune rnswürdiger Temperament¬
losigkeit, die Sezierung des lebenden Arthur
Schnitzler und seiner Motive, ging den
Dichtungen nach, rekonstruierte aus ihrem Gehalt
heraus das Weltbild des Dichters und zeigte
die ethischen Folgerungen, die sich aus ihm
ergeben und sich ziemlich erschöpfen in dem
einen Wort: „Es ist besser, glücklich z
chuld
machen als
os zu sein“. Eine
angenehme und leichte Weisheit, nach der man
bequem vergnügt und erfolgreich fündigen kann.
Aus ihr heraus wächst die Auslassung vom
Gefühl, als dem eigentlichen Inhalt allen
Lebens, und die Ueberzeugung von der Schein¬
existenz aller Dinge und Menschen, von dem
rätselvollen Schleier, der über allem Lebenden
liegt, und der Unsicherheit, mit der das
Lebendige durchs Daseln tappt. Siehe
Schnitzlers Paracelsus:
Was ist nicht Spiel, das wir auf Erden
treiben,
Und schien es noch so groß und tief zu sein!
Mti wilden Söldnerscharen spielt der eine,
Ein anderer spielt mit tollen Abergläubischen.
Vielleicht mit Sonne. Sternen, irgendwer, —
Mit Menschenfeelen spiele ich. Ein Sinn
Wird nur von dem gefunden, der ihn sucht.
Es fließen ineinander Traum und Wachen,
1200
box 20/5
W
Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends.
Wir wissen nichts von andern, nichts von uns.
Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug.
Oder auch Schnitzlertz Verse:
Also spielen wir Theater,
Spielen uns’re eig'nen Stücke,
Frühgereift und zart und traurig,
Die Komödie uns’rer Seele,
Uns’res Fühlens Heut und Gestern,
Böser Dinge hübsche Formel,
Glatte Worte, bunte Bilder,
Halbes, heimliches Empfinden,
Agonien, Episoden
Das Publikum gab dem Reoner nur sehr
kargen Beifall. Das kommt davon, wenn Leute
sich aufs Vortragspult stellen, die wohl feine,
gründliche und von großer Feinfühligkeit für
die intimsten Reize einer künstlerischen Persön¬
lichkeit zeugende Essays schreiben können, denen
aber alle rhethorische Begabung versagt ist.
Dann und wann machte Herr Monty Jacobs
eine nette, aus dem Rahmen des Themas her¬
ausfallende Bemerkung. So etwa: „Ein zu
weit getriebener Individualismus in der Kritik
ist auf die Dauer dem Kritiker bekömmlicher
als der Kunst“. Es soll aber auch Fälle geben,
wo es beiden Faktoren auf die Dauer unbe
kömmlich wird.
K. K.
722.
Dr. Max Goldschmidt
2 Bureau für 1
Zeitungsausschnitte
Telsphan I11. 3081.
Berlin N. 24
Ausschnitt aus
Hamburger Fremdenhlaft
E31 on
Kemtren mi
# #eeekansesbeldhmnewerenseaneenencmm
Kuskund
Eisserschafff
NE1
Arthur Schnitzler.
In
den ersten Tagen der kommenden
Woche kommt Arthur Schnitzler, der jetzt zu
den meistgespielten deutschen Autoren gehört,
nach Hamburg, um sich im Schauspielhaus seine
drei Stücke „Schleier der Beatrice" „Anatol“
und „Das weite Land“ anzusehen. Einen Auf¬
talt zu diesem Besuch des Wiener Poeten bildete
der gestrige Abend der Hamburg
lscha
t, an dem Herr Monty
Kunstgese
Jacobs aus Berlin ein Essay über Arthur
Schnitlers Wesensart vorlas.
Die Persönlichteit Schnitzlers ist unschwer
zu fassen.
Der Kreis seiner Motive ist, wie
Herr Monty Jacobs aus Berlin gleich zu An¬
fang feststellte, äußerst eng. Er dreht sich
dauernd um den einen Mittelpunkt: Liebe—
Erotik, zum Schaden des Dramatikers und zum
Nutzen des Psychologen Schnitzler. Der Kreis
der Motive wird noch verengt dadurch, daß
seine Konflikte sich fast immer in derselben Ge¬
sellschaftsklasse abspielen. Sein Held bleibt
stets Anatol, der koette, blasierte Hypochonder
der Liebe, der gar oft zum Narren der Liebe
wird. Es fehlt bei ihm das Pathetische so gut
wie das brutal Naturalistische, „Romeo und
Julia“ so gut wie „Fuhrmann Henschel“. Nur
einmal finden wir, in der „Liebelei“, die laute
Explosion eines gepreßten Herzens — überall
sonst sind Konflikte und Katastrophen abgestimmt
auf Dialektik und Konversation. Aber inner¬
halb seines begrenzten Gebiets gelingen
Schnitzle unterstützt von einer schlagenden,
pointereichen Kraft des Ausdrucks, Entdeckungs¬
reisen überraschendster und interessantester Art.
Innerhalb dieser Linien vollzog der Redner,
übrigens mit bewune rnswürdiger Temperament¬
losigkeit, die Sezierung des lebenden Arthur
Schnitzler und seiner Motive, ging den
Dichtungen nach, rekonstruierte aus ihrem Gehalt
heraus das Weltbild des Dichters und zeigte
die ethischen Folgerungen, die sich aus ihm
ergeben und sich ziemlich erschöpfen in dem
einen Wort: „Es ist besser, glücklich z
chuld
machen als
os zu sein“. Eine
angenehme und leichte Weisheit, nach der man
bequem vergnügt und erfolgreich fündigen kann.
Aus ihr heraus wächst die Auslassung vom
Gefühl, als dem eigentlichen Inhalt allen
Lebens, und die Ueberzeugung von der Schein¬
existenz aller Dinge und Menschen, von dem
rätselvollen Schleier, der über allem Lebenden
liegt, und der Unsicherheit, mit der das
Lebendige durchs Daseln tappt. Siehe
Schnitzlers Paracelsus:
Was ist nicht Spiel, das wir auf Erden
treiben,
Und schien es noch so groß und tief zu sein!
Mti wilden Söldnerscharen spielt der eine,
Ein anderer spielt mit tollen Abergläubischen.
Vielleicht mit Sonne. Sternen, irgendwer, —
Mit Menschenfeelen spiele ich. Ein Sinn
Wird nur von dem gefunden, der ihn sucht.
Es fließen ineinander Traum und Wachen,
1200
box 20/5
W
Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends.
Wir wissen nichts von andern, nichts von uns.
Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug.
Oder auch Schnitzlertz Verse:
Also spielen wir Theater,
Spielen uns’re eig'nen Stücke,
Frühgereift und zart und traurig,
Die Komödie uns’rer Seele,
Uns’res Fühlens Heut und Gestern,
Böser Dinge hübsche Formel,
Glatte Worte, bunte Bilder,
Halbes, heimliches Empfinden,
Agonien, Episoden
Das Publikum gab dem Reoner nur sehr
kargen Beifall. Das kommt davon, wenn Leute
sich aufs Vortragspult stellen, die wohl feine,
gründliche und von großer Feinfühligkeit für
die intimsten Reize einer künstlerischen Persön¬
lichkeit zeugende Essays schreiben können, denen
aber alle rhethorische Begabung versagt ist.
Dann und wann machte Herr Monty Jacobs
eine nette, aus dem Rahmen des Themas her¬
ausfallende Bemerkung. So etwa: „Ein zu
weit getriebener Individualismus in der Kritik
ist auf die Dauer dem Kritiker bekömmlicher
als der Kunst“. Es soll aber auch Fälle geben,
wo es beiden Faktoren auf die Dauer unbe
kömmlich wird.
K. K.